Interview

Peter’s Cutting – Die wunderbare Welt der Métiers von Hermès

Bild: Horstson

Anlässlich des Festival des Métiers in Hamburg hatten wir die Möglichkeit, eines der Familienmitglieder zu interviewen, die in sechster Generation das Unternehmen leiten: Guillaume de Seynes ist ein Neffe des legendären Hermès Chefs Jean-Louis Dumas und wie alle Nachkommen der zwei Linien des Gründers sehr sympathisch und bodenständig. Seine Begeisterungsfähigkeit überträgt sich sofort auf einen und das Festival des Métiers wurde auf diese Weise zu einem doppelten Vergnügen.
Wer das Festival des Métiers einmal besucht hat und die Handwerker aus den Bereichen Seide, Porzellan, Uhren, Grafiker, Krawattenmacher, sowie die Täschner und Handschuhmacher bei der Arbeit beobachtet und die Materialien in der Hand gehalten hat, wird sich nie wieder über die Preise beschweren …
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Bild: Horstson

Guillaume nahm sich die Zeit für einen Rundgang und so konnte ich meine Fragen, die noch mehr über die Philosophie und den Hintergrund berichten, an ihn richten. Hier die Einblicke, die uns Guillaume de Seynes so offen gewährte …

Peter: Zunächst möchte ich mich ganz herzlich bei Ihnen bedanken, dass Sie mir die Möglichkeit geben, mit Ihnen dieses Gespräch zu führen.

Das Festival des Métiers in Hamburg zeigt das große Interesse der Besucher am Handwerk einer der prestigeträchtigsten Marken der Welt. Auffallend ist die Alters-Bandbreite der Besucher. Ist es auch eine Art und Weise um das Handwerk für jüngere Menschen wieder attraktiver und auch Nachwuchs auf sich aufmerksam zu machen, wie viel Spaß es machen kann, einen dieser hoch qualifizierten Berufe auszuüben?

Guillaume de Seynes: Ähnlich wie in Deutschland ist auch in Frankreich in den letzten Jahren die große Welle zurückgegangen, dass man unbedingt studieren „muss“. Viele Studienfelder sind überlaufen und häufig droht, nach langer Jobsuche oder Arbeitslosigkeit, vielen ehemaligen Studenten schlecht bezahlten Praktika. Außerdem ist das Bewusstsein, etwas mit seinen Händen zu schaffen und dafür passabel bezahlt zu werden, wieder in den Vordergrund gerückt und es entscheiden sich mehr und mehr sehr gebildete Menschen für Berufsbilder, die dann schließlich bei vielen auch zur Berufung werden. Es sind Berufe, die ja auch noch Spaß machen, weil man ein Ergebnis schließlich und endlich vor sich auf dem Tisch sieht. Man erschafft etwas!

Ich würde gerne mit Ihnen einen kleinen Rundgang durch die Métiers machen, die das Herz, die Hände und das Rückgrat des Hauses Hermès bilden. Die Handwerker sind alle hoch qualifiziert, erfahren und haben sich innerhalb der Ateliers immer wieder weitergebildet und perfektioniert. Wie bekommt man genügend Nachwuchs, der an einer langfristigen Ausbildung, Qualifizierung und vor allem langen Ausführung des Berufes interessiert ist, denn Sie müssen ja in Generationen denken?

Unsere Ateliers der einzelnen Métiers sind, außer in der Pariser Faubourg Saint-Honoré und nordöstlich von Paris, in Pantin, wo auch der größte Teil der Verwaltung untergebracht ist, zum Beispiel für Seide in der Nähe von Lyon. Handschuhe werden hingegen in der Region Millau hergestellt und das Prêt-à-porter im Norden Frankreichs. Schon immer arbeiten wir in Pantin mit den Schulen zusammen und haben dieses Prinzip auf die anderen Regionen übertragen.
Die Schüler kommen während ihrer Schuljahre in Gruppen zu uns und absolvieren verschiedenen Schulpraktika. Sie können so alles ausprobieren und kennenlernen. Wir gehen auch mit speziellen Förderprogrammen in die Schulen – diese Angebote werden gerne von den Schülern angenommen.
So entschieden sich dann in den letzten Jahrzehnten viele Schüler für eines der Handwerke in den Ateliers der verschiedenen Métiers zu und haben ihre Ausbildung bei uns begonnen. Natürlich haben wir auch den Vorteil, dass Hermès auch ein großes Prestige hat und man stolz darauf ist, bei uns zu arbeiten …
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Bild: Hermès

Gibt es in Frankreich genügend jüngere Menschen, die diese Berufe ausüben möchten? Wie sieht die Ausbildung dazu aus und in welchen Zeiträumen denken Sie dort?

