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Big Brother für drei exhibitionistische Akademiker und einen Tätowierer– die #hh_wg sucht dich

Heute ist ja Daisytag und da genieße ich ein Quäntchen Narrenfreiheit, kann euch also auf horstson auch mal ein innovatives Social-Media-Stadtmarketingprojekt mit all seinen Facetten und Haken näher bringen. Darum geht es: Unsere schöne HorstsonHansestadtHamburg ist anscheinend hungrig nach noch mehr Frischfleisch von jungen Leuten und wirbt zusammen mit den drei Sponsoren – beziehungsweise besser gesagt Werbepartnern – Sparda-Bank, Otto und Radio Hamburg um deren Gunst. Wenn man sich mit erwünschtem Verhalten, dem Upload eines Bewerbungs-Videos auf YT und der Verlinkung zum eigenen facebook-Network positiv hervorgetan hat und dann mindestens 100 Votes ernten kann, ist man in der Runde, aus der die vier Gewinner hervorgehen werden, die dann ein Jahr lang k o s t e n l o s in der schönsten WG der Stadt auf 200 Quadratmetern wohnen werden und naturgemäß darüber zu berichten haben.

Dazu der O-Ton:
1. Dreh ein Video von Dir und sag uns, warum gerade Du in die #hh_wg musst.
2. Lade Dein Video bei YT hoch und schick uns den Link.
3. Aktiviere Dein Netzwerk und wirb für Deine Bewerbung.
4. Schaff 100 Votes und werde einer der vier #hh_wg Bewohner.
# Zieh ein! Yeah.

Bis hierher mag sich das ja noch ganz nett lesen lassen, wären da nicht einige Haken an dieser Offerte. Drei der vier WG-Bewohner stehen in dem Jahr als Trainees bei jeweils einem der Werbepartner in Lohn und Brot. Allerdings ist in den Stellenanzeigen von wirklich allem die Rede, nur nicht von dem, wofür der Mensch eigentlich arbeiten geht: Von Geld. Das ist für mich der Webfehler Nummer eins, dieser Stadtmarketing und Imagepflege-Kampagne der drei Werbepartner. Seriöse Stellenangebote enthalten immer einen Hinweis auf die zu erwartende Entlohnung. Warum schreibt ihr nichts dazu rein, obwohl es ansonsten vor Wörtern nur so wimmelt auf der Site?

Otto sucht als seinen WG-Bewohner einen möglichst fertig studierten und klarerweise medienaffinen aber auch schon erfahrenen Junior-Social-Media-Manager; die Sparda-Bank einen Trainee-Unternehmenskommunikation Marketing & Event und Radio Hamburg vergibt ein Volontariat an einen Social-Media-Redakteur. Der oder die Vierte im Bunde hat es gut: Denn, der Joker ist die Wildcard für den beruflich ungebundenen Einzug eines Tätowierers oder Autotuners in die WG. Allerdings lasten auch auf den Schultern des glücklichen Gewinners der Wildcard Erwartungen wie diese hier:

Du willst nach Hamburg! Ob wegen eines Studiums, Jobs, einer Liebe, um einen Lehrmeister zu finden, oder sonstwas. Du bist entschlossen für Deinen Traum alles zu geben. Entsprechend Deiner Träume und Fähigkeiten tun wir für Dich als Wildcard alles, um die richtigen Kontakte, Gelegenheiten und eine Bühne zu schaffen, damit Du in HH durchstarten kannst. Das solltest Du in etwa sein: In jedem Fall talentiert. Ob Du männlich oder weiblich, Musiker, Model, Tätowierer, Schauspieler, Künstler, Koch, Hacker, Autotuner oder was ganz anderes bist, ist nicht wichtig. Du begeisterst, Du bringst zum Lachen oder beeindruckst uns und das Web mit Deiner Art und Deinen Fähigkeiten. Du bist zwar extrovertiert, aber auch ein umgänglicher netter Mitbewohner. Für Egotrips ist in der #hh_wg kein Platz. Du hast tierisch Bock! Und stellst Dich zur Not in deiner Heimat schreiend auf den Marktplatz, um Dein Video zu promoten!
Hallooooooooo, liebe völlig haltlos enthusiasmierte Stadtmarketingleute und Werber der Werbepartner: Was ihr hier im Text und zwischen den Zeilen anklingen lasst, ist nicht weniger als das, dass die Bewohner zum Preis eines mietfreien WG-Platz an einem schönen Ort in der schönen HansestadtHamburg, alle Rechte an ihrer Privatheit an euch abtreten, um kostenlos bei YT, facebook und twitter die Werbetrommel für euch zu rühren, in dem sie sich – möglicherweise auch lange über den Zeitraum des ausgelobten Jahres hinaus – im Internet zu Hofnarren eurer Interessen machen… ohne, für diesen Promotion-Knochenjob wie Testimonials, Werbeagenturen, PR-Leute, etc. ganz normal nach Tabelle entlohnt zu werden.

