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Männermode für Millionenstädte und Modeblogs? – Kollektionskritik 2.1

Sobald ich beim Zappen auf RTL und bei Wer wird Millionär lande, frage ich mich als Mensch mit europäischem Migrationshintergrund immer, wo sind all die größeren Dörfer mit mir noch unbekannten Namen, aus denen die Teilnehmer kommen oder in denen sie wohnen. Die Antwort kann ich mir mittlerweile auch selbst geben: Da sind ganz viele Bundesbürger darunter, die irgendwo an der Peripherie kleiner Städte oder Dörfer ein Eigenheim gebaut, gekauft oder geerbt haben. Naturgemäß gibt es darunter mehr verheiratete Familienväter als in Berlin, aber auch junge Männer mit Affinität zu Mode verlieben sich mal, heiraten und bekommen Kinder und wohnen dann entweder in einer Altbauwohnung auf St. Pauli oder in so einem Eigenheimdorf.
Worauf will ich hinaus? Nach vielen Berichten über die in Mailand und Paris gezeigten Männerkollektionen, in denen Kollegen und ich Zweifel an der Tragbarkeit der Kollektion von Rick Owens geäußert hatten, entspann sich eine Diskussion und es gab auch schon einen sehr gut geschriebenen Bericht zum Thema der Kollektionskritik auf Blogs, der mich zum Nachdenken und diesem Bericht angeregt hat.

Alles rankt sich um die Frage, ob es bei der Beurteilung einer Kollektion überhaupt eine Rolle spielen sollte, wie gut man die Teile in ein normales Leben integrieren kann. Ob das nicht der Anfang vom Ende wirklich visionärer Ideen sein könnte, wenn man sich davon leiten lässt, sich ganz normale Männer in die Kollektionsteile der Designer hinein zu denken.
René findet dazu: Gerade eben haben wir die Männerschauen hinter uns gebracht, unzählige Kollektionen wurden gezeigt und größtenteils auch schon abgeurteilt. Nie war Kritik an Mode so schnell und auch so weitreichend wie heute. Nie waren Kollektionen schneller in den Himmel gelobt… Eigentlich hatte ich vor nach den Schauen eine Top- und Flop-Liste zu erstellen, Favoriten vorzustellen und Andere, deren Sachen mir nicht so wirklich zusagten, in den Boden zu stampfen. Doch bei längerer Betrachtung und dem Lesen bereits hier und andernorts veröffentlichter Kritiken habe ich festgestellt, dass es so einfach doch nicht ist. Vor allem neigt man als Kommentator dazu, ein Werturteil über einen Kollektion abzugeben, ohne sich aber tiefgreifend damit beschäftigt haben zu können.
Das kann man als Meinung so gelten lassen. Ich sehe das aber ganz anders: Der Markt an Designerlabels ist randvoll. Es gibt heute zirka viermal so viele, wie vor zwanzig Jahren. Die Blase ist längst geplatzt und es gibt Labels, deren Distribution nur äußerst mühsam voranschreiten dürfte. Und daraus ergibt sich, dass der Anteil an effektheischenden Teilen in den teuren Designerkollektionen immer weiter ansteigt. Man buhlt um die Gunst der Stylisten und Editors in Chief der Hochglanzmagazine und vielleicht auch der führenden Modeblogs.

Auffallen um jeden Preis, sagt der Volksmund zu diesem Vorgang. Zum Glück für die Designer und Modekonzerne kommen seit einigen Jahren immer mehr der neuen Wohlhabenden aus den ehemaligen Schwellenländern hinzu; die orientieren sich aber auch eher an Luxuslabels wie Chanel, Louis Vuitton, Hermes, Gucci & Co. – an den Modemarken eben, mit deren Raubkopien man früher Vorlieb genommen hatte. Es geht vielen Menschen beim Tragen von teurer Designermode schließlich auch darum, das Sozialprestige durch eine gewisse Zurschaustellung von Wohlstand zu mehren. Und das funktioniert mit den alten Logolabels perfekt.

