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Reine Geschmackssache?

Euer Lieblingslogger Horst legt es zwar überhaupt nicht darauf an, ist aber trotzdem sehr inspirierend.
Bis zu einem Telefonat am Freitag, bei dem wir über die Fallstricke des Postens von ganz normalen Klamottenkombinationen als Tagesoutfit diskutierten, wollte ich sonntags über was ganz Anderes schreiben … Aber Horsts Thesen hatten unerwartete Synapsenluftsprünge in meinem Kopf ausgelöst und ich geriet darüber ins Nachdenken, woher wir alle unseren Geschmack haben, den wir erst mal nicht bewerten wollen.

Man kann es sich ja nicht so einfach machen, zu denken, je mehr Geld desto höher der Chanel-Faktor und desto besser ziehen wir uns automatisch an. Klar, spielt Geld eine gewisse Rolle: Man kann aber auch im weißen Hemd, Jeans, die nicht von einem It-Label stammen und Chucks, die man im Sale für fünfundzwanzig Euro erstanden hat, ganz toll und sehr geschmackvoll gekleidet sein.
Es kommt eben ganz darauf an, dass das, was wir tragen, auch wirklich zu uns passt und einen Look herstellt, bei dem immer ein Quäntchen Understatement mehr durchblitzt, als bei Leuten, die sich zwar alle Labels leisten können, aber wenig darüber wissen, wie man was trägt und was zum eigenen Typ passt oder eben überhaupt nicht passt.

Darum geht es hier. Wir schauen aus verschiedenen Blickwinkeln auf alle Möglichkeiten, die uns offen stehen, es richtig zu machen oder daneben zu greifen, uns womöglich für teures Geld zu verkleiden und versuchen zu ergründen, woher das kommt, dass manche mit traumwandlerischer Sicherheit selbst aus dem Wühltisch die richtigen Teile herausziehen und Andere von einem Fehlkauf zum nächsten stolpern.

Wann kommen wir denn in das Alter, in dem wir dann halbwegs geschmackssicher sind? Ich denke, das ist bei den meisten erst nach ausgestandener Pubertät fällig. Heute sind Teenager ja mit ihren Eltern befreundet und Mütter kleiden sich so, wie ihre Töchter laut deren Wunschvorstellung eigentlich gekleidet sein sollten, die aber laut Wolfgang Joop lieber leicht schlampig wie Prostituierte rumrennen, weil‘s ja auch sexy sein soll.

Wie schwer das ist, sich selbst auf geschmackvoll zurecht zu schütteln, kennen sicher viele von euch aus eigener Erfahrung. Ich auch. Jede Ausrede dafür, weshalb meine wilden Schwestern und ich zwischen Zwölf und Achtzehn wie Punks aus einer vergessenen Hippiekolonie herumgelaufen sind, wäre zwecklos. Meine Mutter und ihr wunderbarer Geschmack sind da jedenfalls nicht Schuld dran. Man hatte ja schon ein Auge drauf, wie toll all ihre Sachen an ihr wirkten, aber die Vorstellung, in einem preußischblauen Seidenkostüm, dessen Vorderfont mit alten Korallenperlen kunstvoll bestickt war, zur Arbeit zu gehen, fanden wir schlichtweg absurd.

Da mussten Eltern früher durch, auch bei Jungs gab es nicht nur Diskussionen über den Haarschnitt. Jugendliche müssen sich ausprobieren können, wollen oder – besser gesagt – wollten rebellieren und alles sein, nur nicht so, wie die Erwachsenen, die im Bewusstsein der Jugend ja sowas wie alte Leute sind. Unsere Lieblingsantwort auf die Frage zur Familie lautete: Wir stammen vom Affen ab!