Die Ausbildung in Frankreich gestaltet sich anders als in Deutschland. Man bekommt ein zweijähriges Training und fertigt dann ein Stück an – zum Beispiel eine Tasche oder einen Sattel aus Leder. Aber viele Métiers brauchen für die Vervollkommnung oder die Spezialisierung immer längere und permanente Trainings. Wir schulen ununterbrochen intern und auch untereinander werden Fähigkeiten ausgetauscht. Bei Hermès geben die erfahrenen Meister ihr Fachwissen permanent an die jüngeren Mitarbeiter weiter – das funktioniert vortrefflich …
Zur Folge müssen wir natürlich in sehr langen Zeiträumen denken, schließlich sind die Handwerker und deren Erfahrungen unser größtes Kapital.

Es ist ja nicht kurzfristig machbar, dass ad hoc mehr Menschen ein Handwerk beherrschen. Es handelt sich um fachspezifische Tätigkeiten, die bei Hermès ausgeführt werden – stößt man da nicht sehr schnell an eine Grenze, die kein unendliches Wachstum mehr zulässt? Wie gehen Sie bei den Wachstumsraten von Hermès der letzten Jahre damit um?

Wir bilden mehr aus und haben viele Handwerker zusätzlich gewonnen. Wachstum geht bei uns niemals zulasten der Qualität. Leder in der Güte zum Beispiel, in der wir es verarbeiten, kann man nicht in jeder Quantität beziehen. Wir haben eigene Gerbereien und viele Paraffections Ateliers dazugewonnen. Kompromisse machen wir keine und den Rhythmus der Kollektionen haben wir auch nicht erhöht. Steigerung gibt es bei uns nicht um den Preis der Qualität oder der Inflationierung. Auf das ein oder andere individuell hergestellte Produkt muss der Kunde daher warten und das tut er auch gern, denn schließlich hat er ein Leben lang etwas davon.

(Anmerkung: Viele Damen zeigten auf dem Festival des Métiers ihre dreißig Jahre alten Tücher oder Taschen, was mir bestätigte, dass es wirklich so ist und dass sich die Menschen kaum von ihren einmal erworbenen Produkten trennen …)
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Bild: Hermès

Ich wage kaum die Frage zu stellen, aber würde es die Familie Hermés ins Auge fassen, fremd bzw. in Fernost zu produzieren?

Grundsätzlich: Nein! Ausnahmefälle hierfür wären, wenn es eine besonders landestypische Handwerktechnik gibt, die wir lernen können oder die anderswo besonders beherrscht wird. So machen unsere Tuareg-Gürtelschnallen immer schon Silberschmiede der Berber in Marokko. Für die Indigo-Kollektion arbeiten wir mit Färber-Meistern in Bangladesch zusammen und für Hornprodukte mit Handwerkern in Vietnam. Produziert wird in Europa.

Hermès und Chanel sind (fast) die einzigen Familienunternehmen der Luxusbranche und sind dadurch die „wirklichen“ Luxusmarken.
Die großen Konzerne schauen nur noch auf 3-Monats-Ziele und haben Manager, die von „Procter & Gamble“ oder „Danone“, also von Joghurt und Waschmitteln plötzlich zu Prêt-à-porter und Accessoires, wechseln. Manager, die sich kurz in die Marke „eingearbeitet“ haben, meinen, Luxuskonzerne lenken zu können. Wir beobachten diese Entwicklung mit großer Besorgnis.
Der Sympathiefaktor von Hermès ist nicht nur so groß, weil es ein Familienunternehmen ist, sondern auch weil alle Familienmitglieder in verschiedenen Schlüssel-Positionen sitzen und dadurch sehr sicht- und nahbar sind. Außerdem fällt auch die Verbindlichkeit und Bodenständigkeit so wohltuend ins Auge, mit denen die Familienmitglieder agieren und sich in den einzelnen Bereichen engagieren. Meinen Sie, es ist eines der Geheimnisse der Firma, dass sie dadurch immer ihre Qualität halten und auch niemals kurzsichtige Lizenzen oder schnelllebige Produkte lanciert haben? So etwas wie persönlicher Schutz der einzelnen Métiers? Auch wenn sie ihre Produktpalette erweitert haben, wie zum Beispiel um Schmuck oder Interieur, bleibt Hermès seinen Wurzeln und dem Qualitätsniveau treu. Wie bekommen Sie das hin?

