Allgemein

Lie To Me? – Das GummistiefelGate und die Ziffer 15 im Pressekodex

Au weia, ich schreibe für einen Modeblog und besitze keine Hunter Wellies, die Wellington Boots von Hunter; habe zur Zeit noch nicht mal Gummistiefel im Schrank und die letzten, an die ich mich schemenhaft erinnere, waren so Grüne Fischerteile aus dem gehobenen Jagdbedarf, die ich als echte Großstadtpflanze im Kofferraum herumfuhr und kein einziges Mal getragen habe. Dies nur, um euch auf das hochmodische und brisante Thema einzustimmen, um das es in meinem Bericht geht.
Wie ihr wisst, war an diesem Wochenende das MELT Festival, von dem die Branchenprima, Jessica Weiss, vom Blog LesMads, umfassend berichten wollte. Ob daraus was wurde, kann ich anhand der drei Abrisse der Veranstaltung, die sich dem eigentlichen Thema widmeten, nicht beurteilen. Was ich aber schon verifizieren kann, ist das, ob es für Pressevertreter OK ist, ganz unverhohlen bei einem Sponsor wie Frontlineshop Gummistiefelchen der bei Kate Moss und Co. angesagten Festivalhausmarke Hunter, zu ordern… um diesen Vorgang mit einem Outfitfoto auf dem Blog zu dokumentieren.

Unter der Voraussetzung, dass Modeblogs Online-Medien sind, die von Online-Redakteuren und Journalisten geschrieben werden, wäre das genau genommen nicht OK.

Dazu gibt es ganz klare Regeln, die von seriösen Medien und deren Akteuren in aller Regel eingehalten werden. Und ein Zuwiderhandeln ließe sich auch nicht dadurch legitimieren, dass durch die Bekanntgabe dieser Verquickung auf dem Blog – angeblich ohnehin für ausreichende – Transparenz gesorgt wurde. Es ist und bleibt ganz klar nachvollziehbar, dass der Hersteller beziehungsweise der Onlineshop inklusive Verlinkung zu diesem nur deshalb erwähnt und damit begünstigt wurden, weil die für den Festivalbesuch benötigten Gummistiefel exakt gemäß nach Order an die Online-Redakteurin verschickt wurden.
Hier kann man die Regeln aus dem Pressekodex übrigens ganz einfach nachlesen

Ziffer 15 – Vergünstigungen
Die Annahme von Vorteilen jeder Art, die geeignet sein könnten, die Entscheidungsfreiheit von Verlag und Redaktion zu beeinträchtigen, sind mit dem Ansehen, der Unabhängigkeit und der Aufgabe der Presse unvereinbar. Wer sich für die Verbreitung oder Unterdrückung von Nachrichten bestechen lässt, handelt unehrenhaft und berufswidrig.


Richtlinie 15.1 – Einladungen und Geschenke
Schon der Anschein, die Entscheidungsfreiheit von Verlag und Redaktion könne beeinträchtigt werden, ist zu vermeiden. Journalisten nehmen daher keine Einladungen oder Geschenke an, deren Wert das im gesellschaftlichen Verkehr übliche und im Rahmen der beruflichen Tätigkeit notwendige Maß übersteigt.
Die Annahme von Werbeartikeln oder sonstiger geringwertiger Gegenstände ist unbedenklich.
Recherche und Berichterstattung dürfen durch die Annahme von Geschenken, Einladungen oder Rabatten nicht beeinflusst, behindert oder gar verhindert werden. Verlage und Journalisten bestehen darauf, dass Informationen unabhängig von der Annahme eines Geschenks oder einer Einladung gegeben werden.
Wenn Journalisten über Pressereisen berichten, zu denen sie eingeladen wurden, machen sie diese Finanzierung kenntlich.

Was machen wir nun, liebe Verantwortliche im BURDA Verlag? Damit wir uns hier richtig verstehen: Wir von Horstson gehen selbstverständlich davon aus, dass jeder Journalist und Redakteur im Verlag sich streng an den Pressekodex hält. Außer: Er oder sie selbst verkünden anderes.