Aber jede Gegenwehr gegen Erziehung und Umgebung ist zwecklos. Hätte ich das damals schon gewusst, wie sehr man irgendwann auch die Blueprints kopiert, die man schon zuhause kennengelernt hat, ich hätte nichts anderes als das getragen, hätte aber über mich schmunzeln müssen. Jeden Tag in Jeans, Cordjeans, Band-T-Shirts und Chucks zu verbringen, die ich wie alle meine Freunde über und über mit Text und Motiven gestaltet hatte, sollte ein starke Botschaft an meine Eltern sein, dass ich nie so wie sie werden wollte …
Es kam aber anders und ich muss auch modisch gesehen noch froh drüber sein …

Warum trägt Carmen Geiss keine Kleider von Roland Mouret? Oder könnte es doch sein, dass sie ein Auge auf die vergleichsweise dezenten Looks der Icons von Louis Vuitton wirft? Eher nicht. Geschmack entsteht in letzter Konsequenz dadurch, dass wir in der Fantasie ein Bild von uns und unserem Wunschimage entwickeln, zu dem die Kleidung passen muss. Und dieses innere Bild bestimmt weitgehend darüber, dass Frauen, denen es immer um sexyness geht, eher zu rasanten Looks von Versace, Cavalli & Co. greifen würden, als zu einem schönen Kleid von Dries Van Noten, Calvin Klein & Co. Diese Labels sind viel zu mausig und schlicht für Frauen, die schon von Weitem als erste gesehen werden wollen.
Gina Lisa Lohfink, Carmen Geiss und Daniela Katzenberger sind ganz sicher nicht unter Kristalllüstern und Stuckdecken, inmitten von Antiquitäten und Kunst aufgewachsen. Man weiß schon, was hübsch ist, das würden andere aber eher als bunten Dekokram bezeichnen und sehr wahrscheinlich würde kein Mann, der eine vorzeigbare Frau braucht, sich in eine verlieben, die so gar nicht weiß, was die Anderen, die sich für stärker halten, geschmackvoll finden. Dabei hat in Geschmacksfragen keiner so richtig recht, oder?

Ich schätze mal, nicht mehr als fünf oder höchstens sieben Prozent der Bewohner unseres westlich geprägten Konsumkosmos verfügen über absolute Geschmackssicherheit. Wissen einfach, was richtig gut an ihnen aussieht, egal ob sie gerade bei COS, Hermès oder Peek & Cloppenburg nach Klamotten stöbern.
Der weitaus größere Rest ist die Mehrheit, von der ein Teil ganz nett angezogen ist, zumindest immer wieder mal, dann kommen die, die einfach irgendwas anziehen, weil sie ohnehin nicht sehr an Mode interessiert sind, nicht zu vergessen, die Fashion Victims, die viel Geld ausgeben können, das auch tun, aber trotzdem regelmäßig danebengreifen, weil Eleganz nichts mit dem Klamottenbudget zu tun hat ..ach ja, da sind dann auch noch diese schrecklich unsicheren Imitatoren, die das tragen, was die It-Girls und Promis in der In-Style gerade anhaben und alles nachmachen, weil Mode uns den gewünschten sozialen Gruppen zugehörig machen soll.

Kleider machen zwar keine Leute, aber man schummelt sich eben leichter wo dazu, wenn man so wie alle in diesem Club angezogen ist. Daher kommt die Tradition der Clubjacketts und darum geht es beim Modegeschmack im Kern: Wir tragen Business-Suits, um geschäftsmäßig und kompetent zu wirken, auch wenn wir im rasanten Shiftrock und romantischer Volant-Spitzenbluse von Dolce & Gabbana nicht weniger Hirn haben.
Wenn man ehrlich ist, bleibt vielen von uns immer weniger die freie Wahl, ganz nach Gusto, also dem eigenen Geschmack, gekleidet zu sein. Zu groß ist der soziale Druck, etwas darzustellen, das man nicht ist, sich zugehörig zu machen, distinguierter, wissender, smarter, wohlhabender … und so weiter, zu wirken.
Man wird eben taxiert und bewertet, nicht nur im Tagesoutfit, das man auf seinem Modeblog zeigt. Eigentlich kein großes Ding, wenn das nichts besonderes ist, das man gerade trägt? Oder doch? Wie wichtig nehmt ihr diese Sache. Schließt ihr vom Modegeschmack oder dessen Fehlen auch auf die Person? Oder findet ihr sowas eher übertrieben und lächerlich, auf jeden Fall sehr oberflächlich?

