Damenmode

Chanel Cruise Collection 2019/20 – Le Train Bleu

(Chanel Cruise Collection 2019/2020 Photo by Lucile Perron)

Großer Bahnhof bei Chanel, im wahrsten Sinne des Wortes. Zur Cruise Collection Show im Grand Palais am Freitag den 2. Mai. wurde nach einer Idee von Karl Lagerfeld die prunkvolle, ehemalige Weltausstellungshalle in einen Bahnhof à la Gare de Lyon verwandelt. Inklusive des im Hintergrund über die große Jugendstil Freitreppe erreichbaren Restaurants, das angelehnt an das berühmte „Le Train Bleu“, mit seinen Wandgemälden aller Ziele der Chanel Cruise und Métiers d‘Art Kollektionen der letzten Jahre erinnerte.

Ein Bahnhof, der ideale Platz um in eine neue Chanel Era zu starten und gleichzeitig ein Ort, der viel Bedeutung in der Geschichte von Chanel hat. Coco Chanel lernte ihre große Liebe Boy Capel auf der Abreise von Biarritz nach Paris, auf dem Bahnhof von Pau kennen. Er hatte herausbekommen wann sie Abfuhr und sich einfach auch ein Ticket für den gleichen Zug gekauft. Karl Lagerfeld kam 1952 auf dem Gare du Nord von Deutschland in Paris an und ihn ließ die Stadt und das Reisen nie mehr los. Die Reisen der Chanel Kollektionen sind legendär und da liegt es nah sich im Grand Palais auf eine imaginäre Reise zu begeben, denn das wissen wir ja auch von Lagerfeld selbst, „Die Reisen, die einen am meisten inspirieren, finden im Kopf statt“ und seine besten Ideen bekam das Modegenie ja bekanntlich Zuhause beim Durchblättern seiner Tausenden Bücher und den Gedanken, die ausgelöst wurden durch die Vermischung sämtlicher Themengebiete. Umgesetzt in Zeichnungen verarbeitete er und „chanelisierte“ das Ganze zu Kollektionen.

Chanel Cruise Collection 2019/2020 Photo by Oliver Saillant

Eine Kollektion ist wie eine Reise – sie fängt mit Tagesgarderobe an und endet spät in der Nacht mit prunkvollen Abendroben. So immer noch in der Haute Couture, im Prêt-à-porter mittlerweile hat sich das geändert, wie das tägliche Leben, auch Chanels Klientel kombiniert lässiger, dafür ist Viginie Viard selbst das beste Beispiel.

Auf altmodischen Wartebänken nahm man unter den Destinationsschildern seine Plätze ein und man war noch ein bisschen aufgeregter, denn diesmal lag ein besonderes Augenmerk auf der Kollektion, die erstmals die erfahrene Virginie Viard, in Eigenverantwortung als Kreativdirektorin von Chanel vorstellte.

Die einstige Film- und Kostümausstatterin, die mehr als drei Jahrzehnte schon eng mit Karl Lagerfeld als Studioleiterin arbeitete, war mir das erste Mal aufgefallen, als sie frech und jung und immer ein bisschen rockig, aus einem Pressefoto der damaligen Haute Couture heraus lachte. Karl hatte seine Assistentinnen ausgewählt, um die Hüte der Kollektion zu präsentieren. Sie ging mit ihm seit dieser Zeit, wie man so schön sagt, durch dick und dünn und setzte alle seine Entwürfe mit den Ateliers um. Garant also für die Verinnerlichung des Chanel-Stils und mit ihrer Parisienne-Lässigkeit eine Frau, die weiß, was Frauen heute wirklich anziehen wollen.

Die Cruise Kollektion ist immer eine unbeschwerte Reisekollektion, die im Gegensatz zur Haute Couture, mehr Tagesensembles und Kombimode zeigt, die den täglichen Stil der Chanel Kundin repräsentiert. Also genau das Richtige um sich von dem Hafenkai der „La Pausa“ Kollektion auf den Bahnhof zu begeben um nach Antibes, Saint Tropez, Rom oder Edinburgh ab zu fahren.
Zur Musik von Michel Gaubert begann ein Defilé bei schönstem Sonnenschein. Der „Train Bleu“, der legendäre Zug, den Gabrielle Chanel so gerne nahm, wenn sie nach Roquebrune in ihr Feriendomizil „La Pausa“ fuhr, kann starten, mit den Looks, die perfekt in das Jahr 2019 passen und die emanzipierte Frau, die ihr Geld selbst verdient anspricht. Unabhängigkeit war die stärkste Eigenschaft von Gabrielle, das hat sich auch Virginie Viard auf die Fahne geschrieben.

Chanel Cruise Collection 2019/2020 Photo by Oliver Saillant

Schon die ersten Looks stellen das Chanel Bild auf den Kopf und formen es sophisticated und modern. Die Tweed Kostüme, werden für die Reise in sand- und khakifarbene Trenchcoats und Saharienne-Kostüme in two-tone Optik eingetauscht. Abgepaspelt à la Chanel und getragen mit weiten Hosen, farbigen Accessoires und pastellig, pinkigen Taschen.

