Allgemein

Peter’s Cuttings: La révolution de la mode – Als Yves Saint Laurent die Prêt-à-Porter-Boutique erfand*

Das französische Modeschöpfer was Fertiges in Konfektionsgrößen von der Stange verkaufen, gibt es noch gar nicht solange, genauer gesagt genau so lange, wie ich alt bin -nämlich seit 1966. Französische Couturiers waren ja schon immer für ihre Schneiderkunst berühmt und natürlich auch für ihre Kollektionen, doch im Prinzip wurde eine Kollektion zum Frühling und zu Herbst vorgeführt und jede Kundin bestellte dann nach ihren Maßen die von ihr ausgewählten Modelle.
Ein Couture-Haus musste mindestens 70 Modelle pro Saison vorführen, die im eigenen Atelier gefertigt wurden und sich dann verpflichten, diese im eigenen Salon 30 mal vorzuführen. Außer privaten Kunden gab es sogenannte Kommissionätre, die einen Betrag an den Couturier bezahlten und dafür Nesselschnitte von Modellen bekamen, die sie dann mit der passenden Zutatenliste zur Abwandlung benutzten. Also sowas wie Kopien auf hohem Niveau, mit dem Einverständnis des Modeschöpfers.

Der Couturier Paul Poiret (er befreite die Frauen vom Korsett) hatte Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts die Idee, unter der Treppe im Aufgang seines Modehauses Accessoires und Hüte, die fertig zum Mitnehmen, im Stile der Kollektion Waren zu verkaufen,und führte dieses als erstes ein. Es waren aber eher Kleinigkeiten, später Parfums, Schals oder Strümpfe. So eine richtige fertige Kollektion gab es bis Ende der vierziger Jahre bei keinem der Modemeister.
Christian Dior und Jaques Fath entdeckten als erstes das Lizenzgeschäft: Accessoires, Brillen und einfache Kleider, die sie mit ihrem Namen versahen und die in Amerika oder Südamerika verkauft wurden.
Als Christian Dior 1955 starb, übernahm der blutjunge Yves Matthieu Saint Laurent, der vorher Diors Assistent war, dass Modehaus und die künstlerische Leitung, aber auch er machte nur Couture-Kollektionen. 1960 regte sich die Modewelt geschlossen auf, weil Saint Laurent in der sogenannten Ebatnick-Kollektion Einflüsse der Strasse aufnahm. Rollkragenpullover oder Strick-mützen, sowie eine Alligator-Motoradjacke – sowas hatte es noch nie in einer Couture-Linie gegeben. Das Haus Dior brach mit Saint Laurent und stellte Marc Bohan ein.
Saint Laurent machte sich mir Pierre Bergé selbständig und nahm alles brauchbare Personal von Dior mit – inklusive seines Lieblings-Modells Victoire Doutrelou.
Er war jung und seine Freunde auch und der Stil der meisten Häuser madamig und gesetzt. Ein paar junger Modeschöpfer rebellierten langsam aber sicher gegen das damalig vorherrschende Fashion-System. Konfektionshäuser kamen auf: Chloé, Tiktiner, Timwear -junge Mode von der Stange für erstaunliche Preise. Man muss sich das in etwa so vorstellen, wie das Erscheinen von H&M und Zara zu Beginn der neunziger Jahre – sowas gab es vorher nicht.

Die Freunde von Yves Saint Laurent waren eher sowas wie wilde Bourgeoise – sehr frei denkende Leute der „Vorhippie-Zeit“ und drängten Yves immer mehr, neben seiner Couture ähnliche Looks zu machen, die aber fertig und bezahlbarer waren. Damals kostete ein Couture-Outfit etwa 5000 Franc, was für keinen erschwinglich war, der jung war. Betty Catroux, Exmodell der gestrengen Coco Chanel war ein typisches Rive Gauche Mädchen: lange blonde Haare, Lederjacke, Jeans und Loulou de la Falaise – freiheitsliebend und schon damals eher in Hippie-Klamotten unterwegs – weicher und verspielter als Betty. Sie waren Saint Laurents Musen und seine Beraterinnen. Betty war so wie Yves- aber als Frau. Loulou verkörperte die weiche Seite.

