Man muss es den Schweizern lassen: Neutralität beherrschen sie nicht nur politisch, sondern auch emotional – zumindest, wenn es nach dem gestrigen ESC-Finale in Basel geht. So wenig Windmaschine war selten, man musste sich regelrecht anstrengen, um wenigstens ein bisschen Tüll in Wallung zu bringen. Vielleicht lag’s am Hallenklima, vielleicht an der allgemeinen Windstille des Abends – oder man hatte schlicht Angst, Michelles Stiefeletten könnten bei zu viel Luftzufuhr abheben und als gefährliche Flugobjekte enden. Die erinnerten übrigens stark an etwas, das man sonst nur auf Technopartys in Brandenburg nach 4 Uhr früh sieht – bloß ohne Ironie.
ESC
Deutschland im ESC-Rausch (Symbolbild); Bild: Horstson
Deutsche würden das vermutlich niemals beim Namen nennen. Man hat gelernt, auch dort auf jede noch so absurde Zuschreibung von R……s zu achten, wo dieser ganz offen von anderer Seite ausgeübt wird.
Die schlechte Platzierung Deutschlands könnte auch etwas damit zu tun haben, dass man die Bundesrepublik nicht leiden kann, da sie auf vielen Gebieten erfolgreich ist (Nachbarn und Nichtnachbarn gerne gute Ratschläge erteilt).
Ich darf das, bin Migrantin. Finde den ESC schon seit immer musikalisch und stilistisch irgendwie cringe und unterirdisch; allerhöchstens dazu gut, einen lustigen feuchtfröhlichen Abend mit Freunden zu haben, sich nicht darum zu scheren, was Musik- und ESC-Kenner orakeln. Denn Deutschland kann allerhöchstens irrtümlich gewinnen, so wie 2009.
Wenn ich etwas mit zu entscheiden hätte, sollte Deutschland seine Teilnahme einige Jahre aussetzen, um diesen Bauchladen des schlechten Geschmacks und Mangels an Talent finanziell aushungern zu lassen. Guckt mal, wie gut es sich ohne das Geld, das Deutschland dazu beiträgt, dieses Volksfest der Beautyful Lies eines geeinten Europas, in dem sich alle Nationen liebhaben und mit Respekt begegnen, mit durchzufüttern, noch feiern lässt.
Was war das für ein Abend. Herzschmerz, Weltfrieden, Mord und die drei Tenöre. Früher hatte man sich neben den Outfits während der Punktevergabe noch auf ein paar nuttige Fummel gefreut oder wie im letzten Jahr auf polnische Pornopuppen, die sicher nicht nur die Butter auf der Bühne hart gemacht haben. Das ist vorbei. Dieses Jahr war es „politisch“ und dramatisch bis zum Erbrechen. Früher übergab man sich höchstens nach dem ganzen Sekt und den Massen an Knabberzeug, was man über den Fernsehabend hinweg konsumierte. Dieses Jahr musste man zwischendrin wegschalten, damit man nicht konstant aufgrund des Balladen-Einheitsbreis aufstoßen musste. Und als man gerade dachte, man könne mal wieder in die gerösteten Nüsschen greifen, kamen die drei Tenöre.