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Blogs sind die Klowände des Internets…

Dieser Meinung war zumindest Jean-Remy von Matt, als sich im Jahre 2006 im Internet einige Blogger über die JvM „Denn du bist Deutschland“-Kampagne lustig gemacht haben, die gegen die vermeintliche Miesepetrigkeit der Deutschen gerichtet war. Etwas später revidierte der Werbemann seine Aussage: Die Klowände seien ein Symbol für „das Anpinkeln und Verpissen – für Meinungsäußerung im Schutz der Anonymität“ und ergänzt dann „Vielleicht klang auch etwas Neid auf euch durch, da die Form von Meinungsäußerung, die ich als Werbetexter seit über 30 Jahren betreibe, alles andere als frei ist: Jedes Wort wird vor der Veröffentlichung lange abgewogen, mit Auftraggebern verhandelt und dann noch repräsentativ auf seine Wirkung getestet.“* Jetzt musste ich etwas stutzen: wird wirklich immer lange abgewogen, bevor eine Kampagne veröffentlicht wird?

Ich habe, wie vermutlich ein paar Millionen andere Menschen auch, am Mittwoch Stern TV gesehen, wo dem staunenden Publikum die Auflösung um die ominöse Internetseite KEU/UDLWH 54154/5/054 präsentiert wurde, auf der man ein vermeintliches Experiment beobachten konnte, bei dem ein Schwein im Labor mit UV-Strahlen verbrannt wird. Das alles mehr (Maske des Schweins) oder weniger (Ikea-Stühle) aufwändig inszeniert und die Seite sorgte „…in den vergangenen Tagen für eine Welle der Empörung im Internet. Hundertausende Internetnutzer – insbesondere junge Menschen – diskutierten das Experiment.“ – so wird zumindest auf der Seite des Auftraggebers der viralen Kampagne, der Krebshilfe, stolz vermeldet. Von den besagten hunderttausenden jungen Inernetnutzern kannte ich ehrlich gesagt keinen – in meinem virtuellen Facebook-Freundeskreis tauchte die Seite nur einmal auf, allerdings nicht mit einem Aufschrei, dass auf „KEU/UDLWH 54154/5/054“ ein Tierversuch zu sehen sei, sondern das es sich vermutlich um eine virale Film-Kampagne handelt, diskutiert wurde auch, allerdings nur um welchen Film es sich dreht.

Damit nun eine virale Kampagne bekannt wird, benötigt man Menschen, die diese streuen – im Fall der aktuellen Kampagne war dafür ein Berufsjugendlicher verantwortlich: Nils Bokelberg. Bokelberg veröffentlichte ein paar Posts auf seinem Facebookprofil („Nochmal wegen diesem Schweine-Gedöns von gestern. Ich will verdammt nochmal wissen, was das ist! Und wenns ein Viral ist, dann will ich wissen wofür!“) und einen offensichtlich gestellt-erschrockenen Artikel namens „Ein Schweinchen namens WTF“ auf seinem Blog Weltfrieden und siehe da: Einige Leser haben wirklich gedacht, dass ein Schwein peu á peu verbrennt und sorgten dafür, dass die Seite offline genommen werden musste und vermutlich auch, dass gegen die Seitenbetreiber bzw. gegen den vermeintlichen Tierversuch ermittelt wird. Von hundertausenden Internetnutzern sind wir aber immer noch weit entfernt und Bokelberg sieht sich einem Problem ausgesetzt: auf seinem Blog wird mittlerweile nachgefragt wird, woher er überhaupt von der Seite KEU/UDLWH 54154/5/054 wusste und sich die offizielle Version von ihm eher schwammig anhört: „Ich hab das von einem Bekannten aus München geschickt bekommen, der eigentlich mit Medien nix am Hut hat.“ Aha. Was in Bokelberg in dieser Zeit vorgegangen ist, kann man nur orakeln und Anhand einer mittlerweile veröffentlichten Entschuldigung, dass er seine Leser für 10 Tage ver****** hat, nachlesen. Diese Entschuldigung hätte ich eigentlich von der verantwortlichen Werbeagentur Jung von Matt erwartet und nicht von Bokelberg, der sich mit Sicherheit der Tragweite nicht bewußt war und, einfach ausgedrückt, in etwas hineingeschliddert ist, wie man in etwas hineinschliddert wenn man begeisterungsfähig ist und sein Herz am rechten Fleck hat.
Jung von Matt hätte in meinen Augen etwas mehr Weitsicht beweisen sollen: Kein Mensch lässt sich lange und so drastisch hinters Licht führen und das hätte den feinen Herren von Jung von Matt auch klar sein müssen, denn „jedes Wort wird vor der Veröffentlichung lange abgewogen, mit Auftraggebern verhandelt und dann noch repräsentativ auf seine Wirkung getestet“, um nochmal das Zitat von Jean-Remy von Matt aufzugreifen. Wurde wirklich lange abgewogen und wurde auch bedacht, dass die ganze Aktion nach hinten losgehen kann oder war der Reiz des kalkulierten viralen Skandals größer? Wir wissen es nicht. Was wir aber wissen ist: Spendet trotzdem der Krebshilfe Geld – vielleicht reicht das Geld nächstes Mal für eine vernünftige Kampagne mit einer klaren Message, um auf die Gefahren von UV-Strahlung hinzuweisen, denn darum ging es bei dem vermutlich größten Web-Fail des Jahres – oder wie denkst du über die virale Kampagne?

