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Peter’s Cuttings – die Welt der Anna Piaggi


Foto: Alfa Castaldi für Chanel 1993

Eigentlich war der Artikel über Anna Piaggi schon lange geplant. Nun ist sie gestorben und auch ich werde sicherlich zwei Drittel dieses Textes davon berichten, wie großartig ihre Looks waren und was sie als Style Icon ausmachte. In erster Linie war sie aber Journalistin und zwar eine außergewöhnlich hervorragende!
Von ihr konnte man genau das lernen, was das Geheimnis einer guten und fundierten Modeberichterstattung ausmacht. Sie sagte „Ich habe meine Arbeit als Journalistin immer als Teil eines Spiels aufgefasst, das von der Modernität des Bildes und der peinlich genauen Arbeit am Text beherrscht wird. Ich bereitete meine Artikel für die italienische Vogue so vor, dass das Gleichgewicht zwischen Text und Bild einer visuellen Stilisierung aktueller Strömungen gleichkam und den Leser inspirieren sollte.“ Einen Satz der in jeder Moderedaktionen schon im Entrée als Leitsatz für die Arbeit stehen sollte.

Foto: Karl Lagerfelds illustrated Fashion Journal of Anna Piaggi; erschienen bei Weidenfeld und Nicholson

Sie war also akribisch und genau, dabei genial und exentrisch und eine der besten Fashion-Editor die es gab – das wird manchmal vergessen über ihre bunte Hülle, aber genau das ist es, was ihre Ernsthaftigkeit und ihre Qualität ausmachte. Und inspirieren wollte sie auch – sich selbst und andere mit ihrem eigenen Stil und ihren Looks. Ihr Stil bestand aus einer Art Layer-Look, der, wenn man es trocken beschreiben würde, aus einer Mischung aus Vintage Kleidern, Lingerie Stil, exzentrischen Catwalk-Accessoires und Liebesgaben von ihren Lieblingsdesignern bestand – kurz um: sie war einer der größten Modesammlerinnen aller Zeiten und hat Bestände von Kleidung und Accessoires, das jeder Bestand von Modemuseen dagegen wie eine Altkleider Sammlung wirkt.
Sie war lebenslang eine total alterslose Person und nicht im eigentlichen Sinne hübsch zu nennen. Geboren 1931 und mit dem italienischen Photographen Alfa Castaldi verheiratet, wurde sie vor allem durch ihre Freundschaft zu dem 1992 verstorbenen Vern Lambert geprägt und inspiriert. Er war Antiquitätenhändler und gemeinsam mit Anna, später auch mit Karl Lagerfeld, entdeckten sie in den 60er Jahren, lange bevor es das Wort ‚Vintage‘ gab, die Londoner Märkte von Portobello und Petticoat Lane.
Die Nachlässe von den Kundinnen von Worth, Poiret, Fortuny oder Callot Soeurs wurden auf Auktionen nicht beachtet und zu heute lächerlich wirkenden Preisen ersteigerte die Avantgardistin original Schuhe aus den zwanziger Jahren, Handschuhe aus dem achtzehnten Jahrhundert, vor-revolutionäre französische Revolutionskleidung – alles wurde gesammelt. Karl Lagerfeld trug einmal zu einem Ball eine Weste und Anzug aus dem 18.Jahrhundert, der nach dem Fest fast zu Staub zerfiel. Heute kaum noch vorstellbar und nicht zu bezahlen, sammelte Anna so einen Fundus zusammen, der wie aus einem Mode-Märchen-Buch wirkt.
Aber sie sammelte nicht wie andere und verschloss die Sachen in Vitrinen oder Schränken, sondern trug und verfremdete die Sachen und gab ihnen einen Kontext mit modernen Designerstücken. Anna schnibbelte auch das Gemüse Zuhause in ihrer Küche in Original Kostümen aus Sheherazade von 1909 der Ballets Russes von Diaghilew. Durch diese Selbstverständlichkeit und das sie niemals ohne Hut oder Kopfputz aus dem Hause ging, wurde ihr Stil geboren und perfektioniert. In Paris gehörte sie zur Clique von Karl Lagerfeld und Jacques de Bascher, Patrick Hourcade gehörte dazu und natürlich Vern Lambert, der wie ein Schriftsteller aus dem 19.Jahrhundert wirkte.

Foto: Jacques de Bascher Archive

1977 drehte Karl mit ihr den Film „Views und Interviews“ (auf dem Photo der Clochard ist echt und begleitete die beiden die ganzen Tage bei den Dreharbeiten) in dem Anna wie eine Belle Époque Amazone gekleidet war.
Als ich Anfang der achtziger Jahre in die bunte Welt der Mode kam, gab es keine Schau bei der man nicht im Vorfeld vor den Zelten im Carrousel du Louvre in Paris einen langen Hals machte, um die Ankunft und das Erscheinen von Anna Piaggi nicht zu verpassen. Es war jedes mal ein Ereignis sie zu sehen und der Exzentrik und Phantasie waren keine Grenzen gesetzt. Man hätte jeden Look konservieren mögen.
Heute noch antiquarisch zu erwerben gibt es das Buch „Karl Lagerfelds illustrated Fashion Journal of Anna Piaggi“. Erschienen ist es 1986 bei Weidenfeld und Nicholson, ein Buch, in dem die schönsten Looks und ihr Leben gezeichnet sind. Wir zeigen euch hier Abbildungen daraus, die die unglaublichen Kombinationen, die Anna trug, deutlich machen. Ob ein Fortuny Kleid als Schal getragen, original Chanel Kleider aus den zwanziger Jahren, Lanvin Capes, Worth Kleider von 1880 kombiniert mit Guido Pasquali für Chloé Schuhen, Correani Schmuck oder Walter Albini Shorts, Missoni Kleider…ich könnte diesen Artikel nur durch die Beschreibungen der phantastischen Outfits auf fünfunddreißig Seiten ausdehnen. Sie war unnachahmlich und nicht kopierbar. Das Buch sollte jeder, der auch nur im entferntesten mit Stil oder Mode zu tun hat besitzen.

