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Verlassen die Ratten das sinkende Schiff?

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Für diese Überschrift, die ich auch noch aus der launigen Subline Horsts in einer Mail gebastelt habe, muss ich mich vermutlich stellenweise hassen lassen … Anlass zur Frage geben die beiden Designer Oliver Lühr und Thomas Bentz, die mit ihrem Label Achtland nach London weiter wandern, wie Alfons Kaiser vorgestern auf FAZ-Online in seinem Artikel „Abschied von Achtland“ zu berichten wusste …
achtland
Bild: PR

Treffenderweise bezeichnet der Mode-, Berlin-Fashionweek- und Branchenkenner Kaiser den Entschluss der Designer als Menetekel für Berlin. Lühr und Bentz haben erkannt, dass das trotzige Beharren der Verantwortlichen, der Szenekenner, der Modeblogger und anderer Claqueure so lange nichts nützt, als die Einkäufer einfach fehlen. Und die London Fashion Week hatte in den vergangenen Jahren geradezu idealtypisch vorexerziert, wie man den Missing Link schließt.

Hochprofessionell hat man das Ziel verfolgt und erreicht, dass Einkäufer die Fashion Week auch für das Screening nach neuen Talenten unter den Labels intensiv nutzen. Die Präsenz einiger Labels, die aus diesem professionellen Pret a porter Marketing der Londoner hervorgingen, spricht Bände. Jeder kennt Peter Pilotto, Mary Katrantzou, Christopher Kane, L’wren Scott, Roksanda Ilincic, Erdem … Victoria Beckham sowieso …. Bei allen Luxus-Onlineshops sind alle marktreifen und guten Labels seit Jahren bestens vertreten. Wenn ich mich da nicht irre, sind in den letzten drei Jahren gut dreißig solcher Labels in den Markt eingetreten und haben sich dort ihren Platz geschaffen und mit immer besseren Oderkollektionen weiter ausgebaut.

Und auf diesem Terrain tut sich in Deutschland einfach gar nichts. Ich kann diese Marktlügen einfach nicht mehr ertragen. Und die ach so entzückten Hach’s und Huch’s der ModebloggerInnen ohne blassen Dunst von den Markterfordernissen, noch viel weniger. Die allermeisten der Labels, die in Berlin präsentieren, leben von Kleinserien und sind von einer deutschlandweiten Distribution, die sicherstellt, dass man den Klamotten auch irgendwo im Handel begegnet, noch (ein Stück) weit entfernt. Von internationaler Distribution ganz zu schweigen. Und das ist naturgemäß keine Schuldzuweisung an die Designer. Die können sich den Markt ja nicht mit Trotz um erfinden, obwohl manche das vermutlich doch tun. Deutschland ist einfach keine Modenation, das darf man im Jahr der Fußball WM doch wohl sagen!

Und davon, dass die MBFWB abseits der Aktivitäten, die Modepresse (vorwiegend heimische und Blogger, die aber bitte gleich waggonweise), D, C, B und fallweise auch A-Promis in die Frontrow’s zu setzen, auch mit griffigen Marketingmaßnahmen die Einkäufer und internationalen Key Management Buyer für den Besuch der Fashion Week gewinnen, kann nach wie vor keine Rede sein. Berlin als Modestadt mit seiner Fashion-Week ist für mich eine Mischung aus kafkaesken Eigenaussagen aus dem Reich der blühenden Fantasien und bernhardesken Ausführungen dazu, dass doch alles so toll ist, weil Berlin zur Zeit die heißeste Stadt der Welt ist … Man konterkariert sich selbst und merkt es nicht.

Ich freue mich darüber, dass Achtland seine Chancen wahrnehmen will und die Nase ab März in den rauen Wind der wirklichen Modewelt Londons hält. Da kann man nur lernen und neben wichtigen Erfahrungen natürlich auch die Aufmerksamkeit der Einkäufer und Kontakte zu denselben dazu gewinnen. „Wir brauchen eine Plattform für den Zugang zu internationalen Einkäufern“, so Bentz und Lühr. So einfach gesagt, wie richtig erkannt!

