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Peter’s Cuttings – Broderie Lesage Paris

Denkt man an Haute Couture, hat man sofort kostbare Stoffe, Spitzen, kunstvolles Handwerk und nicht zuletzt Stickereien der aufwendigsten Art vor Augen. Früher gab es in Paris zahlreiche Stickerei-Ateliers wie Ginisty oder Jean Guy Vermont, sowie hunderte kleine Ateliers, die dann die Aufträge von unzähligen Couture-Häusern in Heimarbeit an Stickerinnen aus der Pariser Umgebung vergaben.
Mit dem weniger werden von Haute-Couture-Häusern in den Siebzigerjahren verschwanden viele dieser Unternehmen oder spezialisierten sich wie Vermont auf Dekorationsstoffe.
Heute existieren nur noch wenige „Brodeure“, wie die Sticker in Frankreich heißen und der berühmteste und größte ist Francois Lesage. Seit 2002 gehört er zu den Unternehmen, die Chanel gekauft hat, zum Schutz des Handwerks und zum Erhalt der Zulieferer.

Genau wie der Knopf- und Modeschmuck-Hersteller Desrue, der Federmacher Lemarie oder Maison Michel für die Hüte, arbeiten all diese Unternehmen für Chanel, haben aber eine autarke Geschäftspolitik und entwickeln teilweise auch eigene Kollektionen oder beliefern auch Couture-Häuser wie Dior oder Valentino.

Monsieur Lesage in seinem Atelier; Bild via Wall Street Journal

Lesage wurde zuvor als Familien-Unternehmen geführt und in der letzten Woche verstarb der langjährige Patron Francois Lesage in Paris – hoch in seinen Achtzigern.
Um die Zukunft des Handwerks und des Unternehmens zu sichern, sind die Archive und Lager von Lesage mit unvorstellbaren Reserven von Pailletten, Perlen, Glasfluss und anderen Stickmaterialien reich bestückt. Unter den Tonnen von Stäbchenpailletten, Jetsteinen und kleinen Flitterplättchen befinden sich viele Materialien, die es heute gar nicht mehr gibt … oder solche, die nicht mehr hergestellt werden. Einmalige Dinge, die, wenn sie heute wieder eingesetzt werden, praktisch vintage und nie wieder nachbeschaffbar sind. Teilweise stammen farbige Steine und Perlchen noch aus der Zeit Napoleons, III.

Die Mitarbeiter sind teilweise schon 40 Jahre und länger bei Monsieur Lesage beschäftigt. Es wird streng darauf geachtet, dass die erfahrenen Mitarbeiter die einzelnen Sticktechniken an die Lehrlinge und die jüngeren Stickerinnen weitergeben. So gibt es neben den Stickereien, die nach der Technik von Beauvais ausgeführt werden, auch Tambourier-Techniken, in denen feine Glasperlen und Pailetten aufgezogen und alle einzeln aufgestickt werden. In einigen Kleidern stecken mehr als 1000 Stunden Handarbeit.

Karl Lagerfeld arbeitet schon seit seiner ersten Haute-Couture-Kollektion für Chanel mit Lesage zusammen und war sofort begeistert von den unvorstellbaren Schätzen an Materialien und Entwürfen, die bis ins 19.Jahrhundert zurück gehen. Jeanne Lanvin, Patou, Vionnet, sie alle haben bei ihm arbeiten lassen.
Pikanterweise hatte Coco Chanel nie mit Lesage zusammen gearbeitet, weil ihre Erzfeindin, die Schiaparelli, ihre gesamten legendären Kollektionen bei ihm arbeiten ließ. So entstanden die berühmte Zirkus-Kollektion, 1938, sowie die Sternzeichen-Kollektion, 1939, alle auf Lesages-Stickrahmen. Das Unternehmen wurde damals noch von seinem Vater geführt. Erst nach der Übernahme von Chanel durch Karl Lagerfeld wurden fast alle Couture-Entwürfe zusammen mit Francois Lesage realisiert.

Durch die Winter-Kollektion 1984 gab es einen Eklat mit den anderen Couture-Häusern, weil Karl fast 70 seiner 80 Modelle komplett besticken ließ und die anderen Modehäuser keine Kapazitäten mehr bekamen. Die Kollektion, ihr seht das Beispiel eines Abendkleides, das sich vom Motiv der Rüstung Peters des Großen von Russland inspirieren ließ. Eine Stickarbeit, so aufwendig, wie nie wieder eine zweite bis heute bei Chanel. Tausende und aber tausende Arbeitsstunden gehen in die vollflächige Bestickung, bei der teilweise auch Stoffmuster komplett nachgestickt wurden oder Seidendrucke auf Tüll oder Voile mit zahllosen nuancierten Porzellan-Perlchen durch übersticken komplett noch einmal auf den Stoff gebracht wurden.

