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Dior Debüt: Die wunderbare Welt des Jonathan Anderson

Foto: Adrien Dirand

Mit einem stillen Knall betritt Jonathan Anderson die große Bühne von Dior – und zwar auf seine ganz eigene, subversiv gelassene Weise. Andersons Debütkollektion für das Haus hat nichts von einem lauten Befreiungsschlag, aber alles von einer eleganten Zeitenwende. Und das, obwohl Anderson in große Fußstapfen tritt: Kim Jones, sein Vorgänger, verstand es brillant, Streetwear und Haute Couture miteinander zu verweben. Dennoch – Anderson hat nicht den Fehler gemacht, den modischen Schatten zu verlängern. Vielmehr setzt er sich ans Steuer eines ganz neuen Dior-Wagens. Ziel: Vergangenheit als Spielplatz der Gegenwart.

Schon die Präsentation spricht Bände: Kein digitaler Firlefanz, keine überproduzierte Inszenierung. Stattdessen ein Raum, der der Berliner Gemäldegalerie nachempfunden ist – samtrote Wände, zwei stille Meisterwerke von Jean Siméon Chardin und eine Atmosphäre zwischen gedämpfter Museumsandacht und intellektueller Aufmüpfigkeit. Hier also entfaltet sich Andersons Dior-Debüt: eine leise, aber pointierte Neuinterpretation der Marken-DNA – gespickt mit Anspielungen, bei denen Kenner (und Loewe-Fans) sanft seufzen und Archiv-Liebhaber leuchtende Augen bekommen.
Denn so sehr Anderson auf Reminiszenzen an seine unmittelbaren Vorgänger verzichtet, so tief taucht er ins historische Archiv. Es ist kein Zufall, dass das berühmte „Delft“-Kleid aus dem Jahr 1948, Marc Bohans ikonischer grüner Cape-Blazer und das grazile „La Cigale“-Kleid von 1952 als visuelle Ankerpunkte auftauchen. Nicht zitiert, sondern dekonstruiert und neu erfunden. Es ist, als würde Anderson durch die Dior-Geschichte flanieren – mal versonnen, mal schelmisch – und sich bedienen, wo es passt.

Und passend ist hier vieles: Donegal-Tweed trifft auf Regimentskrawatten, Rokoko-Rosen kuscheln sich an Diorette-Charms, und die Dior Book Tote verwandelt sich in eine literarische Liebeserklärung – mit Buchumschlägen von Baudelaire bis Capote, ganz im Sinne eines modeaffinen Bibliophilen. Besonders entzückend: die Lady Dior in einem gewebten Leinenkleid von Textilkünstlerin Sheila Hicks. Dior meets Designbiennale.
Typisch Anderson ist die Kollektion in Teilen fast schon frech-preppy – Collegeboy-Charme mit Maßanzug-Mentalität. Diese ironische Leichtigkeit tut Dior gut, das sonst oft in künstlerischer Erhabenheit schwelgt. Die Kleidung wirkt wie ein intellektuelles Zitat auf das Zitat, irgendwo zwischen Dandytum und Dekonstruktion, zwischen Oxford und Versailles.

  • Foto: Courtesy of Dior

Am Ende bleibt ein Gefühl von raffinierter Erneuerung: Anderson spricht nicht die Sprache von Dior, wie sie zuletzt gesprochen wurde – er komponiert sie neu. Mit britischem Understatement, akademischem Witz und einem feinen Gespür für Modegeschichte als lebendige Materie. Und vielleicht ist das die eigentliche Botschaft dieser Kollektion: dass wahre Eleganz nicht laut ist, sondern klug – und dass Stil nicht zu definieren, sondern zu empfinden ist. Bloody brilliant, Mr. Anderson!

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