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Inside Chanel – Das Vokabular der Mode



Während viele Marken mit Identifikationsproblemen kämpfen und versuchen, eine eigene Linie zu finden und trotz kurzfristig gesteckter Ziele von Aktionären und Shareholdergruppen über Jahrzehnte erfolgreich zu bleiben, scheint ein Modehaus davon unberührt zu sein: Chanel. 
Das Haus agiert seit mehr als hundert Jahren – nur mit einer Unterbrechung von 1939 bis 1953 – und hat mit Coco Chanel, ab 1983 dann mit Karl Lagerfeld, nicht nur einen Stil kreiert, sondern auch eine Art Baukasten, der wie ein Memoryspiel mit vielen Karten in mittlerweile acht Kollektionen Saison für Saison neu gespielt wird.

Jedes Teil, ist es auch noch so klein, enthält immer mehrere dieser Karten, sodass es immer hundertprozentig Chanel entspricht. Obwohl es so einfach wirkt, scheint es für andere Marken unmöglich, dieses Prinzip – auch wenn sie es verstanden haben – zu kopieren.

Die Codes von Chanel scheinen nur in der Rue Cambon zu funktionieren. Dabei macht das Haus überhaupt kein Geheimnis aus den benötigten Zutaten.
 Im Gegenteil: Jede Kollektion wird genau erklärt und selbst Menschen, die sich in keinerlei Hinsicht für Mode interessieren, sind fasziniert von den „Behind the scenes“-Videos aus den Ateliers und können den Aufwand und die Fertigkeiten, die zur Entstehung einer Kollektion führen, kaum fassen. Als Beispiel sei die letzte Haute-Couture-Kollektion genannt, die von Karl Lagerfeld erst Weihnachten gezeichnet und Ende Januar präsentiert wurde. In den dazugehörigen Videos sieht man dann, wie einzelne Blütenblätter per Hand eingefärbt oder Sägespäne zu Stickereien verwandelt werden. Bienen werden aus kleinen Federn gepatcht und aufgestickt. In der Métiers d’Art-Kollektion „Paris in Rom“ wurden kleine Satinbänder in Farfalle-Form zu Allover-Stickereien verwandelt. Kein Aufwand scheint zu groß, keine Technik zu kompliziert.

In der mittlerweile fünfzehnteiligen „Inside Chanel“-Serie, die chronologisch die Geschichte des Hauses, das Leben von Mademoiselle Chanel, das Werk Karl Lagerfelds und die Haute Couture erklären, wird klar, mit welchem Aufwand aber auch mit welcher Stringenz in Paris gearbeitet wird.
Alles ist begründbar, leitet sich von einer Lebensstation oder einer Inspiration von Coco Chanel ab. Karl Lagerfeld fügte seine eigenen Codes hinzu, die aber mittlerweile so sind, dass man gar nicht mehr sagen könnte, ob sie nicht vielleicht doch von Mademoiselle wären. Was auf einen flüchtigen Blick fast altertümlich wirkt, wie die 30 verschiedenen Maße, die für eine Anfertigung einer Jacke an der Kundin genommen werden müssen, erlebt bei genauerem Blick eine Renaissance sondergleichen. All das, was wie aus einer anderen Zeit wirkt, steht heute für den wahren Luxus. Die Couture ist der einzige Weg, sich noch von sofort verfügbarer Masse zu unterscheiden. Das Coutureatellier boomt wie nie – der Grund liegt auf der Hand: Die Menschen, die über die nötigen finanziellen Mittel verfügen, wollen mit dem Geld gleichzeitig etwas ‚Exklusivität‘ erlangen. Das Ritual der Anproben, also der Entstehungsprozess, ist der Mehrwert, der eine Beziehung zu dem Kleidungsstück aufbaut und gerne bezahlt wird. Die meisten Couturestücke bleiben lebenslang bei ihren Besitzern oder landen als Zuwendung in den Modesammlungen von Museen. Die Nachhaltigkeit bei Couture ist eben sagenhaft …