Von Style-Nites und fancy Bloggergedöns mit Nora Waldstätten und allen anderen üblichen Verdächtigen beim Frowin‘, werden die Kassen der jungen Firmen nicht voll sondern leer! Das „Abenteuer Markenaufbau“ (Titel des Films von Andreas Brand) will ganz unspektakulär mit Professionalität und richtigen Entscheidungen, auch denen zum besten Firmenstandort, gemeistert werden.

Wir wünschen Achtland dafür das Allerbeste! Und guckt bitte nach dem Lesen des Berichts von Alfons Kaiser ruhig mal bei „Freunde von Freunden“ zu Achtland herein …. sehr schöner Bericht und tolle Bilder …

  • Siegmar
    28. Februar 2014 at 16:07

    Finde es schade das „Achtland“ weggeht, die Entscheidung ist nachvollziehbar. Leider kümmerst sich in Deutschland, wie hier schon oft besprochen, niemand wirklich um die jungen Designer, es gibt keine guten Plattformen und Veranstaltungen wo sie vorgestellt werden und auch die einheimische Presse hat offensichtlich wenig Interesse die “ Jungen“ zu protegieren. Liebe daisydora der Satz“ dass doch alles so toll ist, weil Berlin zur Zeit die heißeste Stadt der Welt ist … Man konterkariert sich selbst und merkt es nicht.“ ist auf was bezogen. Ich mag einfach nicht dieses unisono negieren von Berlin, was interessanterweise nur in Deutschland passiert, im Ausland ist die Sicht auch Berlin immer sehr positiv besetzt und Berlin ist für alle eine absolut großartige Stadt. Die MBFWB ist nur für einen geringen Anteil an Besucher wichtig, spült natürlich auch nicht wenig Geld in die Berliner Kassen. Wenn sie in München stattfinden würde, wäre das auch ok. Die FW nutzt selbstverständlich auch das Image das Berlin hat als junge, kreative Stadt. Ob Berlin die heißeste Stadt ist, weiß ich nicht, für viele sicherlich eine Stadt wo man gerne hinfährt. 🙂

  • Frederik
    28. Februar 2014 at 17:13

    Wer als Designer in Deutschland Erfolg haben will, muss ins Ausland gehen. Das ist eine alte Designer-Erfahrung und
    nichts neues.
    (Das gilt in anderen kreativen Berufen genau so. Denken wir an Romy Schneider, Hanna Schygulla, Nina Hagen usw.)
    Ich wünsche den beiden viel Glück!

  • J
    28. Februar 2014 at 20:41

    Warum auch nicht, was findet in Berlin schon statt?

  • Daisydora
    1. März 2014 at 08:48

    @Siegmar

    Lieber Siegmar, ich mag Berlin … wie Du weißt, habe ich in Potsdam gewohnt, bin in der Zeit viel in Berlin unterwegs gewesen. Trotzdem lasse ich mir die leise Kritik an meinem Rundumschlag von Dir gerne gefallen, da meine Abstraktion zu Berlin sich nur auf Teile der Szenen bezieht, insbesondere die der Mode und Werbung. Da ist mir einfach zu viel heisse Luft mit Schaum unterwegs. Und es gibt haufenweise Leute, die mit der Fama, dass Berlin der Platz ist, an dem sich das kreative Zentrum Deutschlands befindet, einfach nur Geld machen wollen. Guck Dir dazu nur die einschlägigen Blogs an, stellenweise grausam und absolut inkomepetent … Aber das alles ändert nichts daran, dass es in Berlin haufenweise großartige Leute, Künstler, die wirklich welche sind und Könner gibt, auch solche der Mode. Die ohne großes Gedöns einfach hochprofessionell ihr Ding machen und über die kaum jemand schreibt. Die Kollektionen des Labels Firma, nur als ein Beispiel, sind vielleicht nicht so jungdesignermäßig dekoriert und verspielt, aber die Designer sind wirklich welche und arbeiten tagtäglich an der Marke, auch an der internationalen Distribution.

    Was ich wirklich damit sagen wollte: Ich kenne den Bereich der Förderung von Designertalenten aus eigener Arbeiterfahrung, sehr gut und kann auf den ersten Blick sehen, ob das marktreife Kollektionen sind … und im Lichte dessen besehen, dass viele der Teilnehmer an der MBFWB da noch große Defizite haben, halte ich es für absolut kontraproduktiv, dass eine ganze Stadt im Modebereich so tut, als könne man London, Mailand und so weiter glatt abschaffen.