Viele Chanel-Entwürfe, die von Lesage realisiert wurden, sind legendär. So wie das Kleid aus der Frühjahr-Sommer Kollektion 1983, das ganz in schlichtem Schwarz gehalten war, aber den Modeschmuck von Mademoiselle in verschwenderischer Pracht nur vortäuscht, die Malteser Armreifen und Kaskaden von Ketten. Komplett gestickt und heute in vielen Modemuseen der Star der Kollektion. Oder es gab auch mal ein bodenlanges Abendkleid, das in blau und weiß – komplett einer chinesischen Porzellanvase aus der Ming-Dynastie nachgestickt war. Aus Millionen von Millimeter kleinen Porzellan-Perlchen.
Lesage und seine Ateliers sind eine Ausnahmeerscheinung der Haute Couture. Die meisten Stickereien auf Prêt-à-Porter werden heute in Indien (dort aber nur von Männern) gestickt oder sind in Techniken gemacht ,die nicht so aufwendig sind.
In der letzten Chanel-Couture-Kollektion gab es ein Kleid, das wie ein Kostüm aussah, aber nur aus Pailletten bestand und gar nicht zweiteilig war. Der Rock und die Jacke existierten gar nicht, sondern wurden in Trompe-l’oeil-Stickerei nur vorgetäuscht.

Befragt man die erfahrensten Stickerinnen, welches ihre Lieblingskleider waren, bekommt man oft zur Antwort, die von Christian Lacroix. Christian war bekannt dafür, dass er gerne experimentierte und sehr phantasievolle Motive, teilweise in Phototechnik und mit sehr schrägen Materialien wie Zelluloid oder Metallfolie, ausprobierte. Seine Vorstellungen kannten dort keine Grenzen und forderten die Handwerkerinnen immer wieder zu neuen Höchstleistungen heraus.

Neben den Ateliers gibt es bei Lesage immer wieder die Möglichkeit, in einer Art Stickschule auch Kurse zu belegen ,um hinter die ein oder andere Technik zu schauen. Allerdings sind die Anfängerkurse schon so, dass ein Laie dafür etwa hundert Jahre Erfahrung haben sollte. Das Schöne an solch spezialisiertem Handwerk ist halt, dass man es nicht kopieren kann. Das Tragische daran, dass es natürlich immer Menschen geben muss, die sich dieses Handwerk auch leisten können und wollen.

Deshalb hat Lesage durch die Patronage von Chanel auch die Möglichkeit, wertvolles Wissen über Handwerk weiter zu geben und Stickerinnen auszubildenden. Das ist super wichtig, damit solche Dinge der Welt nicht verloren gehen. Stirbt ein Meister, der sein Handwerk nicht weiter gibt, so kann keine nachfolgende Generation dieses je wieder aufleben lassen. Glücklicherweise haben Lesage und Chanel das gewusst und die Nachfolge früh geregelt, sodass in Zukunft auch noch viele Wunderwerke entstehen können.

Beim Brautkleid eines Couture-Hauses gibt es eine alte Regel: Wenn die Stickerin ein Haar von sich einstickt, ist sie in einem Jahr unter der Haube. Manche Stickerinnen haben sicherlich schon viele Haare in Brautkleider eingeflochten.
Monsieur Lesage bekommt bestimmt auch eine kleine Stickerei auf sein Totenhemd als Memento. Aber sein Handwerk und sein Betrieb lassen ihn sowieso nie in Vergessenheit geraten, denn es gibt noch viele spannende Kollektionen, in denen Karl Lagerfeld und Co. sicherlich eine wunderbare Spielwiese für hunderte kleine Pailetten finden.

Bilder: CHANEL; Lesage

  • Daisydora
    5. Dezember 2011 at 10:50

    Du hast uns schon so oft mit in diese faszinierende Welt genommen, Peter, und es ist jedes Mal aufs Neue wieder aufregend, wenn du aus den Couture-Ateliers heraus berichtest … 🙂

  • siegmarberlin
    5. Dezember 2011 at 12:03

    wunderbar und interessant, ich freue mich über deine Artikel gerade an so einem tristen Montagmorgen.

  • Johan
    5. Dezember 2011 at 15:25

    Sehr schöner Beitrag. Danke

  • thomas
    6. Dezember 2011 at 13:43

    hat monsieur lesage bis zum schluss die firma geleitet?