Gehen wir davon aus, dass ihr richtig gute Leute sucht, die was draufhaben. OK. Warum sollte jemand, der auch ohne euer Projekt für gutes Geld beruflich durchstarten und seinen WG-Mietanteil auf einem Bein vom selbstverdienten Geld bezahlen könnte, sich ein Jahr lang kostenlos in den Dienst eurer Promotion stellen und sich dafür in Sozialen Netzwerken halbnackt ausziehen, damit andere junge Leute euch alle cool finden und Social-Media-affin erleben können?

Ich gebe zu, ich bin immer extrem sauer, wenn ich mitbekomme, dass gut im Markt stehende Unternehmen versuchen, gut ausgebildeten jungen Leuten bei deren ersten Jobs das Geld aus der Tasche zu ziehen, das die noch gar nicht verdient haben. Da macht auch der coole WG-Platz das Kraut nicht fett. Und noch viel saurer werde ich, wenn ich im Impressum der Website der Initiatorin der Aktion, der Hamburg Marketing Gesellschaft, als Vorsitzenden des Aufsichtsrates ausgerechnet den SPD-Mann und Ersten Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg, Olaf Scholz, finde. Sowas, sehr geehrter Herr Bürgermeister, sollten Sie als Sozialdemokrat besser nicht abnicken. Denn, eigentlich sollten sich alle, die noch alle auf‘m Christbaum haben, im Interesse der Innovationskraft Deutschlands dafür einsetzen, dass junge Leute einen guten Start in den Beruf bekommen und dabei von Beginn an genauso fair und gut bezahlt werden, wie das bei uns der Fall war. Wir reden hier noch immer von dem Deutschland, in dem man mal mit einer einfachen Banklehre Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bank werden konnte.
Wie heißt es auf der Seite so schön: Hab den Spaß deines Lebens … und sprich drüber. Live. Share. Yeah.
Wenn irgendwas doch nicht so ganz wunschtraumgemäß hinhauen sollte, liebe #hh_wg-Bewohner, könnt ihr ja immer noch in Richtung Horstson-Mansion um Hilfe twittern…

  • klaer
    12. Juni 2011 at 20:00

    go daisy gibs ihnen ! nein mein ich im ernst

    das schlimme ist nur dass die leute so vertvtisiert sind und castingwahnisiert dass das impressum leider nicht gelesen wird…

    tja nach dem streben nacch medialem ruhm kommt ewige streben nach gewinn maximierung.( hier im sinner einer kostenreduzierung bzw eine nullkostengehalts unternehmen sind ja in eingedenk sämtlicher wirtschaftskrisen immer mehr der meinung, bei einem anstellungsvertrag handelt es sich um eine dankbarkeitsvertrag anstelle um eine Vertrag wo Leistung gegen Loh vereinbart wird

    liebe begabte junge leute bevor bei nächstn verwandschaftsfest ausgelacht werdet, weil jeder genau weiss wann und wie eurer diarrhoehatten, arsch in der hose und ein angemessenes gehalt vordern! nach jahrerlanger industrieller gewinn maximierung sollte auch die eigeme nicht kostengesenkt werden!

    ps ich bin definitiv kein kommune-ist:-))
    anstatt bei

  • klaer
    12. Juni 2011 at 20:11

    oh mann ich und das tippen von texten
    fordern schreibt man so usw…

  • Horst
    12. Juni 2011 at 22:22

    ich glaub das spektakel gabs letzte jahr schonmal, oder??

  • Mino HH
    13. Juni 2011 at 10:56

    Kenne die Aktion, da gibt’s Geld, ich möchte aber gerne wissen wieviel…
    Erschreckend das ne Stadt wie Hamburg so eine Voyeur Nummer mitmacht

  • Daisydora
    13. Juni 2011 at 11:00

    @Klaer

    Da scheinen wir ja einer Meinung zu sein 🙂

    @horst

    Das ist gut möglich; ich hatte aber keine Dokumentation dazu finden können.

    Fakt ist, jede Arbeitsleistung ist etwas wert und es kann sich ja jeder gerne im Netz nackt ausziehen vor ganz Deutschland…. aber so einen Job für diese Unternehmen zu machen ist meiner Ansicht nach ein gutes und faires Gehalt bzw. Honorar und Buyouts wert….

  • Daisydora
    13. Juni 2011 at 11:03

    @Mino HH

    Das ganz sicher, aber eben nur die üblichen läppischen paar Hundert Euro, denke ich. Man schreibt das ja sonst in den Text, wie eine Arbeit honoriert wird. Wenn du was Genaueres rausfinden solltest, wäre es nett, wenn du mir das schreibst. Ich berichte dann weiter darüber ….. Dankeschön.

