Paris Fashion Week

Chanel Prêt à Porter Herbst/Winter 2012 – Im Wald der Stalagmiten

Im März 2011 zeigte Karl Lagerfeld seine apokalyptische Kollektion, die ganz in Grau- und Schwarztönen gehalten – in einem Dekor der Kohlehalden und der wabernden Nebel stattfand. Eine Woche später wurde die Apokalypse durch Fukushima wahr.
Dienstag entführte uns der Meister in die Unterwelt, das Reich der Höhlen. Stalaktiten und Stalagmiten sind Gebilde, die sich in tausenden von Jahren durch mineralhaltige Abtropfungen bilden – und den Reiz und das Geheimnis sowie die Ewigkeit der Unterwelt bestimmen. Auch Chanel scheint die Ewigkeit gepachtet zu haben, denn keinem Modehaus der Welt gelingt es immer wieder, in diesem Maße zu überraschen und solche Trafalgars hervorzubringen. Vergessen die überbordende Kultur Indiens, der Prachtrausch von Byzanz oder – aktuell in den Boutiquen, der Ausflug in die Unterwasserwelt. Dienstag waren wir bei Chanel knallhart im Hier und Heute, ohne die Wurzeln des Hauses und seiner Gründerin zu vergessen.

Karl Lagerfeld setzt eine deutliche Zäsur, ähnlich denen der Key-Collections 1994, mit der Street-Couture (er zeigte damals Männer Unterhosen a la Calvin Klein zu Tweed-Jacken) und 1998, als er die Now and Zen zeigte, die vor Purismus und neuer Linie nur so strotzte.
Die Herbst-Winter-Kollektion 2012 bringt eine absolut neue Silhouette, die eine perfekte Verquickung von Oversized-80’s-Silhouette und der Inspiration der frühen Chanel Kollektionen zwischen 1916 und 1920 bildet. Außerdem schlägt sie die Brücke zwischen Formal- und Casual-Wear auf charmante und gestandene Weise.

Damals machte Chanel eine Art weiter Jacke, die lose die Figur umspielte und große Taschen und Gürtungen aufwies, zu Röcken, die wie umgekehrte Blütenkelche wirkten.
Die Stalagmiten des Dekors wirken wie Edelsteine, gepaart mit Schwarz und nochmals Schwarz ist auch genau die Farbpalette, die als Inspiration diente. Edelstein-Farben in allen Nuancen: Smaragd, Rubin, Saphir – der Reichtum der Bodenschätze und der Unterwelt in seinen flamboyanten Farben stand Pate … erhellte die Finsternis und lässt sie uns mit neuen Augen sehen. Wie in einem Kaleidoskope brechen sie sich in den Stickereien und den Strickintarsien, oder bilden sogar eigenständige Motive. Die Pullover erinnern an die Sweater der frühen Schaffensphase von Kansai Yamamoto oder die Strickensembles von Walter Albini in den Achtzigern.

Die Jacken und Röcke wirken zweidimensional und läuten die Rückkehr zu einer breiteren und komfortableren Silhouette ein. Modernistisch abgewandelte Flappers in Zwanzigerjahre-T-Steg-Schuhen wirken weiblich und so gar nicht gestrig. Hosen verlängern die geraden, fast unförmig wirkenden Röcke, die teilweise Blütenkelchen gleichen, oder die geraden Kleider, die als eine Art Tunika-Ersatz fungieren.

Karl Lagerfeld erfindet den Lagen-Look neu und treibt ihn raffiniert und fragil auf die Spitze. Jackendrapierungen muten wie eine neue Asymmetrie an, ohne konstruiert zu wirken. Die Models tragen strenge, fast gelackte Frisuren oder Zöpfe, wie sie an die Amazonen von Anne Marie Beretta erinnern. Irgendwie ist der Look clean, aber es wäre nicht Chanel, wenn er nicht eine unglaubliche Raffinesse an Details und einer Extra Portion French-Chic enthielte. Der Chanel-Schmuck wandelt sich zu gepatchten Mineralien-Kunstwerken, die fast barbarisch erscheinen, aber immer noch den Glamour von Chanels Byzantinischen Inspirationen besitzen.

