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Peter’s Cuttings – Ein Tag in der Sammlung Emile Hermès in Paris

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Bild: Hermès

Wenn von Mode und Zeit die Rede ist, geht es meistens darum, dass eine Kollektion fertig werden muss, oder dass das schon wieder vorbei ist, was eben erst erschaffen wurde. Zeit scheint dahin zu fliegen und eigentlich ist von ihr immer zu wenig da. Ein Ort, an dem einem bewusst wird, dass Zeit unendlich ist und das die Ruhe die Antriebsfeder ist, zeitlose Dinge zu erschaffen, liegt mitten in Paris im dritten Stock des Stammhauses von Hermès im Faubourg Saint-Honoré.
Wenn die Designer von Hermès über ein Problem nachdenken oder ein Handwerker bei der Lösung einer technischen Raffinesse nicht weiterkommt, gehen sie genau dort hin und lassen sich inspirieren. Denn in der Sammlung Emile Hermès scheint das alles nicht vorhanden zu sein, was man als Hektik oder Vergänglichkeit bezeichnet …
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Bild: Hermès

Wer im sogenannten Hermès Museum allerdings Produkte aus allen Dekaden des Traditionssattlers erwartet, wie Birkin Bags, Kelly’s oder eine große Sammlung von Carrés, wird allerdings enttäuscht. Dieses wird im Firmenarchiv verwahrt, die Sammlung Emile Hermès ist hingegen wie eine Wunderkammer, die alles aufbewahrt, was mit Mobilität und mit der Liebe zum Metier und der Inspiration zu tun hat. Jean-Louis Dumas sagte immer, dass die Sammlung eigentlich nur das Büro seines Großvaters sei. Aber was für eines …
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Bild: Hermès

Letzte Woche hatte ich die Möglichkeit, einen Tag in der Sammlung zu verbringen, die direkt über dem Laden liegt, in dem Liebhaber und Kunden den ganzen Tag wie in einem Bienenkorb ein- und ausgehen. Nur ein paar Stufen darüber ist von all der Hektik nichts mehr zu spüren und nach wenigen Minuten ist sie auch bei mir angekommen – diese Situation, in der man gar nicht mehr weiß, ob gerade eine Minute, eine Stunde oder ein Tag vergangen ist. Es ist aber auch egal, weil man sich ganz schnell bewusst wird, dass wir nur ein kleines Rädchen im Zeitenlauf sind, so wie die einzelnen Generationen in der Familiengeschichte des Hauses Hermès.
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Bild: Hermès

1883 arbeitet sonntags der zwölfjährige Emile, der mit dem Nachnamen des griechischen Götterboten Hermès geboren ist, als Laufjunge für seinen Vater, der eine Sattlerei mitten in Paris betreibt. Nachdem die Familie, als Protestanten verfolgt, lange Jahre in Deutschland gelebt hatte und von Hamburg über Krefeld in die Seine Metropole zurückgekehrt war, ergab sich die Möglichkeit, Räume für die Werkstätten und den Laden preisgünstig anzumieten und so hatte man sich am Faubourg Nummer 24 niedergelassen.

Emile hatte einen besonders guten Tag und bekam zwei Franc Trinkgeld. Er war ein ganz besonderer Junge, der, anders als andere, die schönen Dinge liebte. Er musste keine zwei Minuten überlegen, was er von dem Geld kaufen wollte: Bei einem Trödler hatte er einen wunderschönen Handstock gesehen. Irgendjemand hatte ihn aussortiert und verkauft. Er war aus der Zeit des Empire um 1800 und man sah ihm an, dass er mal sehr viel benutzt worden war. Emile trug seine Beute stolz nach Hause. Seine Eltern meinten er hätte das Geld lieber sparen sollen, aber Emile war sich sicher, dass er genau das richtige gekauft hatte, nämlich das, was er liebte. Dann bemerkte er, dass der Stock einen Geheimmechanismus hat. Man kann den Kopf aufdrehen und im Inneren ist ein kleiner aufklappbarer Sonnenschirm verborgen, den man herausnehmen und seiner charmanten Begleiterin reichen kann.
Emile war ein Visionär und diese Brücke zwischen dem gestern und morgen, die schon als Kind in ihm war, hat er sich lebenslang erhalten.Vierzig Jahre später stand er nämlich vor der Herausforderung einer der größten Wechsel in der Zeitgeschichte – dem Aufkommen des Automobils, überhaupt der Mobilität und dem Verschwinden von Kutschen und Pferden. Ein essenzielles Problem für einen Sattler …

