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Peter’s Cuttings – Oh la la, Lacroix!

Mode-Dokumentationen waren Anfang der 90er Jahre rar und meistens eher sehr allgemein gehalten. Erst durch das Aufkommen der Videotechnik wurde ab und zu die Entstehung einer Kollektion dokumentiert, doch aus Angst vor Kopisten meist lange nach dem Erscheinen der Modelle veröffentlicht.
Vieles davon ist heute verlorengegangen oder aufgrund der Technik nicht mehr abspielbar. Letzte Woche fand ich eine Dokumentation, die sich rund um die Haute Couture Kollektion Frühling 1991 von Christian Lacroix dreht und auf wunderbare Weise zeigt, wie er damals seine Träume von Kleidern vorbereitete und wie damals präsentiert wurde. Vor allem gibt es eine Geschichte dahinter, die man nie erahnen würde, wenn man sich dieses wiederentdeckte Kabinettstück anschaut.

Im Januar 1991 war es nicht nur bedingt durch den Winter eisig in Europa, sondern die Welt hatte Angst vor einem dritten Weltkrieg. Der zweite Golfkrieg und das Einmischen der Amerikaner bewegte uns zutiefst und die Angst vor Terroranschlägen führte zu einer allgemeinen Panik, so dass noch kurz bevor die Schauen in Paris Ende Januar begannen, davon die Rede war, diese abzusagen. Diskussionen entbrannten, dass es merkwürdig sei, Luxus Kleider zu zeigen, zu einer Zeit, in der der die Welt vermeintlich vor dem Abgrund stand. Außerdem war klar, dass die damals so ausschlaggebenden Journalisten und Kunden aus Amerika und vor allem die Couture-Kundschaft bildenden Prinzessinnen aus Arabien nicht nach Paris kommen würden.
Kaum jemand wagte Transatlantikflüge und eine heute kaum mehr nachzuvollziehende Angst ging um. Die Einladungen waren geschrieben und die Kollektionen fertig und für mich war es klar – ich hatte Einladungen von Scherrer, Valentino und Chanel, vor allem aber von meinem absoluten Liebling Christian Lacroix – das ich fahren würde.

Christians Einladungen kamen pünktlich zu jeder Saison, seitdem wir uns 1983 bei Jean Patou persönlich kennengelernt hatten – für mich bildete er so etwas wie eine Ausnahmeerscheinung in der damals etwas angestaubten Szene. Außer Karl Lagerfeld für Chanel, der stetig das Modehaus von einem Highlight zum anderen führte, hatte Lacroix genau die Philosophie verwirklicht, die ihn schon seit seiner Studienzeit interessierte.
Er wollte eigentlich Theaterkostüme entwerfen, doch die Haute Couture reizte ihn, weil man ja eigentlich alles Unikate herstellt. Sein Stil, der ja auch eher theatralisch wirkte, war eine Mischung aus südfranzösischer Kostümkunde – immer schwang seine Heimatstadt Arles mit, verschwenderische Muster, opulente Stoffe und die Eleganz der Frauen aus den 50er und 60er Jahren. Dazu Tonnen von Accessoires, meistens aus vergoldeter Bronze oder Terrakotta und Hüte und Taschen, die wie Traumgebilde wirkten.
Seit seinem Debüt im Juli 1987, er wurde sofort Designer des Jahres, waren seine Schauen völlig anders als alle anderen. Nicht nur sein Stil und die Modelle, sondern auch die Inszenierung und die Musik. À la Parisienne Chansons, Disney Film Musiken, romantische Musetten oder südfranzösische Gipsy Folklore in einem opulenten Bühnenbild, das die Malerin Sylvie Skinazzi malte, waren jedes Mal wie Traumreisen in eine ferne, von Schönheit geprägte Welt.