Fotos: Alfa Castaldi für Chanel 1993

Die Blicke in Anna’s Chanel Accessoires Schrank sowie vor einem Bruchteil ihrer Hüte photographierte Alfa Castaldi für Chanel 1993.
Es fällt mir schwer nicht stundenlang von ihr zu schwärmen, von dieser, Frau die so sehr die Liebe zur Mode verkörperte aber auch eine totale typische Italienerin war.
Eine absolute Genießerin, Ästhetin und eine Stilikone, lange bevor Isabella Blow oder Daphne Guinness die Welt betraten. Sie war ein absolutes Original, eine großartige Mode- journalistin und mit ihr geht wieder ein Teil der Modewelt, der die Sehnsucht nach Träumen von Stil und Perfektion verkörperte.
Ciao Anna – wir haben so viel von ihnen gelernt und sicherlich werden uns die Augen noch einmal übergehen, wenn ihre Modeschätze ausgestellt werden – hoffentlich bald, ich kann es kaum erwarten und vielleicht, ihnen war Inspiration so wichtig, entstehen daraus wieder Kollektionen die unsere Nachfahren dann in hundert Jahren zu schätzen wissen.
Anna Piaggi wird der Modewelt fehlen – und sie wird einzigartig bleiben, denn heute gibt es solche Modejournalistinnen nicht mehr. Bei welchem Magazin sollten sie auch arbeiten?
Im Himmel trägt sie bestimmt Poiret, kombiniert mit einem Stephen Jones Hut.

  • ThomasH
    13. August 2012 at 10:32

    Fabuloso!!
    Fundiert, und mit Freude geschrieben und gelesen!

  • Renate
    13. August 2012 at 10:35

    Ein wundervoller Artikel über eine wunderbare Frau lieber Peter!

  • Siegmar
    13. August 2012 at 10:53

    lieber Peter, wirklich beeindruckend der Artikel mit soviel Freude, Wissen und Veehrug geschrieben. Es freut mich sowas Montag bei Arbeitsbeginn zu lesen. Danke !

  • Volker
    13. August 2012 at 12:08

    Man merkt dir die Freude am schreiben an! Das ist auch der Grund warum es eine Freud ist deine Artikel zu lesen!

  • loewenherzblut
    13. August 2012 at 12:22

    Lieber Peter, ich klebe förmlich an Deinen Lippen, die so wunderbare Geschichten zu erzählen wissen. Ich erinnere mich noch all zu gut, wie ich stets darauf gelauert habe, Anna Piaggi zu erspähen, wenn ich als DDR-Teenager die „klassenfeindliche“ Kultivierungsoffensive „Neues vom Kleidermarkt“ – mit der ebenso unvergesslichen Antonia Hilke – genossen habe. Vielen Dank für diesen wieder einmal so liebevoll und interessant geschriebenen Text.

  • Jana Goldberg
    13. August 2012 at 13:22

    Ich war so lange weg! Ich habt mir echt gefehlt, meine Herren!
    Peter – Hut ab!

  • peter
    13. August 2012 at 13:34

    @jana
    freu mich das du wieder da bist!!!du hast gefehlt!!!
    @alle tausend dank aber ichs chreib doch nur so vor mich hin…..schön das ihr es gern lest!!!

  • Horst
    13. August 2012 at 13:45

    @Jana auch von mir ein herzliches Willkommen!!! 😀

    Das von dir (@Peter) erwähnte Buch ‚Karl Lagerfelds illustrated Fashion Journal of Anna Piaggi‘ ist wirklich eine Anschaffung wert und z.zt im Amazon Antiuariat auch nicht wirklich teuer…. Super!!

  • Siegmar
    13. August 2012 at 13:50

    das Buch von Lagerfeld habe ich gerade bei Amazon bestellt

  • Monsieur_Didier
    13. August 2012 at 14:24

    …lieber Peter…
    Deiner Aussage möchte ich absolut widersprechen…
    …“…ich schreib doch nur so vor mich hin…“ dies empfinde ich gar nicht so. Du hast soviel Detailwissen und schreibst mit einer solchen Akribie und Freude, dass es immer Freude macht, Deine Artikel zu lesen…
    bitte weiter so…!

  • Dani
    13. August 2012 at 19:11

    Wirklich ein wunderbarer, sehr fundierter Artikel! Und vom Buch gibt es momentan bei Amazon noch zwei Ausgaben – schlagt zu! 🙂

  • jürgen
    13. August 2012 at 20:07

    danke … mir geht es wir loewenherzblut. ich hab bei antonia hilke auch immer auf den blick auf anna piaggi gewartet!

  • Paul
    13. August 2012 at 20:56

    und ich habe direkt zugeschlagen bei diesem tollen Werk 🙂

  • peter
    14. August 2012 at 09:18

    @alle
    wer das buch haben möchte, auch über http://www.zvab.de versuchen. das ist die beste adresse für antiquarische bücher….

  • Markus Brunner
    14. August 2012 at 18:13

    Peter, ich lese deinen fantastischen Bericht auf dem Balkon und trinke auf Dich und Anna ein Glas Champagner, danke für den wundervollen Bericht und Danke das es so wertvolle inspirierende und wertvolle Menschen wie Anna Piaggi gab

  • thomasH
    16. August 2012 at 11:06

    lieber peter, ich bin mir sicher, daß in der gesamten deutschen presse kein solcher nachruf erschienen ist.