Man muss es den Schweizern lassen: Neutralität beherrschen sie nicht nur politisch, sondern auch emotional – zumindest, wenn es nach dem gestrigen ESC-Finale in Basel geht. So wenig Windmaschine war selten, man musste sich regelrecht anstrengen, um wenigstens ein bisschen Tüll in Wallung zu bringen. Vielleicht lag’s am Hallenklima, vielleicht an der allgemeinen Windstille des Abends – oder man hatte schlicht Angst, Michelles Stiefeletten könnten bei zu viel Luftzufuhr abheben und als gefährliche Flugobjekte enden. Die erinnerten übrigens stark an etwas, das man sonst nur auf Technopartys in Brandenburg nach 4 Uhr früh sieht – bloß ohne Ironie.
Céline Dion, Legende, Muse, menschliche Nebelmaschine – glänzte leider durch Abwesenheit. Ihre Nicht-Anwesenheit wurde so bedeutungsschwanger in Szene gesetzt, dass man fast dachte, sie würde per Hologramm doch noch erscheinen. Tat sie aber nicht. Dafür standen drei Moderatorinnen auf der Bühne, deren Performance den Begriff „moderate Moderation“ auf eine neue Stufe hob. Hazel Brugger, sonst gewohnt scharfzüngig, hatte vermutlich vertraglich vereinbart, pro Pointe einen Franken extra zu bekommen – und das Budget war scheinbar knapp.
Musikalisch? Nun ja. Der große Gewinner des Abends: Österreich. Countertenor JJ hauchte sich mit „Wasted Love“ auf Platz eins und gleich in die Herzen der Jury. Dritter Sieg für die Alpenrepublik nach Udo und Conchita – Österreich scheint der ESC das zu sein, was für Deutschland das öffentlich-rechtliche Vorabendprogramm ist: Man hat nicht viel Hoffnung, aber manchmal passiert ein Wunder.
Apropos Deutschland: „Baller“ von Abor & Tynna landete auf Platz 15. Ein solides Mittelmaß mit so viel politischer Unverbindlichkeit, dass man fast applaudieren wollte.
Apropos politischen Botschaften. Die gab’s nicht, denn die EBU hat’s verboten. Also offiziell. In der Konsequenz sah man dann auch keine Regenbogenflaggen, dafür für den Bruchteil einer Sekunde eine Palästina-Fahne im Publikum. In der Regie dürfte Panik ausgebrochen sein, in der Hoffnung, dass sie sich von selbst auflöst.
Zweitplatzierte wurde Israels Yuval Raphael mit dem erhebungstrunkenen „New Day Will Rise“ – vom Juryvoting weitestgehend ignoriert, vom Publikum dann aber geliebt und mit Punkten zugeschmissen. Dritter wurde Estlands Tommy Cash, der mit „Espresso Macchiato“ tanzte wie ein Tubeman vorm Waschpark – ob das Kunst war oder doch nur ein Koffeinunfall, bleibt offen. Aber wir sagen: Top-Favorit für den Tanz des Jahres 2025.
Und Schweden? KAJ? Platz vier. Tja. Wer zu früh von den Wettbüros geliebt wird, der wird halt vom Publikum fallengelassen wie ein faltenfreies Bügelshirt. Wer es ganz genau wissen will: Hier findet sich das offizielle Endergebnis des ESC 2025.
Bleibt die Frage: Was bleibt vom ESC 2025 in Erinnerung? JJ’s Sopran? Michelles Stiefel? Oder doch der Moment, in dem ganz Europa spürte, dass man für Drama auch mal einfach die Windmaschine ausschalten kann. Ironie des Abends: „Wasted Love“ – aber wenigstens kein verschwendeter Strom.
Das eigentliche Highlight aber dürfte dann das Buffet bei einem dieser unzähligen ESC-Abenden in heimischen Wohnzimmern gewesen sein, oder?