Interieur

Peters Cutting’s – Als die Möbel Memphis wurden


Tawaraya Boxring – 1981; Designer: Masanori Umeda; Bild via Stylefrizz

Ende der siebziger Jahre steckte die Möbel- und Designindustrie in einer tiefen Krise. Die Avantgardisten der sechziger und die psychodelischen Farben der siebziger waren durch und man orientierte sich an Post-Bauhaus und schwerfälligen Formen. Der Spaß schien aus dem Interieur Design raus und Italien, dass auf dem Sektor von Möbeln und Design führend war hatte, zwar den berühmten Salone de Mobile in Mailand, der übrigens nächste Woche nach wie vor stattfindet, aber die großen Creationen aus dem eigenen Land lagen schon etwas zurück. Carlos Mollino hatte in den fünfziger und sechziger Jahren Meisterwerke geschaffen. Auch so etwas wie das Graphische, gerade Design von Zanotta war in dem Land, wo die Zitronen blühen, erfunden worden. Nun stand man vor einem Wendepunkt. Die jüngeren Designer hatten den Funktionalismus gehörig satt und wollten etwas Neues und Modernes schaffen, dass aber mehr eigenes Profil und Witz hatte.

‚Ashoka’Tischlampe; Ettore Sottsass; Bild via thebplot

Ettore Sottsass, damals 60 Jahre alt, beschloss sich im Dezember 1980 mit seinen italienischen Designkollegen zu treffen und gemeinsam darüber nachzudenken, ob man nicht eine neue Linie und einen neuen Weg gemeinsam einschlagen könnte.
Mit dabei waren Martine Bedin, Aldo Cibic, Michele De Lucchi,der junge Matteo Thun und Marco Zanini. Auf dem Plattenspieler lief dabei der Bob Dylan Song „Stuck Inside of Mobile With the Memphis Blues again“. Memphis – das stand einerseits für Rock’n Roll und der Stadt, die unmittelbar mit Elvis Presley verknüpft war und für die alte Königsstadt in Ägypten. Also eine Verquickung von Moderne und Tradition.

‚Tahity‘ Tischlampe; Ettore Sottsass; Bild via the80sgallery

Die vordergründige Funktionalität von Designobjekten stellte Memphis radikal in Frage. Alltagsformen wurden positiv, lustvoll und phantasievoll interpretiert. Im Vordergrund steht das Möbel als Ikone mit hohem Wiedererkennungswert. Möbel wurden aus elementaren Formen (Kegel, Kugeln, Pyramiden, Würfel) zusammengesetzt und mit grellen Kunststofflaminaten beschichtet [wiki]. Außerdem wollten die Designer auch mit dieser Linie ihre eigenen Vorstellungen und nicht die ihrer Auftraggeber verwirklichen. Boxring statt Sofa, Turmbau statt Schrankwand.
Nach einem zweiten Treffen und dem weiteren Dazukommen von Designern wurde Ende 1981 die erste Kollektion präsentiert. Auf der Mailänder Möbelmesse schlugen die Creationen ein wie eine Bombe. Die internationale Einrichterszene wurde dadurch total verstört und es gab eine kleine Revolution.

‚SUPER‘ Tischlampe; Martine Bedin; Bild via gribouillismagazine

Schnell verbreitete sich durch die Hochglanzmagazine, die dringend, genau wie die Designer, nach Neuem suchten, der Stil Memphis weltweit. Der Designer Karl Lagerfeld hatte sich gerade in Monte Carlo, in einem großen Apartmenthaus eine Wohnung gekauft und meinte, dass in diese Wohnung nichts Altes passte. Er entdeckte als einer der ersten die Memphis Sachen und die gesamte Wohnung wurde damit ausgestattet. Lagerfeld trieb’s wie immer bis zum Exzess und hatte eine der größten Sammlungen. Später wurde diese Wohnung legendär und bereits Anfang 1991, als Lagerfeld, wie vormals seine Art Deco Kollektion, bei Sotheby’s versteigern ließ, erzielten die Teile Höchstpreise.

„Carlton“ Raumteiler, Ettore Sottsass; Bild via domosfera

Da Memphis seine Möbelstücke mehr wie Ikonen sah (das typische Design Item kam auf) waren die Sachen schwierig in der Verbreitung im generellen Markt. Sammler, Museen und Galerien rissen sich darum, aber der Massenmarkt des Designs war zwar beeinflusst von Memphis, kopierte aber brutal und erbarmungslos und verfremdete die Grundideen ins kommerzielle.
1988 bereits löste sich die Gruppe auf aber die Produkte wurden und werden teilweise noch heute gefertigt wie die berühmte Lampe „Tahity“von Ettore Sottsass oder auch das Bücherbord Carlton von ihm. Martine Bedins rollende Tischleuchte „Super“ kann man immer noch erwerben.
Memphis ist die Design Revolution am Ende des 20 Jahrhunderts gewesen und hat die achtziger Jahre auch in unseren heutigen Augen sehr geprägt. Es ist eigentlich das Synonym für das Design der Popper-Ära und tendenziell werden Original Stücke aus der Zeit jetzt schon wieder zu Höchstpreisen gehandelt. Sicherlich wird es kein komplettes Comeback des Stils geben aber Einzelteile finde ich haben heute schon wieder ihren Reiz und wenn es nur eine Pfeffermühle von Alessi ist. Als Design-Zitat in der Wohnung oder als wirkungsvoller Kontrapunkt zu nordischen Klassikern – Memphis ist back.