Fast alle Modelle aus 100 Jahren Chanel sind in privaten oder öffentlichen Sammlungen nachweisbar. Auch die Prêt-à-porter-Modelle und die Accessoires verbleiben fast immer in den Kleiderschränken und werden nicht aussortiert. Ein Blick auf Vestiaire Collective oder die zahlreichen Vintage-Auktionen bei Artcurial genügt und man sieht, was gut gepflegt und in tadellosem Zustand durchgängig aus jeder Schaffensperiode bewahrt wurde. Fast hat man das Gefühl, das Kollektionsteile von Chanel mit einer Art Respekt behandelt werden, der sich aus seiner Zeitlosigkeit und Herkunft ableitet. 
Wird etwas weggegeben, dann erzielt es meist den Preis, den es einmal gekostet hat. Manchmal aber auch wesentlich mehr …



Ein Mirakel, das sich durch den Wert erklärt – und zwar nicht den monetären, sondern den Wert, für den die Codes fast wie Gesetze stehen. Genau diese Codes erklärt das neueste Video aus der „Inside Chanel“-Reihe. Die Codes des Hauses, wie die Tasche (die sich aus der Soldatentasche des ersten Weltkrieges ableitet), der Tweed, die Perlen, das kleine Schwarze und die Nummer 5, haben alle eine Signalwirkung. Sie geben der Trägerin die Sicherheit, Geschmack zu besitzen und sich nicht zu irren. Obwohl der Chanel-Stil weiblich ist, sind die Codes streng, pur und einfach. Nur die Ausführung ist extrem aufwendig und von perfekter Qualität und Handwerk. Es gehört zu den Grundsätzen des Hauses, „die Schlichtheit bemerkenswert zu machen“.


Etwas, was einfach erscheint, ist kompliziert und aufwendig – der Franzose nennt es ‚raffiniert‘. Das ist genau das, was die Ausstrahlung und das ungeheure Begehren der Dinge auslöst. Die Codes sind einfach und stehen fest, aber die Ausführung macht sie modern und die Arbeit dahinter unvergleichbar und unkopierbar. Die Filme erklären die Details – die der Kunde und wir sonst nie sehen würden – und grenzen auch die Marke klar ab. Keine Firma erklärt so viel und lässt sich gleichzeitig so viel hinter die Kulissen schauen. Chanel baut komplett auf das Handwerk auf. Deswegen auch die Paraffection-Ateliers, weil das „System Chanel“ nicht darauf verzichten kann.



Der Aufwand zahlt sich aus: 30 Couture-Kundinnen kommen Saison für Saison dazu. Die Couture, von vielen als Imageträger belächelt, ist eine gewinnbringende Abteilung bei Chanel und an den Tagen nach der Schau werden riesige Umsätze mit den Orders der Kunden gemacht. Es ist der Bereich in der Textilkette, der schon tausendmal totgesagt wurde und heute, wo alles erhältlich ist, eine beispiellose Renaissance erlebt.
Bemerkenswert auch, und das kommt in den Videos auch ganz klar raus, dass die Couture ein Handwerk repräsentiert, das einer der Exportschlager von Paris ist und das man ausschließlich mit Paris verbindet. Es ist ein Stück europäische Kultur, die auch nur dort gemacht werden kann. 

Wer sie noch nicht gesehen hat, die „Inside Chanel“-Videos sind unter Inside.Chanel.com abrufbar und die beiden neuesten könnt ihr im Anschluss gleich anschauen …

  • Siegmar
    24. Februar 2016 at 16:15

    sehr toller Artikel, sehr informativ super

  • thomash
    24. Februar 2016 at 16:19

    als brand benefactor bin ich mal wieder kurzatmig vor begeisterung – vom artikel und der marke. ich kenne zur zeit keine interessantere marke. da können alle start-ups und sonstige weltneuerfinder aus silicon valley einpacken.