Ich bin gespannt, wie ihr das Geschmacksthema seht, das ich hier naturgemäß nur angerissen habe und ich oute mich gleich: Mir ist das vollkommen egal, wer wie rumläuft. Ich kann zwar seitenweise drüber schreiben, was, wie, warum, besser an wem aussieht, ich würde aber weder privat noch in meinem Beruf an den Klamotten von jemand aus meiner natürlichen Umgebung herum kritisieren. Sowas gehört sich nicht, sagt meine stets elegante Mutter. Trotzdem fände ich es jünger, frischer und cooler, wenn Blogger ganz normale Klamotten nicht als Hit des Tages posten …

Darauf hatte ich mich auch in dem Telefonat mit Horst geeinigt.

  • Celine
    4. Dezember 2011 at 19:06

    „Trotzdem fände ich es jünger, frischer und cooler, wenn Blogger ganz normale Klamotten nicht als Hit des Tages posten …“

    Mehr gibt es auch nicht dazu zu sagen. Vielen Dank für den schönen Beitrag.

  • blomquist
    4. Dezember 2011 at 19:49

    Für diesen Satz muss man Daisydora doch umarmen
    “Trotzdem fände ich es jünger, frischer und cooler, wenn Blogger ganz normale Klamotten nicht als Hit des Tages posten …”

    Junge Mädchen die sich in ihrer ältesten Röhrenjeans und ödem Pulli abbilden müssen kann ich nicht für voll nehmen.
    Was soll sowas?
    Aber auch gestandene Männer die sich in unvorteilhafter Garderobe darstellen müssen gehen gar nicht.

  • Peaches
    4. Dezember 2011 at 20:09

    ach daisydora, ich mag dich!

  • isa
    4. Dezember 2011 at 22:58

    das scheint wohl ein Zeitgeist-Thema zu sein. In der neuen Qvest gibt es auch einen super Artikel darüber

  • Daisydora
    5. Dezember 2011 at 08:25

    @Celine

    Vielen Dank für dein nettes Feedback …. Das Spannende an solchen Betrachtungen dürfte sein, dass andere genau das lieben, was ich weniger cool finde .. 🙂

    @Blomquist

    Danke, lieber Herrf Kollege … du weißt ja, mir sind Leute, die sich ständig fotografieren und die Fotos ins Netz stellen, an sich schon unheimlich …. Irgendwie kommt das bei mir so rüber, als ob sich die einfach immer ganz toll fänden …. und das ist für mich etwas zu viel Selbstbewusstsein 🙂

    @Peaches

    Wie bezaubernd von dir, danke 🙂

    @Isa

    Danke für den Hinweis, ich kaufe die Quest nicht, weil ich die bedeutungsschwangeren Fotostrecken nicht mag … aber das ist ja auch reine Geschmackssache ….

    Zeitgeist ist glaube ich ein Wort, das ein Marketingfuzzi für Magazine und die Werbung erfunden hat. 🙂

  • Carrie
    5. Dezember 2011 at 09:50

    „Trotzdem fände ich es jünger, frischer und cooler, wenn Blogger ganz normale Klamotten nicht als Hit des Tages posten …“

    Das trifft es für mich auf den Punkt Daisy…diese Selbstbeweihräucherung ist einfach nur langweilig und vor allem immer das gleiche….

  • siegmarberlin
    5. Dezember 2011 at 12:00

    sehr guter Artikel , ich denke eine Mischung aus highclass u. normal gefällt mir schon immer, schlimm ist es komplett in einem Label rumzulaufen, ausser man ist Verkäufer des selben.

  • Daisydora
    5. Dezember 2011 at 15:45

    @Carrie

    Da sheint es echt diese zwei Lager zu geben… die Einen, die das ganz toll finden und die Anderen, die es uncool finden .. 🙂 .. danke dir …

    @siegmarberlin

    Vielen Dank … genau, jeder nach seinem Gusto, ich finde eine Mischung auch etwas entspannter als lauter Labelklamotten …

  • thomas
    6. Dezember 2011 at 13:45

    fangt bloß nicht mit tagesoutfits hier an, ich warne euch