Bild: Horstson
Während die Welt draußen schwer an sich trägt, wirbelt Hamburg einmal im Jahr ein bisschen Leichtsinn durch die Straßen. Ich habe mich unter die Pailletten gewagt – und zwischen Polyester und Pappbecher eine überraschende Erkenntnis gefunden.
Es gibt Dinge, die sollte man als erwachsener Mensch eigentlich nicht mehr tun: Bucket Hats tragen, in WhatsApp-Gruppen „lustige“ Memes Posten oder sich auf offener Straße in ein quietschrosa Netzhemd zwängen, das aussieht, als habe man es in einer Mischung aus UV-Licht und Helium geschrumpft. Und doch taten das am vergangenen Samstag humdertausende Menschen – freiwillig. Der Schlagermove 2025 war wieder da. Hossa! Hamburg wurde für einen Tag zur Hauptstadt des stilistischen Kontrollverlusts.
Natürlich ist das alles geschmacklich eine Zumutung. Polyester in Farben, die nicht einmal an Verkehrskegeln schmeichelhaft wirken, Sonnenbrillen im Stil der 1970er-Autowerbung, kombiniert mit einer Prise „Ich hab’s auf der Junggesellenparty in Malle gefunden“ – man kennt das. Die Gürteltasche bleibt der rote Faden des kollektiven Modeversagens, sie wird mittlerweile – so durfte ich feststellen -mit einer gewissen Nonchalance getragen, als hätte man sich für die Apokalypse mit Schnaps und Powerbanks gerüstet. Der Musikgeschmack dazu? Unverändert schunkelkompatibel, wobei der Grat zwischen ironisch und ehrlich inzwischen so schmal ist wie die Träger der Glitzertops. Wer hier noch zwischen Trash und Identifikation unterscheidet, hat den Move nicht verstanden.
Und trotzdem – oder gerade deshalb – ist dieser Tag nicht das Problem. Man könnte es natürlich zerreden: dass das alles doch eskapistisch sei, dass sich hier eine Gesellschaft in die heile Welt von „Ein bisschen Spaß muss sein“ flüchtet, während anderswo Dinge passieren, über die man lieber schweigt. Aber vielleicht ist das genau der Punkt. Der Schlagermove ist keine Verweigerung der Realität, sondern ein bewusstes, flüchtiges Dagegenhalten. Einen Tag lang unpolitisch, unvernünftig, unlogisch – und dabei überraschend friedlich. Kaum Zwischenfälle, kaum Polizeieinsätze. Keine Parolen, keine Grabenkämpfe. Nur Glitzer, Gesang und das gute alte „Wir wollen einfach nur tanzen“. In einer Welt, in der vieles schwerer wird, ist das vielleicht naiver Eskapismus – aber sicher nicht der schlechteste.
Und man muss es vielleicht so sagen, auch wenn es weh tut im intellektuellen Stolz: Wenn es jeden Tag Schlagermove gäbe, dann hätten wir vermutlich weniger Sorgen. Nicht, weil Polyester, Dosenbier und „Fiesta Mexicana“ die großen Fragen der Zeit beantworten könnten – sondern weil in dieser albernen, lauten, völlig geschmacklosen Einigkeit eine seltsame Form von Frieden liegt. Einer, der keinen moralischen Überbau braucht.
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