    Und weder die BloggerInnen, die sich vor Begeiesterung immer halb überschlagen, noch die Promis aller Güteklassen kaufen die Sachen, mit denen sie sich in den Schauen, für ihre eigene PR, fotografieren lassen. Das nervt mich an Berlin, weil es mir um die Mode geht und ich den Markenaufbau von jungen Labels lange direkt vor der Nase hatte 🙂 aber ich danke Dir sehr für den Zwischenruf, ich darf das nicht so abstrakt und in Bausch und Bogen schreiben … 😉

    @Frederik

    Die Strahlkraft internationaler Erfahrung wird immer bestehen, das sehe ich auch so … obwohl Hanna Schygulla für mich schon ein echter Star war, nachdem ich die ersten Fassbinder Filme gesehen hatte … 🙂

    @J

    Ich denke, die beiden sind nicht naiv in das Unterfangen gegangen … und zum Thema Berlin, das liest Du ja hier, kann man auch mal ambivalent eingestellt sein. Aber abseits der Poser und Blender, ist Berlin auch eine Stadt, derern Geistes-, Kunst- und Kulturleben ich sehr schätze. 🙂

  • monsieur_didier
    1. März 2014 at 12:04

    …ich kann mich an Zeiten erinnern, als London als Modemetropole Ende der 80er total gehypt wurde, Kreativmekka etc., alle waren hin und weg und dann versank London als Modemetropole im Dornröschenschlaf, mit der gleichen Argumetation wie jetzt in Berlin…
    und nun wird wieder London gehypt…

    …das Pendel schwingt hin und her, hin und her, hin und her………………

  • Daisydora
    1. März 2014 at 12:13

    @Monsieur_Didier

    Helau Monsieur :-)… stimmt auch, das kann sich je nach Marketing der Modewochen, den Professoren in den Mode- und Kunstunis und durch gute Investoren auch jederzeit wieder ändern. Keine Stadt außer vielleicht Paris, hat den Erfolg auf ewig gepachtet …

    Aber die Preise, die relativ neue Designer, die in London präsentieren, für ihre Mode verlangen können, sprechen auch für London und das inkäufergerechte Marketing. Aber wem sage ich das!

  • Daisydora
    1. März 2014 at 12:14

    Nachtrag: einkäufergerecht, ich hab nix getrunken! 🙂

  • monsieur_didier
    1. März 2014 at 21:46

    …Halt Pohl, Fräulein Daisydora 🙂
    ich weiß, Du hast gute Argumente für London…
    die Stadt und ihre Designer sind „damals“ auch hauptsächlich daran gescheitert, weil das Netzwerk fehlte und fast allen Designer die nötige Professionalität und das Durchhaltevermögen fehlte…
    heute ist das anders, da wird mit Mode, auch und gerade mit dieser Mode, sehr viel Geld verdient…!

  • Daisydora
    2. März 2014 at 10:15

    @Monsieur_Didier

    Das „Halt Pohl“ kannte ich gar nicht, sehr lustig, Monsieur! 🙂

    Das mit London und seinem Talentemarketing hatte ich früher nicht so verfolgt, weil da der Fokus, wie Du weißt, ganz auf Paris und Mailand lag … dann kam New York so richtig in Mode und erst durch die zugkräftigen Namen Mc Queen, Galliano und Westwood, die lustigerweise auch von den beiden Jungspunden mit hoch gehievt wurde, hatte man London dann auf dem Schirm, obwohl die in Paris präsentierten …

    Wenn ich Dich richtig verstehe, dann können wir einander zumindest in Teilen dort treffen, wo festzustellen wäre, dass sich das Modewochenmarketing insgesamt in den vergangenen 10 Jahren sehr professionalisiert hat, nur Berlin ist noch etwas veträumt unterwegs und die Lehre an Deutschlands Modehochschulen, ist vermutlich etwas weichgespült … siehe Louise Wilson!

