Foto: Courtesy of Dior
Natürlich ist es nur ein Buch. 334 Seiten, gebunden, Rizzoli New York, ordentlich schwer in der Hand – ein Coffee-Table-Statement mit Dior-Schriftzug. Doch „Niedermair, Dior. Drawing/Photography“ ist mehr als nur Hochglanz fürs Hochformat. Es ist ein Blick in das Gehirn einer Frau, die seit über einem Jahrzehnt das visuelle Gedächtnis des Hauses Dior neu programmiert.
Brigitte Niedermair, die italienische Fotografin mit dem Blick eines Bauhaus-Schülers und der Geduld eines Renaissance-Meisters, öffnet hier zum ersten Mal ihre geheimen Archivboxen – und siehe da: Unter den perfekten Kampagnenbildern, die wir alle kennen, liegen Skizzen, Zweifel und Zeichenströme, die wie elektrische Adern durch ihr Werk fließen.
„Wie in den Werkstätten der Renaissance beginnt alles mit einem Auftrag,“ sagt Niedermair. Ein hübscher Euphemismus für das, was man auch kreative Raserei nennen könnte. Ihre Dior-Kampagnen sind längst legendär – streng, sinnlich, manchmal so schön, dass man fast Mitleid mit der Realität bekommt.
Für dieses Buch hat sie fast 150 Fotografien ausgewählt, flankiert von rund 100 vorbereitenden Zeichnungen – Bleistift, Gouache, Aquarell, Collage. Man könnte meinen, sie illustriere das Unmögliche: den Prozess, in dem Mode zur Idee wird, und Idee zur Ästhetik.
Foto: Courtesy of Dior
Der Kunsthistoriker Olivier Gabet beschreibt das Ganze als „vollständiges Panorama der Kunst“. Ein großes Wort, aber man versteht ihn, wenn man sich durch die Seiten blättert: Peggy Guggenheim blinzelt hinter Pollock-Spritzern hervor, Oskar Schlemmer tanzt im Dior-Korsett, und irgendwo schimmert das alte Théâtre de la Mode durch – Mode als Bühne, Frau als Figur, Stil als Sprache.
Europa bekommt das Werk zuerst – am 29. Oktober 2025 wird das Buch veröffentlicht. Der Rest der Welt darf sich bis Februar 2026 gedulden. Das Warten gehört aber manchmal dazu, denn Schönheit, so zeigt uns Niedermair, entsteht nicht im Moment des Klicks – sondern im langen, leisen Strom vom Kopf zur Hand. Oder, um es weniger poetisch zu sagen: Selbst Perfektion braucht einen Bleistift.

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