Es liegt uns Schreibern vom netten Blog Horstson fern, einer jungen Frau die allerbesten aller Gummistiefel zu missgönnen. Aber in den immerhin 55 Kommentaren wurde seitens so einiger Leserinnen Unmut laut, den die Autorin und Begünstigte dann ganz einfach mit schon zitiertem Transparenz-Hinweis parierte. Und mit diesem Hinweis sind im Sinne des Pressekodex unsaubere Verflechtungen aber leider nicht aus der Welt zu schaffen.
Trotzdem bin ich tendenziell auf der Seite der Neo-Hunter-Wellington-Gummistiefelbesitzerin. Woher soll eine Fünfundzwanzigjährige, die laut eigenen Aussagen einen Presseausweis besitzt, aber streng genommen weder Journalistin noch Redakteurin ist, wissen, wie der Beruf funktioniert? Und die Vorbilder helfen da auch nicht wirklich weiter. Noch nicht einmal Schwergewichte der Branche scheinen Probleme damit zu haben, sich reichlich von Herstellern, Designern und Händlern beschenken zu lassen. Oder glaubt wirklich jemand im Ernst, Anna Dello Russo hat ihre kolportierten 40.000 Paar Designerschuhe samt und sonders gekauft und bezahlt.
Für mich wirft das Ereignis die Frage auf, wie geht man mit derlei Verlockungen in den weitreichenden und noch spärlich ausgeleuchteten Labyrinthen der Onlinemedien um? Lohnt es wirklich, für die Ersparnis von 119, 99 Euro in den Ruch zu kommen, Gefälligkeiten nicht nur anzunehmen sondern seine Berichte mehr und mehr nach der Großzügigkeit bestimmter Hersteller und Händler auszurichten.
Auch wenn wir davon ausgehen, dass bei BURDA alles astrein läuft, ist hier ein Leck entstanden und man könnte, wenn sowas regelmäßig vorkäme, auf die seltsame Idee kommen, das sei auch bei anderen Medien aus dem Verlag gängige Praxis, Gefälligkeiten dankbar anzunehmen oder sogar zu bestellen, um wohlwollende Artikel auszuführen. Und das wäre dann schon ein echtes Problem, oder?
Irgendwie rührend finde ich die zu hundert Prozent weiblichen Kommentatoren, die sich pro oder contra GummistiefelGate geäußert haben. Mann, Mädels, ihr lasst euch aber auch sowas von Jessie für deren Zwecke einspannen und tanzt auch wirklich bei jedem Outfitpost exakt nach ihrer Pfeife. Zu den drei eigentlichen Festivalberichten gibt es insgesamt dürre 21 Kommentare. Zu Gummistiefelgate sind es 55 und zu jedem weiteren Outfitpost auch so um den Dreh rum. Das Festival scheint euch also nicht besonders zu interessieren… Aber die Macher von BURDA haben ohnehin ganz anderes mit euch vor. Ihr seid Intensivnutzer eines Blogs, der eigentlich mehr und mehr als Online-Shop mit großem redaktionellen Angebot geführt wird. Also bleibt artig und kauft alles, das man euch aufträgt…
Wie denkt ihr über dieses delikate Thema, lieber Leser?
Kann man das Gummistiefel-Geschenk ganz gelassen handhaben oder leidet darunter die Glaubwürdigkeit?

Bilder: Screenshots LesMads, Frontlineshop

  • blomquist
    19. Juli 2011 at 17:28

    Manche Leute sollten sich als Vorbild Suzy Menkes nehmen.
    Zumindest wird behauptet das die Dame alle Pressegeschenke einfach zurück schickt.
    Und so kann sie ganz herrliche, objektive Kollektionsberichte verfassen ohne an eventuelle Bestechungsgeschenke in Form von Taschen und Co. der Labels zu denken.

  • siegmarberlin
    19. Juli 2011 at 17:38

    in der Blogszene ist halt sehr weit verbreitet alle Geschenke mitzunehmen, manchmal scheint es auch der einzigste Grund zu sein überhaupt einen Modeblog ins Leben zurufen. Über diese Stiefel in Bezug auf das Melt-Fesitval habe ich ebenfalls auf anderen Blogs gelesen. Werden die über den Frontlineshop angeboten? In dieser Szene tummeln sich halt viele die gerne alles abgreifen. Viele Blogs sind mittlerweile mit Werbung so überhäuft, das ich sie mir garnicht mehr ansehe.

  • unsichtbar
    19. Juli 2011 at 19:37

    Im gleichen Zuge bemägeln ‚Leser‘ Mirjana’s wirklich guten Artikeln zu ‚Transmission 1‘ bei Lesmads…

    Trixie | 18.07.11 · 20:46 Uhr (#)

    Da schlafen einem ja die Füße ein so langweilig schreibt du !!