  • Katja
    9. April 2012 at 17:49

    Nein, die Möbel gefallen mir nicht! Als Objekt im Museum vielleicht aber will ich im Boxring schlafen?

  • Monsieur_Didier
    10. April 2012 at 11:00

    …die Sachen sind IMMER NOCH ganz ganz großartig…
    ich kann mich noch ganz dunkel an einen riesen Bericht im STERN erinnern (damals war diese Zeitung auf dem breiten Markt wirklich führend, was neue Trends betraf)
    und war wirklich elektrisiert…
    das drängte für einige Zeit meine Vorliebe für die 50er + 60er in den Hintergrund.
    Sicherlich hat sich das wieder geändert, die 50er + 60er sind nach wie vor mein bevorzugter Wohnstil, aber MEMPHIS, das hat die Gehirnwindungen freigefegt. Ähnlich muss das um die Jahrhundertwende mit den Futuristen in der Kunst gewesen sein…

  • Horst
    10. April 2012 at 11:11

    Die meinung bezüglich Memphis gehen im Hause Blomquist/Horst weit auseinander – ich hätte gerne eine SUPER Lampe und würde sie irgendwo auf den Boden stellen und Blomquist ist gar kein Fan von den Möbeln.
    Ich find sie dosiert doll!

    meine Leidenschaft gehört aber wie bei @Didier den 50er und 60er Jahren

  • Horst
    10. April 2012 at 11:11

    und der Raumteiler ist der Knaller!!

  • Monsieur_Didier
    10. April 2012 at 11:21

    …ach das freut mich aber…!!! (ich meine jetzt mit den 50er + 60er Möbeln)
    und mir gefällt besonders die ‘Ashoka’Tischlampe und auch der Raumteiler „Carlton“ ist wirklich super…
    dosiert ist MEMPHIS immer noch Atemberaubend…

  • Horst
    10. April 2012 at 11:29

    wir hatten auch mal ein paar Bilder unserer Wohnung veröffentlicht – http://horstson.de/wie-wohnt-eigentlich-horst/2011/12/
    mittlerweile sind noch 2 eames stühle am esstisch dazugekommen… 😀

  • Monsieur_Didier
    10. April 2012 at 11:36

    …diesen Bericht habe ich natürlich schon längst gelesen und war sehr erfreut, Bilder einer Wohnung sehen zu können, mit der ich mich so gut identifizieren kann…
    die Eames sind immer noch die für mich besten Designer der Mid-Century-Phase…
    ich habe ein paar Sachen von ihnen und mir gefällt, dass es Möbel sind die einen hohen Zutzen und absoluten Comfort haben, aber auch besonders, dass es Designobjekte sind, die ich immer wieder gerne ansehe und die mein Auge und mein Herz total erfreuen…
    (klingt das ein wenig schwülstig???…mir doch egal 😉 )

  • Siegmar
    10. April 2012 at 11:48

    ich fand Memphis am Anfang grossartig, dann hat jedes bessere Möbelhaus versucht irgend etwas Memphis ähnliches zu machen, was natürlich in die Hose ging, weil man versucht hat einen breiten Geschmack zu bedienen. Eine komplette Wohnung wie damals bei Lagerfeld kann ich mir nicht vorstellen, einige Sottsass und Thun -teile sind aber sehr toll.

  • Siegmar
    10. April 2012 at 11:51

    @ Peter Kempe

    wie immer ein toller Artikel über einen Stil der fast vergessen ist, aber dank Dir wieder in Erinnerung gerufen wird. Ich fand in dieser Zeit noch einen ganz toll, das war Mario Botta und seine Möbel- u. Lampen-Entwürfe.

  • Monsieur_Didier
    10. April 2012 at 14:19

    @ Siegmar:…ja, Du hast es auf den Punkt gebracht, durch diese Verwässerung auf dem breíten Massenmarkt trat dann ganz schnell eine Übersättigung statt…
    und es war wirklich fast jedes Möbelhaus…

  • Horst
    10. April 2012 at 14:33

    @Didier nee, kleingt nicht schwülstig. Im Grunde genommen ist es ja auch so und man freut sich über so ein Möbelstück weil es ja auch sowas wie eine Seele hat… (das mit der Seele war jetzt schwülstig 😉 )