Was er für die Zukunft wollte und vor allem nicht wollte, lernte er auf seinen Reisen nach Amerika kennen. Mobilität ermöglichte mehr Personen zu reisen – Emile wurde ziemlich schnell klar, dass ein enormer Bedarf an Ledergepäck und auch Reisekleidung entsteht. Dass die Fertigungsbänder bei Ford den Tod des Handwerks bedeuteten, erkannte er ebenso schnell, weil jeder nur noch einen Handgriff erledigte. Seine Handwerker sollten hingegen jedes Stück selbstständig – von Anfang bis Ende – herstellen. Durch Zufall entdeckte Emile in Amerika den soeben erfundenen „American close all“ – den eben erfundenen Reißverschluss. Er kontaktierte den Patenthalter George Edward Prentice und erwarb die Lizenz für Frankreich und verbesserte ihn gleich.
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Emile verwandelte Hermès nicht nur in ein modernes Unternehmen, er baute auch das Haus um, schuf die bis heute legendären Schaufenster, erweiterte die Produktpalette um Sportmode, Silber Artikel, Leder Accessoires, Hundeleinen, Gürtel, Taschen und Koffer. Die erste Tasche für das Automobil wurde gleich mit dem neuen Reißverschluss ausgestattet und schnell unter dem Namen Bugatti (heute Bolide) der erste Verkaufsschlager des Hauses.
Sein Büro war ein bisschen wie Noahs Arche – zwar arbeitete er in erster Linie dort, aber es war auch wie ein Kuriositätenkabinett, eine Inspirationskammer und wie eine Schatzinsel. Emile liebte es mit seinen Enkeln dort zu spielen, seine besten Handwerker auszuzeichnen, Kunden zu empfangen oder seine Schwiegersöhne dort das erste Mal zu sehen. Dies alles waren seine Quellen der Inspiration und sind bis heute die Seele des Hauses.

Emile war so etwas wie der Kapitän dieser Arche, die aus vielen Generationen von Mitarbeitern genau so bestand, wie seiner Familie. Sein feinsinniger und intelligenter Charakter ermöglichte nicht nur den Aufbruch in eine neue Zeit, sondern sein Sehen ermöglichte die Visionen für die Zukunft. Was andere als nutzlos hinstellten, bewahrte er. Was andere als selbstverständlich ansahen, sah er als speziell an. Wenn ein Objekt nützlich, schön oder intelligent ist, so bewahrte er es für die Zukunft, denn seine Devise war, dass wir etwas davon lernen können …
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Bild: Hermès

Wenn man sich in den Räumen länger aufhält, hat man das Gefühl, dass diese Gedanken auf einen überspringen. Man begreift, warum bis heute Hermès, das Familienunternehmen, keine Marke wie andere ist. Man trifft, egal bei welchem Teil, auf Perfektion im Detail und man spürt das, was alle Idealisten begeistert: das Feuer, das immer wieder antreibt …

Auf dem Schreibtisch von Emile stehen übrigens noch heute viele Dinge, die sich später als durchschlagende Ideen bewiesen und natürlich liegen dort auch die Gästebücher, in denen sich die Menschen verewigen, die sich von diesem Ort angezogen fühlen und vielleicht auch beim Besuch die ein oder andere Inspiration bekommen.
Mir fiel sofort etwas an einem der letzten Einträge auf, was sicherlich auch Emile geliebt hätte: die Unterschrift und der Eintrag sind etwa so groß wie die Fußspuren einer Ameise. Mit der wie für mich bereitgelegten Lupe von Emile kann man dann erkennen, dass es ein Eintrag von Woody Allen war, der hier Inspiration suchte. Vielleicht ist es ja genau das, was diese Räume ausmacht – dass ihnen der Zauber der Fantasie innewohnt …

  • Horst
    22. Juli 2013 at 10:56

    Schöner Einblick. Kannte die Sammlung gar nicht. Wird Zeit dass wir nochmal nach Paris kommen… 😀

  • thomash
    22. Juli 2013 at 11:17

    bin sprach- und atemlos begeistert von diesem bericht!!

  • Siegmar
    22. Juli 2013 at 11:32

    dank dem Artikel muss ich den Herbst in Paris verbringen. Die Liste wird immer länger. 🙂

  • Joel
    22. Juli 2013 at 12:38

    Ja da sieht man es wieder, Paris ist immer eine Reise wert!