Ein schwarzer Popeline-Hosenanzug mit weißer Bluse und Coco’s Grosgrain-Schleife mit großer weisser Kamelie manifestiert eine der Ikonen des Hauses und inspiriert sich an den Bahnwärteruniformen des Fin de Siécle. Das Kissen, das Karl Lagerfeld bis zum Schluss auf jeder seiner Reisen begleitete, ein Geschenk aus seiner Kindheit, verwandelt das Chanel Team in eine weiche Clutch. Das weiße übergroße Hemd und die weiße Bluse bekommt ein Comeback in jeder Form, sogar als Bandeau-Top mit Riesenschleife, die flamboyant zwischen den offenen Kostümen herausquellen. Als Accessoires: Armbänder mit „Rue Cambon“ Addresstags, schmale Ledergürtel, wie die Tragriemen, der 2.55 Taschen, byzantinische Kreuze und lange Perlen- und Goldketten, Weiblichkeit und Femininität werden gegen Klarheit gesetzt. Die Balance sendet eine wunderbare Tragbarkeit aus, die aber trotzdem raffiniert wirkt.

Leichte Sommertweeds erscheinen in Pastellfarben oder sind inspiriert von dem impressionistischen Gemälde Claude Monets, „Le Gare Saint Lazare“ von 1877, wie ein morgendlicher Himmel in verlaufenden Wasserfarben. Von Lesage gestickte Pullis mit Ringelstreifen glitzern unter leichten Tweedjacken und Blousons hervor. Ein roter langer Strickmantel mit schwarzem Kontrast à la Coco Chanel und goldenen Knöpfen defiliert wie ein Chanel Signal dazwischen. Die Lampe der Rangierer kurzerhand als gesteppte Chanel-Clutch abgewandelt wird somit zum „It“Accessoire. Gekonnt mischt Viginie die Ikonen des Hauses mit dem Thema der Kollektion. Leichte halbhohe Bottine-Stiefelchen in zwei Farben, wie man sie Anfang des 20. Jahrhunderts auf den berühmten SEM Karikaturen in Deauville sah und zweifarbige Mary Janes, die elegant und trotzdem bequem in Lackleder daher kommen.

Chanel Cruise Collection 2019/2020 Photo by Oliver Saillant

Strickjacken und Blazer in lässigem Baumwollstrick erinnern mit ihren schwarz- und mokkafarbenden Blockstreifen an die bequemen Jerseyjacken, die Gabrielle Chanel lancierte, als sie in der Zeit um den Ersten Weltkrieg die Frauen vom Korsett befreite. Pullover mit Lurexeffekten oder mit CC-Emblemen machen Lust auf Ferien. Logomania-Leggings (die Neunziger lassen grüßen!) unter der neuen Chanel Jacke, die lässig gegürtet mit vielen Pattentaschen und Safarikragen in Pink,Smaragd oder royalblauen Edelsteinfarben leuchtet.

Bei den luftigen Chiffon-Partykleidern greift Virginie als Inspiration auf das Ballett „Le Train Bleu“, das Sergei de Diaghilev 1924 mit den Kostümen von Coco Chanel inszenierte, zurück und lässt luftige Bänder den Körper umschmeicheln. Spitzenkleider und Volantkleider im 1930er Jahre Style, mit Madras und Gitterkaros, laden zu warmen südfranzösischen Sommernächten ein und liefern eine Reminiszenz an Mlle. Chanels „Zigeunerkollektionen“, die sie vor dem Zweiten Weltkrieg herausbrachte. Eine Phase die Karl Lagerfeld auch zu seinen ersten Kollektionen inspirierte, als er 1983 Kreativdirektor des Hauses wurde.
Zu den schönsten und selbstverständlichsten Looks von Viard gehören für mich aber die Chanel-Kostüme, die ganz in Weiß gehalten, mit ihren kurzen Röcken so selbstverständlich wirken und trotzdem sehr Chanel sind. Die ikonische Jacke in ihrer Schlichtheit als Klassiker kaum zu übertreffen, besetzt mit einer kostbar gestickten Borte, dazu Miniock – fertig ist die moderne Chanel Frau.
Das „Kleine Schwarze“, Essenz des Chanel Looks schließt als Hommage an Lagerfeld, garniert mit einem Kragen in Weiß, der dem seiner Hilditch&Key Hemden ähnelt, und garniert mit den Ketten der Taschen das Defileé ab.

