Interieur

Vitra Abloh

(TWENTYTHIRTYFIVE Installation View; Copyright: Vitra, Photography: Julien Lanoo)

Eierlegende Wollmilchsau? Architekt, DJ, Ingenieur, Hochschuldozent, Designer, Künstler, Unternehmer und Kreativdirektor von Louis Vuitton – es gibt kaum einen Bereich, in dem Virgil Abloh nicht tätig und vor allem äußerst erfolgreich ist.
Aufgewachsen als Kind ghanaischer Emigranten in einem Vorort von Chicago, schafft es Virgil Abloh, Luxusmode zu entwerfen und gleichzeitig Gedanken über deren Notwendigkeit aufkommen zu lassen. Er hinterfragt bestehende Ordnungen und Hierarchien, Referenzsysteme und Deutungshoheiten.

Es mag auf den Betrachter befremdend wirken, wenn Abloh kollektives Kulturgut zitiert und überträgt, optimiert und verändert: Renaissance-Gemälde oder Sneakers, Rem Koolhaas oder Kim Kardashian, er „sampelt“, was immer ihm in die Finger gerät. Seine Fans folgen ihm wie Lemminge, allerdings mit dem Unterschied, dass sie nicht wie die putzigen Wühlmäuse von der Klippe stürzen sondern ins finanzielle Unglück: Zwar sind manche Designs von Virgil Abloh nicht unbedingt teuer (der IKEA-Teppich hat 299 Euro gekostet), allerdings sind sie so stark limitiert (bei IKEA auf 1.300 Stück), dass sie kurz nach Verkaufsstart für ein Vielfaches bei den üblichen Online-Plattformen gehandelt werden. So auch der „Ceramic Block“, den Abloh für seine jüngste Kollaboration entworfen hat: 999 dieser Blöcke kann man dieser Tage als limitierte Ausstellungsedition kaufen. Jedes Exemplar wird dank seiner Nummerierung zum Einzelstück. Sie sind Teil der Vitra-Rauminstallation „TWENTYTHIRTYFIVE“, die seit dem 12. Juni bis Ende Juli in der „Fire Station“ von Zaha Hadid auf dem Vitra Campus und im Herbst im neu zu eröffnenden Vitra-Showroom in New York zu sehen sein wird. Preislich lagen die Blöcke, die mich auf unheimliche Weise an die Supreme-Ziegelsteine erinnern, bei erschwinglichen 149 Euro, bei eBay hingegen bei ca. 500 Euro.

Für „TWENTYTHIRTYFIVE“ beschäftigte sich Virgil Abloh mit der Wechselwirkung zwischen dem heranwachsenden Menschen und seiner häuslichen Umgebung. Einerseits steht der Gedanke im Raum, wie sich der technologische Wandel und gesellschaftliche Veränderungen auf unser Zuhause auswirken könnte, was auch Themen wie Nachhaltigkeit durch Wiederverwertung oder den Überfluss aufgreift – oder wie es Abloh ausdrückt: „Man kann durchaus darüber diskutieren, ob wir 2035 überhaupt noch Möbel brauchen.“ Andererseits geht es um die Frage, inwiefern die Umgebung unseren Werdegang, unseren Geschmack und die Entscheidungen, die wir im Laufe des Lebens treffen, beeinflusst. Daraus hat Virgil Abloh eine „Wohnbiografie“ eines fiktiven Teenagers aus dem Jahr 2019 entworfen, der ins Jahr 2035 begleitet wird.

Teil dieser futuristischen Wohnungseinrichtung sind neben dem Ceramic Block noch zwei weitere Vitra-Spin-Offs, die aus der Installation heraus entstanden sind und ebenso auf dem Vitra-Campus und im Online zu kaufen sind: Der Sessel „Antony“ und die Wandlampe „Petite Potence“, jeweils Entwürfe der Designlegende Jean Prouvé. Der Franzose hat die Wandleuchte „Potence“ 1942 für sein Zuhause in Nancy eingesetzt, und schon bald wurde der Entwurf in verschiedenen Größen produziert. Virgil Abloh ist fasziniert von der industriellen Klarheit dieses Entwurfs und akzentuiert die industrielle DNA des Entwurfs: Er gibt ihm mit einer orangefarbenen Lackierung neue Präsenz und ergänzt es um ein wenig dezentes LED-Leuchtmittel in einem länglichen Gitterkäfig. Virgil Ablohs Version der „Petite Potence“ ist in einer auf 300 Stück limitierten, fortlaufend nummerierten Auflage zum Preis von 1.489 Euro erhältlich.

Der Sessel „Antony“ wurde von Jean Prouvé Anfang der 1950er-Jahre für die Cite Universitaire von Antony bei Paris entwickelt. Virgil Abloh verändert den Sessel mit einer Sitzschale aus Plexiglas und öffnet so den Blick auf die tragende Metallstruktur, die zusätzlich durch eine leuchtend orange Lackierung betont wird. „Antony“ ist in der Virgil-Abloh-Version auf 100 Stück limitiert und kostet 2.489 Euro.

Um nochmal Virgil Abloh zu zitieren: „Man kann durchaus darüber diskutieren, ob wir 2035 überhaupt noch Möbel brauchen.“ Prouvé hat bewiesen, dass gutes Design immer gebraucht wird. Ob sich das bei den Entwürfen von Abloh auch so verhält, müssen wir abwarten. Bis 2035 ist noch viel Zeit ins Land gegangen …

  • Hannes
    14. Juni 2019 at 21:18

    „Man kann durchaus darüber diskutieren, ob wir 2019 überhaupt noch Virgil Abloh brauchen.“

  • Glencheck
    15. Juni 2019 at 11:17

    Danke, Hannes! Oder STRENG LIMITIERTEN Klimbim.

  • fred
    16. Juni 2019 at 15:01

    „Er hinterfragt bestehende Ordnungen und Hierarchien, Referenzsysteme und Deutungshoheiten.“

    Jemand der bei LV arbeitet hinterfragt meiner Meinung nach keine Hierarchien. Er bedient ein Marketingklischee, das im Moment sagt, dass es so aussehen müsste, als würde man Hierarchien hinterfragen (um damit mehr Geld in die Kassel zu spülen). Es gibt wirklich gute Leute, die über Jahrzehnte Hierarchien hinterfragt haben. Aber diese Leute sind nur einer kleinen Gruppe bekannt, denn wer Hierarchien ehrlich hinterfragt und in Frage stellt, wird nicht ins Rampenlicht gestellt. Es ist eine Masche, die Geld einbringt. Wäre das System nicht hinterfragt, wenn Vitra Möbel verschenken würde?

    Ich denke, Hannes hat recht. Wie brauchen Abloh nicht. Wer klever genug ist, der kann Hierarchien auch für sich alleine hinterfragen. Oder?

  • Stephanberlin
    26. Juni 2019 at 17:10

    @Hannes, Glencheck, Fred: ich kann mich euch nur anschliessen.
    Vor 20 Jahren hatte ich mal ein paar Louis Vuitton-Sachen…habe aber komplett ALLES auf Ebay verkauft and would not want to be seen with it!