Damenmode

Herbstsonate

(Foto: Olivier Saillant)

Wie immer am vorletzten Tag der Pariser Fashion Week zeigte Karl Lagerfeld seine Prêt-à-porter-Kollektion für Herbst/Winter. An einem der ersten Frühlingstage im von großer Kälte überzogenem Europa hatte man schon vor der Schau das Gefühl, dass sich zu diesem Ereignis die Anzahl der Journalisten aber auch der Fashioninteressierten verdoppelt hat.
In Paris gehört die Chanel-Schau zu den gesellschaftlichen Ereignissen ersten Ranges. Mode ist Staatssache, wie der am Abend davor stattgefundene Empfang im Élysée-Palast mit allen Teilnehmern der Fashion Week beim Präsidenten Emmanuel Macron und der First Lady Frankreichs, Brigitte Macron, zeigte. Chanel bildet dabei mit Karl Lagerfeld so etwas wie die Galionsfigur der Luxusbranche.

Foto: Olivier Saillant

Vor dem Grand Palais zeigte ein Auftrieb von vor allem aus Asien stammenden, immer umfangreicheren Teams, die man nicht mehr als ‚Street-Style-Fotografen‘ bezeichnen kann. Es gibt reiche Chinesen oder Koreaner, die Teams von sechs Personen und mehr mit sich hatten – vom Visagisten, Beleuchter, Fotografen bis zu Assistenten, die nur für die Social-Media-Kanäle Shootings machen. Dabei besucht noch nicht mal ein kleiner Prozentsatz derer, die sich dort präsentieren, die Schau, was an sich schon einen Anachronismus bildet. Während die Selbstdarstellung scheinbar immer mehr ausufert und die Looks weniger mit der Persönlichkeit der Träger zu tun haben, sondern wie eine wahllose Kombination aus It-Pieces und möglichst limitierten und teuren Teilen, die auf den ersten Blick ihre Herkunft verraten, bestehen. Es geht nicht um eigenen Stil, sondern darum, dieses oder jenes zu zeigen – egal, ob eigen oder geliehen. Es scheint, dass es dem Träger nur für den Moment des Postens in den Social-Media-Kanälen etwas bedeutet.
Wenn man so lange wie ich in der Mode agiert, befremdet, ja beängstigt einen dieses Verhalten zunehmend. Denn was diese Menschen antreibt, ist sicherlich nicht die Wertschätzung und das Verständnis für Mode, für die zum Beispiel Chanel mit all seinen Ateliers steht …

Doch diese Welt ist beim Betreten des Grand Palais schnell vergessen. Schon die Einladung mit einem braunroten Ahornblatt und in weichem, bordeauxrot gedruckten verschlungenen C‘s verriet, dass es sich um ein Herbstthema handelt, das Karl Lagerfeld zu seinen neuen Entwürfen inspirierte.

Foto: Olivier Saillant

Die komplette große Kuppelhalle des Grand Palais erscheint, als wäre über Nacht ein Wald darin gewachsen. Aber nicht irgendeiner, sondern ein Herbstwald von ungeheurem Duft, umgeben von einem blauen Himmel, der von einer sanften Sonne erwärmt wird. Die Bäume wurden von der Jahreszeit entblößt; ein mit Herbstlaub bedeckter Boden bildet einen „indischen Sommer“, wie Karl Lagerfeld sagt. Dazu ein geschicktes Spiel mit verspiegelten Podien, auf denen die Zuschauer sitzen und einem Pavillon, aus dem die Models heraustreten.
Die Wärme der Natur wird in der Unendlichkeit wiedergegeben – ähnlich wie die Codes und der Stil Chanels losgelöst von Zeitgeist und Strömungen funktionieren. Die Perfektion des Dekors ist fantastisch und ebenso detailliert wie jedes einzelne Element der Mode und jeder einzelne Schitt – vom Weben des Stoffes bis zur Eigenentwicklung eines jeden Knopfes, Dessins oder sei es eine der Borten, die die Kostüme ziert. Sogar an das Recyclen der Bäume wurde gedacht: Chanel hat im Vorfeld 100 große Bäume als Donation aufgeforstet.
Innerhalb dieses Wald-Dekors treten die Models nacheinander aus der Kulisse um ihren langen Weg durch das Grand Palais anzutreten. Die Musik, gemixt von Michel Gaubert, bildet den idealen Gegensatz zur Stimmung des Waldes. Der Soundtrack ist modern und verleiht mit beispielsweise dem Remix von Pat Cawley von Donna Summers „I feel Love“, der Präsentation Leichtigkeit. Die Farben sind eine Palette von Rotbraun, Rot und Orange, Moos und Kiefergrün, Rindenbraun, dazu viele Modelle in Samt in warmen Drucken mit Laub oder Ringen aus grauem Holz, ergänzt durch die signifikanten Farben Schwarz und Weiß des Hauses.