  • monsieur_didier
    2. März 2014 at 11:29

    @ Daisydora
    „Halt Pohl“ ist der Gruss der Narren aus Mönchengladbach 😀

    ja, meine Äusserung hast Du richtig verstanden…
    in London sind so viele Talente verbrannt, weil sie vom „System“ komplett überfordert waren und die ganze Sache eher als bunte Spielwiese verstanden und schlicht und ergreifend nicht verstanden, dass ein bisschen mehr dazu gehört, als „nur“ Talent…

  • Die perfekte Garderobe – Das gelbe Tea-Dress mit Blütenranken von Achtland | Horstson
    2. März 2014 at 12:49

    […] Horst immer mitarbeitet, wurde dieser Bericht, der von Mittwoch der Woche ist, von der Meldung, dass Achtland nach London gehen, zuerst eingeholt und dann überholt … aber vielleicht hätte ich früher bei […]

  • Siegmar
    3. März 2014 at 10:59

    Danke Daisydora,
    ich sehe Berlin halt mit anderen Augen und die MBFW ist für mich mittlerweile egal wo “ Spektakel “ für Promis geworden und gerade Berlin, da stimme ich dir zu, wird immer uninteressanter. Ich habe einige der FW live erlebt und war auf den letzten Shows eigentlich nicht mehr. Mit den Bloger/inen geb ich dir Recht. Berlin hatte sehr gute Designer von LalaBerlin bis zu dem tollen Kostas Murkidis die auch gut verkaufen, weil sie sich im Marketing auskennen od. Leute kompetente Leute dafür haben.

  • Siegmar
    3. März 2014 at 11:02

    hatte ich vergessen:

    und ehrlich, wer kennt „Achtland“ wirklich und ich würde es ihnen gönnen, das sie in London sehr erfolgreich sind.

  • Daisydora
    3. März 2014 at 12:25

    @Monsieur_Didier

    Ich schätze, Dü könntest Dich auch noch an Rifat Ozbek erinnern … 😉

    @Siegmar

    Mit Vergnügen, ich will ja nicht sonderlich werden 🙂 Klar hat Berlin auch sehr gute Designer, Kostas M. mag ich auch sehr und Hien Le … aber Lala Berlin finde ich fast in jeder Saison total schrecklich … diese Muster sind teilweise echt unterirdisch und immer so harte Kontraste …. und die Schnitte sitzen auch nicht … In dieser Saison gibt es in der Kollektion genau einen Cardigan in Rot aus Viscose (transparent wie der von Rochas), den würde ich tragen … die beiden geprinteten Jeans in Rot/Weiß sind ganz nett … der Rest ist für mich Schweigen … tut mir leid!

    Aber wir drücken Achtland die Daumen! 🙂

  • Siegmar
    3. März 2014 at 13:12

    dann kann ich noch Kaviar Gauche anbieten, das Label das gerne Heike Makatsch einkleidet.

  • Daisydora
    3. März 2014 at 13:34

    @Siegmar

    Kaviar Gauche finde ich in der Tat besser, aber ich habe auch dort leider noch nie ein Kleid gesehen, das ich haben wollte …

    Heike Makatsch ist eine sehr attraktive oder sogar schöne Frau, aber den Stil finde ich, obwohl sehr zu ihrem Typ und dem Vibe in Berlin passend, nicht wirklich elegant. Vermutlich bin ich da zu sehr internatinal verstrahlt … 🙂 … aber Du siehst, die Nachhilfe, die Du mir fallweise angedeihen lässt, hilft … ein Kleid von Achtland ist besser als keines …

  • Monsieur_Didier
    3. März 2014 at 15:51

    …natürlich, Rifat Ozbek war toll, der hat fantastische, farbenfrohe Mode produziert…
    leider hat er sich irgendwann frustriert aus dem aktuellen Geschäft zurückgezogen…
    es gab in London so viele tolle Leute…

    ich kenne Achtland nicht sehr intensiv, aber sie fielen mir irgendwann auf, durch die vielen tollen Presseberichte…
    leider sah ich nie jemand mit ihren Stoffträumen…

  • Muss die Berliner Fashion Week umziehen? | Horstson
    25. März 2014 at 15:47

    […] nicht, auch weil die Relevanz der Fashion Week in Berlin Jahr für Jahr sinkt und auch schon die Ratten das sinkende Schiff verlassen. Als alternativen Austragungsort des Kampfes um den Platz in der ersten Reihe schlägt Monika […]