Anfang 1965 entschieden Pierre und Yves in ihrem Stadtteil Saint Germain, indem die meisten Partygänger und jungen gut-situierten Pariser zuhause waren, einen Versuchsballon zu starten. In der Rue de Tournon wurde Anfang 1966 die erste Yves Saint Laurent Rive Gauche Boutique eröffnet.
Trenchcoats, Pullis, Röcke, Hosen, Accessoires und allerlei Modeschmuck einfach zum Probieren und Kaufen. Mendès France im Montmartre produzierte die Kollektion, die sich an den Stil der gültigen Saison der Couture inspirierte – in etwas vereinfachter Form. Die Boutique war in wildem rot gestrichen mit einem lebensgroßen Saint Laurent Starschnitt und ein paar Warhols dekoriert.
Die Ware lag auf Stapeln und der Ansturm der Kunden war unglaublich, da es ja keine Konkurrenz gab. Ein Jahr später wurde in London eröffnet und von da aus machten Saint Laurent Boutiquen in der ganzen Welt auf. Christian Dior zog erst 1972 nach und Chanel mit zaghaften Versuchen 1978.
Sicherlich waren die Couture Kollektionen die wirkliche Meisterleistung und kreativen Höhepunkte seines Schaffens, den Weltruhm und das ihn jeder kennt, hat er aber seiner Prêt-à-Porter-Kollektion zu verdanken.
Ich kann mich noch erinnern: als ich ganz klein war, wollte meine Mutter mal einen Bauernrock aus der Rive Gauche haben und der Laden in Hamburg bekam 4 Stück davon, 350 Frauen warteten geduldig auf einer Liste… Da es keine Konkurrenz gab und das die wirklich ersten Designer-Boutiquen waren, wurde die Ware eher verteilt als verkauft.

Heute wirken die Boutiquen auf den Bildern von damals gar nicht so revolutionär, aber die Mädchen und Saint Laurent sehen so aus, als wenn sie Partnerlook tragen – damals hat es die Modewelt revolutioniert. Rive Gauche machte die Mode jung und informell, 30 Jahre bevor die Sportswear das Strassenbild prägte – Mit Yves Saint Laurent Rive Gauche Boutiquen.

* Aufmerksame Leser werden es gemerkt haben: Den Artikel gab’s schon mal auf Horstson.
Aufgrund des viel diskutierten Logo-Wechsels bei Saint Laurent haben wir uns entschlossen, nochmal einen Blick auf die Anfänge von Saint Laurent zu werfen und den Artikel La révolution de la mode – Als Yves Saint Laurent die Prêt-à-Porter-Boutique erfand zu re-posten.

  • Volker
    30. Juli 2012 at 12:33

    Auch im Zweitaufguss lesenswert, danke! 🙂

  • Siegmar
    30. Juli 2012 at 12:51

    mit “ Rive gauche “ verbinde ich persönlich sehr viel und der Artikel bleibt einfch sehr gut und lesenswert.

  • Monsieur_Didier
    30. Juli 2012 at 13:48

    …diesen Artikel hatte ich noch gar nicht gelesen, damals war ich noch nicht dabei…
    schön, ihn jetzt zu lesen…

    ach ja, Yves Saint Laurent…
    es ist heutzutage schwer vorstellbar, was er seinerzeit für ein Revolutionär war…
    in den letzen Jahren fand ich ihn sehr verhalten…
    aber er sagte ja auch mal, wenn ich mich recht erinner, er sei kein Neuerer, eher ein Stil-Bestätiger…
    was ich nach diesem Artikel so gar nicht mehr finde, aber das galt vielleicht auch eher für die späteren Jahre…

    es gab ja in der Mode viele kleinere und größere Revolutionen…
    ich denke dabei zum Beispiel an die Japaner in Paris Anfang der 80er…
    aber Yves S.L. war der größte Revolutionär und ein grundsätzlicher Neuerer…
    sehr beeindruckend…!