  • Mino HH
    13. Juni 2011 at 11:07

    Habe auf der Facebook Seite von hh-wg gesehen das da ne Nachfrage war. Mehr weiss ick och nich…

  • hh_wg
    15. Juni 2011 at 11:47

    Hallo Horstson,

    schön, dass Du Dir so ausführliche Gedanken zur #hh_wg machst 🙂

    Natürlich heißt „kostenlos wohnen“ nicht im Umkehrschluss „umsonst arbeiten“.
    Die Jobs werden marktüblich von den Patenunternehmen entlohnt. Und es sind ja alles Junioren bzw Volontariats-Jobs und keine Praktika. Wenn Du bedenkst, dass man gleichzeitig keine Miete zahlt …. garnicht so schlecht, oder?

    Und der BigBrother-Verdacht ist auch nicht richtig. Die Bewohner werden in der WG Privatsphäre haben. Da hängen keine Cams.
    Vielmehr geht es darum, dass die Bewohner der #hh_wg berichten, wie es ihnen im neuen Job und in der neuen Stadt ergeht. Freiwillig. Als Content-Autoren und Reporter.

    Von medien-affinen Leuten, die Spaß am Social Web und seinen Möglichkeiten haben, ist das in der Gegenleistung doch nicht zu viel erwartet, oder?

    Blog on!
    Gruss aus der #hh_wg.

  • Daisydora
    15. Juni 2011 at 18:20

    @hh_wg

    Hallo #hh_wg,

    ich mache mir zu diesem Thema schon Gedanken, seit diese absolute Unsitte nicht ordentlich honorierter Praktika, Volontariate und Traineeplätze in Deutschland aus dem Ruder gelaufen ist.

    Marktüblich dürfte das Wort für ein erweitertes Taschengeld sein, oder`? Denn, wenn die Arbeit als Vollzeitstelle mit extra Schreiberjob nebenbei, ganz normal honoriert werden würde, so könnte man das vermutlich den Anzeigentexten entnehmen.

    Und ich bin leider auch nicht der Meinung, dass ein sehr schöner WG-Platz im angenommenen Gegenwert von 500 Euro eine adäquate Gegenleistung für die Berichte in Sozialen Netzwerken, bei twitter, etc. ist…

    Ihre Werbeagentur lässt sich doch auch nicht mit einem Taschengeld für Social-Media-Aktivitäten belohnen, oder?

    Ich bin eigentlich ein Fan guter Stadtmarketingaktionen, aber diese hier weist ein großes Ungleichgewicht zwischen den zu erbringenden Leistungen und der zugesagten Gegenleistung auf und nur darum geht es mir im Kern. Die Online-Überflieger, die da einziehen dürfen, machen immerhin ein Jahr lang in ihrer Freizeit gute Stimmung für die Arbeitgeber und Hamburg….

    An Geld dürfte es der Hamburg Marketing Gesellschaft nicht mangeln. Ich bin heute nach Düsseldorf reingeflogen und das Erste was mir entgegen gesprungen ist, waren diese Plakate. Ich glaube, wir können uns das schenken, hier vorzurechnen, wie viel Geld in diese Kampagne geht und welchen Benefit die Werbepartner und die Initiatorin davon haben werden…. da sollte die Frage erlaubt sein…für wie wenig Gegenleistung die Nachwuchskräfte bzw. Content Autoren ganz schön viel abzuliefern haben.

    Wir bleiben dran….und schreiben weiter!

    Vielen Dank für den Kommentar und Gruß aus Hamburg und NRW 🙂

  • hh_wg
    16. Juni 2011 at 10:29

    Hallo Daisydora,

    Die Jobs werden „ganz normal“ honoriert, denn es sind keine Praktika.
    Unsere Paten werden ihre angestellten marktüblich entlohnen, so wie es anständige Arbeitgeber tun. Und zusätzlich bekommen die Bewohner ja auch noch weitaus mehr „geldwerte Vorteile“ bei der WG inklusive, die insgesamt sehr deutlich über 500.- Euro liegen werden. (smartphones, flatrates, Equipment, Eventtickets etc…).

    Es richtet sich ja auch an Einsteiger und Junioren … für jemanden mit 6 Jahren Erfahrung und dem Titel „Senior“ ist das finanziell bestimmt nicht attraktiv genug.
    Das ist aber auch nicht die Zielgruppe.

    (Das Thema der prekären Arbeitsverhältnisse ist auch uns vetraut – und es ist schade, dass das so verbreitet ist, dass Du uns automatisch unterstellst, wir würden das bei so einem Projekt so handhaben.)

    Gruss aus der #hh_wg
    nach hh und Nrw!

  • Horst
    19. August 2011 at 17:54

    Das Projekt wurde heute abgeblasen…

  • Daisydora
    19. August 2011 at 19:59

    Oho, öha, schau an…. danke für die Info, muss gleich mal nachlesen……