    Sarah | 19.07.11 · 12:59 Uhr (#)

    ich denke die aufkommende langeweile hat nicht unbedingt was mit deinem schreibstil sondern eher mit den themen über die du schreibst und mit der ausführlichkeit mit der du dich diesen widmest, zu tun. du solltest über events in zukunft vielleicht etwas knapper berichten, da man generell weniger interesse an dessen genauen ablauf hat wenn man nicht anwesend war und diese noch keinen großen bekanntheitsgrad erlangt haben

    Deren Leser wollen also verarscht werden und stehen gar nicht auf Inhalt!

  • Daisydora
    19. Juli 2011 at 20:12

    @unsichtbar

    Ich fand die Berichte über Transmission auch OK bzw. informativ, auf jeden Fall inhaltlich und stilistisch viel besser als alle, die Jessie schreibt … obwohl Mirjana auch nicht gerade ideenreich ist, wenn es um Themen geht. Aber die von dir erwähnten Kommentare sind unter aller Kanone und völlig unangemessen. Das scheint ja ein Phänomen zu sein, auf LM, der Kommentarbereich ist so runtergewirtschaftet, dass sich dort alles zwischen aggressivem Anstand und sozialer Gewalt austobt ….

    Aber man merkt andererseits, dass eine sehr gute Autorin wie Claire gute Kommentare bekommt und wert geschätzt wird.

    @blomquist

    Suzy Menkes ist da in der Tat das Maß aller Dinge und der lebende Beweis dafür, dass Modejournalismus eigentlich etwas ganz anderes und durchaus Spannendes ist.

    @siegmarberlin

    Genau so sehe ich das auch. Die Leute sind so einfach gestrickt und versuchen zum Teil noch nicht mal, das zu camouflieren. Dadurch wird das Lesen uninteressant und ich fühle mich regelrecht belästigt davon, wenn ich dann aich noch auf stern.de beim Lesen ein Banner mit dem Frontline-Shop und diesen blöden Gummistiefeln als Brainwash reingedrückt bekomme, weil ich da beim Schreiben von dem Bericht unvorsichtigerweise mal drauf war…

    @ich

    Bitte, gerne, ich sehe schon, hier sind keine Fans des Frontline-Shops ….

  • Saba
    19. Juli 2011 at 20:21

    Der Pressekodex ist jetzt aber auch nicht ganz so sexy wie das Räkeln auf der Fensterbank in Gummistiefeln. Und mir als Leser wird schließlich gesagt, dass ich gerade Werbung lese. Nur dass diese sich von journalistischen Inhalten unterscheidet, kann schon durchaus mal untergehen.

    Irgendwie vermute ich, das das Gros der Leser/innen eher neidisch auf die Garderobe der Autorin ist, als wütend über mangelnde journalistische Integrität.

  • Daisydora
    20. Juli 2011 at 08:34

    @Saba

    Am Ende ergibt es eine gute Reputation und die würde der Autorin sicher bei ihrer Karriere eher nützen, als ein paar kostenlose Gummistiefel.

    Ich vermute, das, was die Leser daran stört ist der Fakt, dass sie ihren Status innerhalb der Branche und die sich daraus ergebenden Vorteile so vor sich herträgt. Kann natürlich auch sein, dass die Eine oder Andere auch denkt, warum hat sie das, was ich möchte, aber Neid auf die Garderobe von Jessie wäre wirklich grotesk …..

  • Saba
    20. Juli 2011 at 14:25

    Daisydora, entschuldige bitte meinen Sarkasmus. Der wird man manchen nicht ganz klar. Ich stimme dir teilweise zu.

    Es würde im Zweifel für ihre Karriere von Nutzen sein, wäre die Autorin daran interessiert bei Medien anzuheuern in deren Redaktionen man den Pressekodex nicht nur gelesen hat, sondern diesen auch befolgt.

    Ob es den Großteil der Modebranche und die Konsumtenten/Leser wirklich stört, dass Redakteure ihre „Berichterstattung“ kaufen lassen, halte ich für fraglich.

  • Daisydora
    20. Juli 2011 at 22:46

    @Saba

    Ich glaube, dich ganz gur verstanden zu haben…

    Mit ihrem jugendlichen Alter und im ersten richtigen Job kann man nicht davon ausgehen, dass man schon am Ende der Fahnenstange angelangt ist …. wer weiss, wo FRauWEiss noch arbeiten wird …

    Ich denke da eigentlich gut von den Lesern; viele sind da ziemlich normal gestrickt und brauchen keine Gehirnwäsche … wollen lieber Vielfalt …