Der Abend wird von schwarzem Chiffon und schwarzem Jet aus dem Dunkel der Erde bestimmt und erscheint dezent und doch ungeheuer luxuriös – gestützt vom Reichtum der Materialien und der Raffinesse des Handwerks. Tausend versteckte Gadgets, wie zum Beispiel komplett nachgestickte Stoffe und Volants, die aus gefranstem und dann besticktem und mit anderen Materialien versehenem Tüll bestehen. In jedem Detail wird um die Ecke gedacht und es scheint so, als ob Chanel jede Saison wieder mal in das Material und die Lösungen der Details Millionen von Arbeitsstunden gesteckt hätte …

Die Silhouette ist zwar neu und komfortabler, wirkt aber wie immer schon dagewesen und ganz selbstverständlich. Die Chanel Herbst-Winter-2012-Kollektion wirkt tragbar und wie ich finde, sehr casual. Es ist eine Kollektion, die für die Frauen gemacht ist und nicht dafür, dass Männer sie sexy finden. Eine Kollektion, die jedem Anlass gerecht wird und rund um die Uhr in jeder Kultur der Welt tragbar ist.
Multikulturelle Vielfalt wird zum Herbst der Unterwelt entsteigen und an die Oberfläche treten … und genau in dem Moment werden die Wartelisten der Chanel-Boutiquen sicherlich reich gefüllt sein. Mit den unschlagbaren und für mich sensationellen neuen schwarzen Jacken, mit den Offiziers-Taschen und den Edelsteinfarbenen Multicolor-Strickteilen.

Karl hat mal wieder einen großen Coup gelandet mit dieser Kollektion. Hat die Wandelbarkeit der Marke demonstriert, ohne sie zu verwandeln. Und sicherlich ist sie für das Haus Chanel und seine Klientinnen weltweit ein Volltreffer. Außerdem können wir Gift drauf nehmen, dass wir in den nächsten Saisons sehr viel mehr Casual-Silhouetten sehen werden. Denn, wenn Lagerfeld es vormacht, macht es die ganze Welt nach.
Lasst uns untertauchen in die geheimnisvollen Höhlen von Chanel, in ein Reich, dem es niemals an Phantasie ausgehen wird, dessen Mythos von der Unterwelt in die unendlichen Weiten des Kosmos strahlt.

Bilder: CHANEL

  • Christopher
    8. März 2012 at 10:31

    Richtig – genau so sehe ich das auch! Er schafft es, den Ursprung der Marke zu bewahren und trotzdem Trends zu setzen und einfließen zu lassen. die Kollektion ist überaus gelungen und er ist eben ein Meister seines Werkes!
    Toller Beitrag, Peter! Danke!

  • siegmarberlin
    8. März 2012 at 11:54

    was ich sehe ist wie immer wunderbar, Die Dekoration und der Artikel perfekt, danke!

  • Katharina
    8. März 2012 at 11:56

    naja sexy finde ich die Kollektion überhaupt nicht..sexy ist Elie Saab aber nicht Chanel

    schönen Tag wünsch ich Dir 🙂

    http://addicted-to-all.blogspot.com

  • peter
    8. März 2012 at 11:58

    @katharina wenn du richtig gelesen hättest schreib ich das sie nicht sexy ist!!!elie saab find ich sehr sexy

  • FRED*
    8. März 2012 at 12:17

    seit H&M hat lagerfeld nie mehr was neues gemacht.
    das ist von jahr zu jahr der selbe öde brei, den er
    uns vosetzt. leider.

    aber, das muss ich zugeben. der schmuck ist sehr
    sehr schön. da hätte ich gerne das eine oder andere
    stück.

    die mode hingegen ist altbacken, trutschig, die schnitte
    einefach nur unvorteilhaft und er hat leider keinerleid
    gespür für geometrien. er versucht es schon seit 20 jahren,
    aber es klappt nicht.
    er ist leider nicht schick. er ist immer etwas zu „wurstig“.
    und böse gesagt, mit den dicken fingern, die er hat, kann
    man auch nichts wirklich elegantes machen.

    FRED*

  • peter
    8. März 2012 at 12:46

    @fred
    auch ne meinung allerdings fand ich das für h&M grauenhaft.scheinst ja mal nen schlechtes erlebnis mit herrn lagerfeld gehabt zu haben….etwas differenzierter seh ich das schon!!tausend dank für deinen kommentar.