Sehen Sie, wir sind in der sechsten Generation und jede Generation hat ihren Beitrag zur Anpassung an den Zeitgeist und den Rhythmus der Epoche beigetragen. Aber wir haben immer darauf geachtet, dass sich die Qualität hält und dass wir die Kultur des Handwerks und der Familie nie verlassen. Wir haben mehr als fünfzigtausend Einzelprodukte, die sich in unserer Geschichte begründen. Unser erster „Kunde“ war das Pferd, dann kamen Lederwaren für Menschen hinzu, mein Großvater hat zum Beispiel die Kelly Bag kreiert. 1937 erweiterten wir unser Sortiment dann um die Tücher und wir haben die erste Sportswear und Lederjacken verkauft, weil mein Urgroßvater die Lizenz für den Reißverschluss hatte. Alles ist natürlich entstanden und nicht im Marketing vom Reißbrett entworfen, wo heute Firmen mit einmal Dinge herstellen, von denen sie nichts verstehen.

Unsere Generation fügt Dinge wie Online-Shop oder die Website hinzu, die ein hervorragendes Medium ist, um hinter die Handwerke, die Kulissen und unserer Arbeit zu schauen. Wir sind dadurch transparent. Das Herzstück sind aber unsere Boutiquen und unser Stammhaus, in dem wir genau den Service walten lassen können, die die Klientel verlangen und die unsere Produkte verdient haben.
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Bild: Hermès

Wenn man in Ihrem Stammhaus, den Ateliers oder auch den weltweiten Töchtern des Hauses Hermès mit Mitarbeitern spricht, fällt auf, dass sich die Mitarbeiter auf eine fast familiäre Art mit Hermès identifizieren. Weiterbildung, gemeinsame Reisen, lange Zugehörigkeit und überdurchschnittlich hohe soziale Leistungen scheinen für Hermès eine Selbstverständlichkeit. Die Identifikation mit der Marke und die Loyalität sind ja auch an den langen Betriebszugehörigkeiten abzulesen. Es wirkt so, als würde einmal jemand bei Hermès anfangen zu arbeiten, kommt für ihn nichts anderes mehr infrage. Das ist auch in der Luxusbranche eine Ausnahme. Was ist das Geheimnis dieser unglaublichen Motivation und des Stolzes der Mitarbeiter?

Die Menschen spüren, dass wir als Familie zusammenhalten und dass wir dafür sorgen, dass mit ihren Arbeitsplätzen und auch der Arbeitsethik gut umgegangen wird. Wir sprechen mit unseren Mitarbeitern und natürlich besuchen wir sie regelmäßig in den einzelnen Ateliers und es gibt einen regen Austausch. Außerdem gibt die Generation, die länger in der Firma ist an die jüngere die Geschichte und den Stolz des Haues weiter. Jüngst erzählte mir ein Mitarbeiter, der von Patin nach Zentralfrankreich, wo wir Lederwaren herstellen, wechselte, dass er seinen neuen jüngeren Kollegen erklärte, was Jean-Louis Dumas für die Firma entwickelt hat. Auch so wird die mehr als 160-jährige Tradition weitergegeben …
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Bilder: Horstson

Die neueren Wachstumsmärkte wie China, Russland, Indien, Brasilien etc. lieben europäische Luxuslabels, wie Hermès, auch, weil sie für sie den Lebensstil und die Kultur Europas stehen und sie sich damit ein bisschen unserer Kultur erwerben.
Während die meisten Designer scheinbar extra Produkte bzw. ganze Kollektionen für diese Märkte entwerfen, die für uns Europäer uninteressant sind, hat sich Hermès immer genau den Spirit unseres Kontinents bewahrt. Es gibt kaum Produkte, die man als ‚protzig‘ bezeichnen kann und man hat das Gefühl, dass viel darauf Wert gelegt wird, dass der lokale europäische Markt stark berücksichtigt wird. Wir halten das für eine sehr schlaue Strategie, um auf seine Marke aufzupassen, da sich das Interesse der Wachstumsmärkte schnell abkühlt, wenn Europa vom Konsum seiner Kulturmarken ausgeschlossen wird und die Marke und das Image verschlissen werden. Wer heute „in“ ist, ist morgen „out“. In vielen Konzernen herrschen zurzeit volle Kassen, aber auch die Angst vor dem Imageverlust in den nächsten zehn Jahren ist in Ihrer Branche allgegenwärtig.