Es ist deshalb aber nicht schlecht, als internationaler Designer einen kleinen und feinen Markt mit sehr modischen Teilen zu bedienen. Nur irgendwo müssen die Männer ja leben, die im kommenden Frühjahr die Kuttenkleider von Rick Owens tragen werden, oder? Und ich frage mich, wo außer in der Rosenthalerstrasse in Berlin und anderen von führenden Modeblogs bekannten Straßenzügen in New York, Oslo oder Paris, werden Männer in den Kleidern von Rick Owens zu sehen sein.
Ich meine diese etwas seltsamen Männer, die auch mal schnell was im Supermarkt einkaufen, sich mit ihren Kumpels am Abend nach dem Büro noch schnell auf ein Bier treffen oder mit der oder dem Liebsten beim Italiener zum Essen verabredet sind. Natürlich auch solche, die ihre teuer erworbenen Designerklamotten ganz gerne mal zur Arbeit anziehen wollen, wenn schon ein wichtiges Meeting ist, für das sich alle in ihre besten Zwirn werfen.

Damit wir uns hier nicht missverstehen: Ich will Männern nicht den Schneid abkaufen, beim nächsten Marketingmeeting der Deutschen Telekom mal probeweise in einem Outfit von Dries Van Noten aufzuschlagen, das über den langen Hosenbeinen noch gestreifte kurze unter dem auch nicht eben akkuraten Sakko hervor blitzen lässt, aber vor einem ärmellosen Orangefarbenen Kunststoffhemd von Raf Simons oder einer Erdbraunen Mönchskutte von Rick Owens würde ich eher abraten.
Ist ja ohnehin nur hypothetisch: Denn, Männer wissen auch ohne den Rat von uns Schreibern auf Modeblogs, worauf sie Lust haben und was davon sich auch mit ihrem Leben verbinden lässt. Die wenigsten neigen dazu, sich dafür zu rüsten, dass an der nächsten Ecke jemand von Stil in Berlin oder Dandy Diary mit der Kamera lauern könnte, um den gottvollen Anblick visionärer Männerbekleidung auf den Modeblogs zu verewigen.

Man kann nun fragen: Wo liegt denn der Unterscheid zwischen den Kleidern von Owens und meiner Ermutigung derselben Männer, mal einen Hosenrock von Yohji Yamamoto ins Auge zu fassen, wenn es denn zum Leben passt und dem Gusto entspricht? Nun ja, das kann man genauso verrückt finden, da sich wahrscheinlich kein Mann findet, der mit einem Outfit aus Hosenrock und Schürzen-Chaps darüber in seiner Eigenheim-Neubausiedlung abends nach dem Büro vor den Augen aller Nachbarn grazil aus seinem A Klasse Mercedes oder der Familienkutsche hieven wird.
Natürlich kann das Leben ganz normaler Männer nicht Blueprint oder gar visionäre Inspiration für die neuen Kollektionen von Designern sein, die sich der Avantgarde verschrieben haben. Aber Mode, die sich in gar kein normales Leben integrieren lässt, kann man auch nicht unbedingt als gelungen bezeichnen, oder? Irgendwann landen auch die Männer aus Avantgarde-Hochglanzmagazinen und Modeblogs in der Realität und verlieren das Interesse daran, sich für Andere originell zu verkleiden. Wer lebt denn schon Jahre nur für die Kamera und den netten kleinen Aufreger auf der Rosenthaler Straße?
Das Daisy Fazit lautet: Viel Lärm um nichts. Es geht da um Ideen, die auf einzelne Teile bezogen weltweit nicht öfter als zehn oder zwanzigmal zu kaufen sein werden. Der Löwenanteil davon geht ohnehin zum Fotografieren an Magazine und danach in den Fundus, bis es dann Vintage ist …..
Sicher ist Mode nicht das, das ohnehin schon alle tragen, obwohl das gerade von Modeblogs mit all ihren inspirierenden Streetstyles gerne so gesehen wird. Aber Mode kann auch nicht gut nur das sein, was die Key Management Buyers nicht ordern, weil es dann am Ende kaum einer tragen will. Und die Frage: Wohin ziehe ich das denn an, wird bei zirka siebenundneunzig Prozent der Männer nie zur Nebensache werden.
Ich schulde euch aber noch eine Antwort: Yohji Yamamoto kann mit seinem kulturellen Background auftrumpfen, macht es länger und kann es besser, als der fraglos sehr begabte Kollege Rick Owens. Das muss man auch mal sagen dürfen. Aber wie denkt ihr darüber, liebe Leser und liebe Bloggerkollegen?