  • thomas
    8. März 2012 at 12:55

    Sehr schön, einziges manko sind die Hosen unter den Röcken

  • Daisydora
    8. März 2012 at 13:17

    Die Kollektion ist sehr schwer zu verstehen, aber das soll glaube ich auch so sein. Die Kostüme und Ensembles im ersten Drittel der Schau finde ich schön, die Hosen sind schmal genug, um drunter getragen werden zu können, die Röcke sind mir oft einfach zu breit …..

    Was ich gar nicht mag sind die gemusterten Pullis und dieses Graue Klied mit den Prismen …

    Als Gesamtidee betrachtet kann ich deinen Ausführungen aber nach der fünften Sichtung der Kollektion schon ganz gut folgen, Peter 🙂

  • peter
    8. März 2012 at 13:34

    @daisydora
    aber die pullis und kleider sind genau das ding was chanel neu macht daisy!!!sie sind ja so zu sagen das salz in der supper:-)))kann aber verstehen das du sie nicht magst sie sind sehr speziell.

  • sven
    8. März 2012 at 16:17

    Tja, der Grund allen Übels bei Herrn Lagerfeld:
    in Paris gibt es Designer und eben Stylisten

  • sven
    8. März 2012 at 16:40

    Ich habe eine Vision: Herr Lagerfeld stellt sich mit dem Rücken zur laufenden Kamera.Legt, während er ganz langsam in Richtung Horizont geht, die Sonnenbrille beiseite, löst den Zopf und entledigt sich seiner Sachen.Dabei ist die Kameraaufnahme mittlerweilen schon unscharf, der große Karl wird weit entfernt immer kleiner und ist am Ende wirklich frei.

  • Rene
    8. März 2012 at 16:59

    Ja Sven, das ist eine fast romantische Vorstellung. Ein bisschen wie die Schiffe in den Bildern von Caspar David Friedrich. Gefällt mir!

    Übrigens: Es sind keine Stalaktiten und Stalagmiten sondern Kristalle.

  • Renate
    8. März 2012 at 17:02

    Ganz wundervoll Peter!

  • Daisydora
    8. März 2012 at 17:30

    Was ich hierzu von der Dynamik her sehr interessant finde, ist die Tatsache, dass Miucca Prada ihre Models letztens wie Spinatwachteln ausstaffierte, ganz ähnliche Silhouetten und Proportionen verwendete und alle Welt fällt in Ohnmacht vor Ehrfurcht und einem Könner wie Karl Lagerfeld will man absprechen, dass er mit seiner Idee von der Mode der Zukunft recht behält ….. 🙂

  • Katja
    8. März 2012 at 18:10

    Ich bin in die Kollektion verliebt und auch wenn ich mir nichts davon kaufen kann, freue ich mich immer auf Chanel 🙂

  • Blomquist
    8. März 2012 at 22:54

    Ich finde diese Kollektion großartig und um einiges besser als die Kollektion davor.

  • muglerette
    10. März 2012 at 13:04

    lieber peter die unterhosen waren s/s 1993

    1994 waren die punkhaare und die baggyjeans….und der trikini

  • muglerette
    10. März 2012 at 13:14

    ich mag die absätze der schuhe…das set…..der schmuck ist schön….was leider garnicht geht ist die waschung des leders…
    was mir leider bei chanel seit jahren komplett fehlt ist der spass….den man in den 90ern hatte….mir persönlich ist es zu „streng“……..es hat den humor verloren….
    die chanelgummistiefel,die männerunterhosen…den bunten fakefur,die flaschenhalter,die nippelbikinis,die varianten vom gepatchted leder,von den kamelien,die damals coolen sonnebrillen(als es die schrecklichen lizenzen noch nicht gab)rollkoffer,chanel conversesneaker,goldene ketten mit lederflechtwerk,goldschmuck…all das fehlt mir irgendwie…….

  • peter
    10. März 2012 at 14:38

    @muglerette
    du hast recht das waren super kollektionen aber irgendwie hat sich die zeit ja verändert und irgendwie müssen die jetzt alle ernster werden denk doch mal an gaultier etc.die waren zu der zeit alle origineller das war eine zeit in der die mode gespielt hat.eigentlich meine lieblings zeit!!!!da war ja alles nicht so bier ernst.aber trotzdem bin ichs eit über dreissig jahren chanel fan und werds auch immer bleiben weil mich dieses haus noch nie in meinem leben enttäuscht hat.vielleicht kommt ja mal wider ne zeit wo alle mehr spaß machen…..wär doch toll!!!