Wie sehen Sie die Entwicklung der Marke Hermès und des Handwerks in den nächsten zehn Jahren und bleiben Sie diesem Weg, nicht inflationär in der Distribution und Produktentwicklung zu werden, treu?

Wir machen eine Kollektion für die ganze Welt, die im Frühjahr und Herbst in den einzelnen Bereichen vorgestellt wird. Die Kollektionen sind vielfältig aufgestellt und es gibt keine zentralisierten Einkauf, der bestimmt, was die Länder oder Boutiquen kaufen müssen. Die Directricen oder Direktoren der Boutiquen aus den einzelnen Ländern und Städten kaufen genau das, was für ihre nationalen oder regionalen Kunden das Richtige oder das Gewünschte ist. So haben wir zum Beispiel in der Tücherkollektion ein Motiv mit einem Gesicht eines Indianers gehabt. Dieses Tuch haben wir sehr gut verkauft. In Japan allerdings trägt man nichts mit dem Antlitz eines Menschen und so kauften die Einkäufer dortiger Boutiquen eben andere Motive. Ähnliche Ausnahmen gibt es in Arabien und es wird individuell von den Hermès Mitarbeitern auf die Bedürfnisse der Kunden eingegangen.

Die Linie und die Kollektion von Hermès entsprechen immer unseren Wurzeln und für uns ist der europäische Markt immer noch einer der wichtigsten. Deshalb zeigen wir auch unser Festival des Métiers an Orten wie Hamburg, Düsseldorf oder München. Hermès hat sich aus seinen Wurzeln und seiner europäischen Heimat Europa heraus entwickelt. Émile Hermès ist damals nach Russland gefahren und hat dort dem Zarenhof seine Produkte offeriert und damit Russland als Kunden dazu gewonnen. Heute geht es ein wenig schneller, aber Handwerk ist immer noch ein sehr persönliches Geschäft und neben der Handarbeit eine Sache des Herzens. Mit dieser Devise werden wir auch die nächsten Generationen bei Hermès agieren. Die Zeiten sind zwar schneller geworden, aber alles, was etwas wert ist, hat sich eigentlich nie verändert.

Und genau das ist es was die Ausstrahlung von Hermès ausmacht: Die wunderbare Welt der Métiers von Hermès …

  • blomquist
    19. Mai 2014 at 15:07

    Sehr gutes Interview!
    Schade das ich die Aktion im Museum verpasst habe…

  • J
    19. Mai 2014 at 15:53

    Gutes Interview, cooler Schal 😉

  • IsabelMunich
    19. Mai 2014 at 17:38

    Tolles Interview, sehr interessant!

  • Gerd
    19. Mai 2014 at 18:03

    G-R-O-S-S-A-R-T-I-G
    Das Interview sollte manch sächsischer
    Verantwortliche lesen.
    Dank Dir, Peter.

  • HappyFace313
    20. Mai 2014 at 00:16

    Ja, der Schal gefällt mir auch – aber war es dafür nicht viel zu heiss bei den Hamburger Temperaturen 😉 ?
    Danke für das Interview – sehr interessant! Mich hat fasziniert wie unkompliziert und freundlich alle MitarbeiterInnen des Hauses vor Ort waren. Nichts schien ihnen zu viel Mühe zu bereiten, keine Frage zu ungewöhnlich. 🙂
    Wollen wir hoffen, dass der Familien-Clan zusammenhält und seine Eigenständigkeit behält und sich nicht von schnödem Mammon locken und dazu hinreissen lässt, wertvolle Familienanteile an Großkonzerne zu verkaufen…
    Diese Eigenständigkeit ist das Um- und Auf…ach, ich fange an zu labern… 😉

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    25. Mai 2014 at 11:04

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