Die Realität ereilte mich aber vorher – an einem eiskalten Januarmorgen, der Flug nach Paris wirkte wie ein Geisterflug. Vier Personen saßen schließlich und endlich in der Maschine nach Paris, nachdem nicht nur das gesamte Gepäck vorher durchsucht worden war, sondern auch noch einmal auf dem Rollfeld geöffnet wurde. Die Ankunft in Paris glich dem in einem Überwachungsstaat.
Die Stadt wirkte menschenleer, wie ich sie nie wieder erlebt habe und überall standen Polizisten aufgerüstet mit Maschinenpistolen. Hatte ein Restaurant geöffnet, glich es einer Möbelausstellung und vielleicht zwei oder drei Tische waren besetzt. Niemand ging aus, es wirkte, als stünde die Welt still.
Die Defilees fanden, wenn sie nicht in den eigenen Häusern stattfanden, in der École des Beaux Arts oder im Hotel Intercontinental in der Rue de Castiglione statt. Das Hotel aus der Belle Époque hatte einen wunderschönen Ballsaal und die Saint Laurent Modenschauen waren hier stets eine der Höhepunkte der Eleganz. In diesen Räumlichkeiten sollten nun auch Valentino, Scherrer und natürlich Christian Lacroix zeigen.
Schaut man sich mit dem Wissen um die damalige politische Weltlage und die Zukunftsangst die herrschte, die Schau und die Doku an, die wir für Euch wiederentdeckt haben, spürt man gar nichts von der Stimmung. Im Gegenteil – bei soviel Schönheit und Harmonie hat man das Gefühl, dass es nie wieder etwas Böses auf der Welt geben kann. Die Mode drückt genau das aus, wonach sich Phantasie und Couture sehnt – zu träumen und in Kleider zu schlüpfen, die einen weit von der Welt und vom Alltag wegbefördern. Sicherlich ist das heute immer noch ein Bestandteil der Couture, allerdings hat sich alles eher hin zu einer Normalität gewandelt.

Die Schau hat mich damals berauscht und vor allem ist es lustig zu sehen, wie die Photographen, die sich offiziell nicht auf dem Laufsteg lehnen durften, dicht gedrängt versuchen, die besten Bilder zu bekommen. Während der Schau konnten sie ja nicht die Filme in den Kameras wechseln und deshalb mussten die Assistenten zu den mühsam erkämpften Plätzen ständig neue gefüllte Kameras bringen. Im Gegensatz zu heute war es eher fürchterlich in einer der ersten Reihen zu sitzen, weil einem ständig die sich verbiegenden Rücken der Photographen und Assistenten vor dem Podium die Sicht versperrten.

Vieles hat sich geändert – doch eines ist geblieben: die Schau von Christian Lacroix blieb mir immer in Erinnerung, auch weil sie damals so ein wahnsinniger Gegensatz zu dem war, was draußen vor der Tür passierte. Es war die merkwürdigste Saison, die ich je in Paris erlebte.

Heute macht Christian Lacroix genau das, wovon er immer schon geträumt hat: Er kreiert Theaterkostüme, die absolut auf das jeweilige Stück zugeschnitten sind – wir berichteten von der Madame Butterfly Premiere in Hamburg.
In diesem Jahr wird er beginnend mit Radamisto von Georg Friedrich Händel in Wien starten. Es ist genau das, was er eigentlich machen wollte, aber eins kann ich nur sagen: Ich bin sehr froh das er den Umweg über die Haute Couture genommen hat. Ohne ihn wären die schönsten und phantasievollsten Kollektionen des 20. Jahrhunderts nicht entstanden und auch diese Doku auch nicht.
Viel Spass beim Wiederentdecken der Kollektion ‚Haute Couture Frühling 1991‘ von Christian Lacroix….

  • Volker
    7. Januar 2013 at 10:43

    Schöner Artikel, der Vergleich mit Theaterkostümen passt wie die Faust auf’s Auge!

  • t
    7. Januar 2013 at 11:10

    Über 60 Looks bei Haute Couture wird es heute nicht mehr geben. Ist das die Musik die auch auch live lief?

  • peter
    7. Januar 2013 at 11:31

    @t
    ja alles original!!früher hatte chanel teilweise 120 looks bei haute couture….

  • Daisydora
    7. Januar 2013 at 12:20

    Ich könnte schon beim Anblick des Stofflagers vor Freude halb durchdrehen, das war so ein tolles Couture-Atelier … und ich freue mich über jeden Kostümbild-Auftrag für Lacroix. Mögen die Kulturetats noch viel solcher Kostümbilder ermöglichen 🙂 Danke für das tolle Zeitdokument und den Bericht …

  • edina monsoon
    7. Januar 2013 at 21:28

    IT’S LACROIX, MY DEAR!

  • Horst
    8. Januar 2013 at 10:18

    Das Video ist wirklich der Knüller und das geht da ja bei den Fotografen zu wie bei der U Bahn! Schöne Erinnerung!

  • Siegmar
    8. Januar 2013 at 14:50

    ein ganz wunderbarer Artikel und ich freue mich auf den 1.2.2013 im Friedrichstadtplalast, da bin ich bei “ Show me “ eingeladen bin und Christian Lacroix hat für die große Show die Kostüme entworfen.