Foto: Olivier Saillant

Die lange und röhrenförmige Silhouette wird mit verbreiterten, eckigen Schultern, puren und hohen Kragen im Stil von Danton oder Offizierskrägen betont und wirkt dadurch leicht zweidimensional. Nichts wirkt beengt, sondern umschmeichelt die Trägerin großzügig. Mit Godetfalten und weichen Bögen oder Schößchen im Stil von horizontalen Doppelponchos entfaltet sich die Linie und wirkt sehr weich und weiblich. Die ikonische Chanel-Jacke bekommt ein neues „Gesicht“ und ist bis zur Mitte des Oberschenkels verlängert oder ist taillenkurz geschnitten. Oft erscheint sie auch als Hosenanzug und ist mit Pelerinen oder weichen, wie stufige Volants wirkenden Schulterbesätzen aufgelockert.
Der Tweed, klassisch, flaumig, ausgefranst oder gewebt, wechselt sich mit Wollstoff, Baumwollstoff, weichem Strick, Cord und Samt ab. Lange, gerade geschnittene oder zweireihige Mäntel betonen die durchgehende Linie und wirken wie „chanelisierte“ Jagdmäntel. Jedes Mal wird dies durch ein Spiel von Applikationen, Stickereien oder Materialmix verstärkt. Große Umschlagmanschetten oder Federn als Saumbesatz oder an den Manschetten wirken glamourös.
Die Bleistiftlinie von Röcken und Kleidern ist optisch mit einem Schlitz unterbrochen; besetzt mit Borten und weiche Drapierungen lassen sie sehr feminin erscheinen. Die gegürtete Hose ist weit und rund geschnitten, lässt sich auf die neue Linie ein, wird zum Schmuckstück in goldenem Leder oder warmen erdigen Farben wie Terrakotta.

Wichtige Details sind bei Chanel die Accessoires, das Make-up und das Haarstyling. Frisuren werden geknotet wie verzweigte knorrige Astverzweigungen. Dazu ein weiches warmes Make-up in zarten Bronze- und Pfirsichnuancen, wie die Herbstsonne. Highlighter in Gold ließen die Wangen höher erscheinen. Die Lippen, dezent in samtiges Nude gehüllt – der Look der Show sollte wie nach einem Waldspaziergang aussehen.
Üppiger Schmuck und mit Blättern ziselierte Knöpfe brechen die verhüllende Schlichtheit auf. Schwarz wird mit den berühmten Chanel-Borten aufgebrochen in schimmernden Gold gewebt wie Blätterranken; Perlenketten und Goldketten mit pastellfarbenen Glasflusssteinen, mit Ketten und Perlen üppig verflochtene Halsketten und gedrehte Armbänder; Ohrringe mit Cabochon-Steinen und grafischen Anhängern.
Overknees, Reiter- und Husarenstiefel und Brogues aus oxidiertem Goldleder. Fingerlose, lange Handschuhe aus fuchsia- oder pinkfarbenem Leder bilden Hingucker zu den abgesetzten neuen Taschen.