*Quelle: Spiegel Online

  • Volker
    14. September 2012 at 12:59

    Danke! Sehe ich auch so!

  • Hannah
    14. September 2012 at 14:42

    Ob lange abgewogen wurde, weiß ich nicht. Mich würde aber interessieren, was man sich dachte, als „repräsentativ auf Wirkung getestet wurde“.

  • Siegmar
    14. September 2012 at 16:50

    bin deiner Meinung, trotzdem kann ich der Aussage von JvM was abgewinnen, nicht die Blogs direkt sondern die User dieser Blogs, es ist unglaublich wieviel Haß, Beleidungen, Diffamierungen unter dem Deckmantel der “ Anonymität “ verbreitet wird. Man kann bei den meisten blogs überhaupt nicht mehr seine Meinung kund tun ohne persönlich angegrifen zu werden, das ging soweit, das ich auf einen Kommentar von mir zu dem Thema “ NUS u. die Rechte “ einem Artikel bei meinem provider Morddrohungen bekam “ dich werden wir auch vergasen und verbrennen, so wie es wir mit den Juden gemacht habe “ Ich habe yahoo aufgefordert mir die IP desjenigen zu nehmen um ihn anzuzeigen, bis heute keine Antwort von yahoo bekommen, bei einem Telefonat wurde auf die Meinungsfreiheit verwiesen. Sorry passt nicht ganz zum Thema hat mich aber sehr getroffen.

  • peter
    14. September 2012 at 17:33

    ich gehöre ja eher noch zur alten garde und ahabe deswegen von der qualität mit sehr vielen blogs meine probleme weil die tiefe die print ausdrücken konnte noch nicht wirklich getroffen wird auf breiter basis.wir versuchen dem ja entgegen zu wirken und in recherche und qualität uns eher journalismus zu nähern.wünschenswert wäre wenn sich bei den blogs die schwerpunkte noch besser im hoch qualitaiven bereich ankommen würden.aber sicherlich ist es wie bei printmedien auch das wenige hoch qualitative blogs auf einer breiten basis von eher massen medien stehen.ich hoffe das möglichst viele dazu kommen die sich auch mal mit spezial und anspruchsvollen nieschen themen befassen….wir bleiben dran und jean remy von matt kann ja mal horstson lesen werd ihn mal einladen….

  • Stefan
    14. September 2012 at 17:59

    Stefan Niggemeier hat übrigens Nilz Bokelberg wegen der Aktion als Freund bei Facebook entfernt. Auf solche Freunde wie Niggemeier kann man gut verzichten 😉

  • Horst
    17. September 2012 at 10:24

    @siegmar Schrecklich!!!
    So ganz richtig ist das nicht von Yahoo: Als Blogbetreiber kann man auch für die Kommentare haftbar gemacht werden, d.h in deinem Fall ist der Blogbetreiber dein Ansprechpartner, von dem Du die Löschung des Kommentares verlangen kannst, da der Kommentar zur Hetze aufruft. Die IP Adresse kannst du auch bei ihm anfragen, allerdings darf man die nicht so ohne weiteres rausgeben wg Datenschutz.

    Die Anonymität im Netz ist die Pest, mir fällt immer wieder auf das nur ein Bruchteil aller Seiten überhaupt sowas wie ein Impressum haben.