Virginie Viard überzeugt mit dieser fröhlichen Kollektion, weil ihr Statement sich zu den Wurzeln des Hauses bekennt, aber trotzdem das eindeutige Signal setzt, das Chanels Mode, genau im Sinne von Mademoiselle Chanel eine Mode und ein Stil ist, der modern und alltagstauglich ist. Sie geht ab von strengen Looks und kombiniert gekonnt und mit Humor eine ganz selbstverständlich gewachsene Kollektion. Chanels byzantinisch opulenten Armbänder werden zum Pulli getragen und der Tweed-Overall ist auch noch praktisch, wenn man die Kinder von der Schule abholt. Gedanken, die erstmals aufkamen, als der Mensch mobiler wurde und die Eisenbahn erfunden wurde, wobei wir wieder auf dem Bahnhof wären. Sehr Parisienne und französisch und mit der Handschrift einer selbstbewussten Frau, Viards Premiere der Chanel Cruise. Eine Kollektion, die so gar nicht Protz und Status suggeriert und die Chanel Klaviatur auf eine sehr moderne und selbstverständliche Weise spielt.
Bravo Virginie Viard – Chanels Reise für Frauen, die im Leben stehen.

  • thomash
    12. Mai 2019 at 20:10

    Die Reise geht weiter, was für eine schöne Metapher, und die nächste Etappe sieht ganz überraschend, anders und super aus! Und Kempe ist natürlich und natürlich wieder der beste Reiseführer durch diese Welt. Meilenstein!

  • fred
    12. Mai 2019 at 23:53

    Ich weiss nicht so recht. Ich habe es ja nicht live gesehen, sondern nur die Bilder. Gut gefallen mir gegen Schluss die kurzen weissen Kostüme. Sie wirken sehr frisch. Das macht Laune. Es ist auch alles mehr im heute angekommen, als es bei Monsieur Lagerfeld war. Aber es fehlt der Drive, würde ich mal sagen. Das ein oder andere kommt sehr „diorisiert“ daher. Man merkt dann schon den enormen Einfluss der anderen immer mächtiger werdenden Marke, zum anderen sind es mir ein paar zu viele „olle Chanel-Kamellen“. Es ist zeitgemäss, safe und vernünftig gemacht, aber es wirkt etwas unsicher auf mich und ich sehe keine wirkliche Vision dahinter. Es gibt schöne Elemente und ich finde es schön, wieder die Blüte mit dem schwarzen Band zu sehen. Das mochte ich immer sehr und die weissen Kostüme, die mich sehr überzeugen. Aber weniger wäre in dem Fall mehr gewesen. Vielleicht nur mal eine „Kern-Kollektion“ zum Konzentrieren. Es hätten nicht gleich 80 Modelle sein müssen. 20 hätten gereicht und wären ein Substrat für das Kommende gewesen, meiner Meinung nach. Ich befürchte, es wird etwas lahm werden. Der KL-Elan fehlt und das spürt man halt doch. Wenn der Gründer und Namensgeber weg ist, dann ist das nicht das gleiche. Wie bei YSL, bei Jil Sander usw. Chanel hat ein höheres Niveau, aber so richtig den „Schmiss“ bringt es für mich noch nicht rüber. Ich bin auf die Haute Couture gespannt.

  • Søren
    13. Mai 2019 at 10:31

    @fred: „Der KL-Elan fehlt und das spürt man halt doch. Wenn der Gründer und Namensgeber weg ist, dann ist das nicht das gleiche.“
    Aber schon klar, dass Karl Lagerfeld weder Gründer noch Namensgeber der Marke „Coco Chanel“ war, oder?

    Mir hat die Kollektion von Viard wahnsinnig gut gefallen, genauso wie der Artikel von Peter Kempe, vielen Dank dafür.

  • fred
    13. Mai 2019 at 15:08

    @SØREN

    Upppppps, ich dachte immer Karl Lagerfeld hätte die Marke gegründet. Ja gut, dann ist das was anderes.

  • JayKay
    13. Mai 2019 at 16:08

    Danke für den schönen Artikel. Ob die Kollektion gut oder schlecht ist, kann ich nicht richtig beurteilen. Mir kommt es auch ein bischen lahm vor. Man muss sich auch davon verabschieden zu denken: „Was würde Karl an dieser Stelle machen“ Man muss jetzt auch Veränderungen akzeptieren können. Ich persönlich glaube ja, dass in den letzten Jahren die von Karl entsorgten Zeichnungen im Mülleimer nicht weggeschmissen wurden, sondern heimlich für alle Fälle noch mal aufgehoben wurden, um daraus notfalls noch weitere Kollektionen bastlen zu können 🙂

  • fred
    13. Mai 2019 at 18:31

    @JAYKAY

    Danke. Ja, so sehe ich es auch und so kommt mir die Kollektion auch vor. Man sollte sich jetzt wirklich verabschieden und was neues machen und nicht das Alte aufwärmen bis zum letzten Ende.

    Und es stimmt, es ist ein ausgezeichneter Artikel. Kolletkion hin oder her. Kempe-Artikel sind immer Spitzenklasse!

  • Gerd
    14. Mai 2019 at 18:19

    Willkommen zurück – freue mich sehr, Peter.
    Und der Artikel vermittelt ein Dabei-gewesen-sein.