Die neue Tasche mit dem Namen „31“ ergänzt die Familie der Chanel-Taschen und hat dazu noch eine wunderbare Geschichte. Die großzügige Form dieses Shoppers kombiniert glattes Leder mit gestepptem Leder, bedrucktem Baumwollcanvas oder Tweed. Der Name „31“ hat natürlich mit der Hausnummer 31 in der Rue Cambon zu tun, dem Stammsitz von Chanel, bezeichnet aber auch in Frankreich, das man sich ganz besonders schön anzieht. „Se mettre sur son 31“ bedeutet so etwas wie „sich in Schale zu schmeißen“.
Die Tasche geht auf eine Tasche Coco Chanels zurück, die sie in den Sechziger Jahren ihrer engen Freundin, der Psychoanalystin und Schriftstellerin Claude Delay schenkte, die auch ihre erste Biographie „Chanel Solitaire“ verfasste. Delay, heute in hohem Alter, brachte die Vintagetasche Karl Lagerfeld und der erschuf daraus in neuer Proportion und mit seiner Interpretation das Modell, was man Falten oder auch lässig unter den Arm klemmen kann. Cocos Klassiker sind immer wieder die Wurzeln für das, was heute bei Chanel entsteht.

In der Herbst/Winter-Saison 2018/19 ist die 11.12-Tasche mit Strasssteinen verziert. Chanels Gabrielle-Tasche kommt, passend zu den Outfits, als Miniversion zurück. Die Kamelie verwandelt sich in eine glitzernde Abendtasche, während ein Holzscheit zu einer Minaudière aus Chinalack wird.

Die Abendleider und Spitzenkleider sind Chanel-Klassiker des kleinen und großen Schwarzen de luxe. Fragile Kleider aus besticktem Tüll und Organza werden unter einer gesteppten Daunenjacke mit Zopf getragen. Leder wird mit Spitze über einem kleinen schwarzen Kleid mit drapierten Ärmeln kombiniert und wird als breite Hose getragen. Satinbänder umhüllen Etuikleider oder ein Jabot ziert den Kragen eines Kleides aus plissiertem Tüll. Crêpe-Blusen sind an der Schulter und den Handgelenken gesmokt und als große Manschette plissiert. Spitze und schwarzer Samt sind dezent glitzernd mit Silber durchwebt, Pailletten sind Ton in Ton nie auffällig.
„Die Anmut der Natur, stark und doch zerbrechlich, die ständig in ihrer ganzen Pracht und Reinheit wiedergeboren wird. Ein ewiger Prozess der Erneuerung erinnert uns daran, dass die Zeit keinen Einfluss auf die Ikonen, den Stil und den Reiz von Chanel hat“, sagt Karl Lagerfeld über diese Kollektion.

Foto: Olivier Saillant

Eine wirkliche Chanel-Herbst/Winter-Kollektion voller Raffinesse, die noch eine Reminiszenz an Lagerfelds Kindheit enthält: Der Wald mitten in Paris, gefällt dem Genie nicht nur, weil er ihn zu dieser Jahreszeit besonders schön findet. Das Haus, in dem er bei Hamburg aufwuchs, befand sich in eben einem solchen Wald mit einer langen Auffahrt, ganz so wie der Catwalk im Grand Palais. Als Karl Lagerfeld vierzehn oder fünfzehn war, konnte er von seinem Zimmer auf Gut Bissenmoor in Schleswig Holstein genau so in den Wald gucken, wie an diesem Tag im Grand Palais.
Coco Chanel hingegen sammelte Herbstlaub auf ihren Spaziergängen, um sie ihrem schottischen Tweed-Weber Linton als Farbinspirationen zu zeigen. So schließt sich der Kreis und der Stil von Mademoiselle und Lagerfelds Visionen verbinden sich zum jetzt und heute. Eine fulminante und großartige Kollektion, die länger als einen Herbst gültig ist und in jedem Detail beweist, das Mode sehr viel mehr bedeutet, als das sie nur als Show Piece taugt.

„Chanel, es ist wie das Leben selbst, Kleidung, die eine Möglichkeit für jede Art und Gelegenheit des Lebens ist“, sagt Lagerfeld ‚und das ein Leben lang möchte‘, man ergänzen.

  • Horst
    12. März 2018 at 10:52

    Beeindruckend auf vielen Ebenen!
    Wo war eigentlich Hudson Kroenig?

  • Thomas
    12. März 2018 at 18:55

    Karl kann’s einfach….und Peter auch