Bilder: Header www.free-photo-gatag.net, Screenshot www.playlust.net, www.style.com

  • Männermode für Millionenstädte und Modeblogs? – Kollektionskritik 2.1 | Placedelamode
    4. Juli 2011 at 01:07

    […] Männermode für Millionenstädte und Modeblogs? – Kollektionskritik 2.1  » http:// horstson.de […]

  • siegmarberlin
    4. Juli 2011 at 12:18

    Yamamoto kann es besser, auch wenn ich das ebenfalls nicht tragen würde. Dein Bericht entspricht genau dem, was ich darüber denke. Selbstverständlich soll jemand kreativ und visionär sein und sollte dies auch in Show´s zeigen. Es geht auch nicht um den Bewohner eines Vorstadthauses od. eines Anwohners der Rosenthaler Str., selbstverständlich will ich tolle Mode tragen können, mich damit zeigen, vielleicht sogar auffallen, nicht aber um jeden Preis. Selbst bei Fashion Weeks sieht man selten was wirklich auffälliges, ausgenommen sind Modebloger die sich gegenseitig fotografieren um sich in ihren blogs gegenseitig zu präsentieren.

  • cb
    4. Juli 2011 at 14:28

    Keine Ahnung, ich trage recht gern Rick Owens oder Damir Doma Sachen, und das auch im Meeting bei der Deutschen Telekom …

    Aber den Hosenrock aus der aktuellen Kollektion würd ich genauso wenig tragen wie z.b. das schulterlose RAF Simons Sakko …

    Ich sehe das ein bisschen ähnlich weil auffallen um jeden Preis muss nicht sein, aber manchmal mit dezenten Stiefeln und einem etwas anderen Sakko gut die Runde der Vorstadtfamilienväter in Hugo Boss Anzügen zu sprengen hat schon was spassmachendes 😉

  • cb
    4. Juli 2011 at 14:37

    Nachtrag: Aber das ist doch klar das Rick Owens Nischenmode ist, wie Raf Simons, Walter von Beirendonk, wie Henrik Vibskov etc …

    Und da find ich es ganz ehrlich schwierig solche Kollektionen mit Acne oder sonst wem zu vergleichen, weil es alles ja ganz unterschiedliche Käuferkreise hat. Jemand der eine D&G Lederjacke kauft würde niemals eine Rick owens lederjacke kaufen, oder ?

    Kann man solche Kollektionen überhaupt vergleichen ?

  • Daisydora
    4. Juli 2011 at 16:07

    @siegmarberlin

    Klar ist mein Beispiel mit den Männern in den Eigenheimsiedlungen sehr plakativ, aber ich wollte einfach mit dem Gedanken spielen, ob die in Sack und Asche gehen müsen, weil deren Leben für manche Designer anscheined nicht mehr nachvollziehbar ist. Du bringst es aber ohnehin ganz richtig auf den Punkt: Man sieht am Fachpublikum im Rahmen von Modewochen, dass dises Auffallen um jeden Preis nichts ist, das normale Männer – von wenigen Ausnahmen abgesehen – wirklich brauchen.

    @cb

    Natürlich ist da auch für Ideen von Avantgarde-Designern genügend Spielraum und ich hatte auch nicht vor, jemand seinen Rick Owens oder Raf Simons madig zu machen. Aber manchmal muss das aus mir raus, wenn ich den Verdacht hege, jemand ist in dieser Saison einfach nix g’scheiteres eingefallen oder der Kunde soll sich mal einen Saison lang als Hofnarr des Designers verkleiden…

    Vergleichen kann man die Kollektionen glaube ich nicht. Es ist ja schon auch von den Möglichkeiten und den Teams her, die einem Designer zu Verfügung stehen, eine Zweiklassengesellschaft. Armani oder Louis Vuitton, nur als Beispiele herausgegriffen, haben einfach bessere Schnittleute und bessere Mustermacher und so weiter … und bei allem, was an Kollektionen heute am Handwerklichen hängt, merkt man heute schon große Unterschiede.

  • reiners
    4. Juli 2011 at 22:27

    Man sollte sich nicht zu sehr den Kopf darüber zerprechen, man will ja was verkaufen und an den Mann bringen, was heute modern ist ist morgen auch schon wieder modern, es war alles schon irgendwie mal Mode und da.