In Zusammenarbeit mit Krug Champagner

„Ganz einfach ist nicht so mein Ding“ – Tim Raue im Interview

(Konstantin Filippou, Karl-Heinz Hauser und Tim Raue beim Opening des Krug Kiosks; Foto: Franziska Krug/Getty Images für Krug)

Sein gleichnamiges Restaurant in der Berliner Rudi-Dutschke-Straße ist seit fünf Jahren konsequent mit zwei Sternen vom Michelin gesegnet. In der renommierten Liste The World’s 50 Best Restaurant steht er derzeit auf Platz 48. Anfang diesen Jahres hat ihm die Reihe Chef’s Table auf Netflix als erstem Deutschen überhaupt eine Folge gewidmet. Es läuft richtig gut für Tim Raue, der in Berlin außerdem noch das „Sra Bua“ im Hotel Adlon betreibt und das „Studio Tim Raue“ im Stadion von Hertha BSC. Das „Dragonfly“ in Dubai, das „Hanami“ auf der Mein Schiff, die Brasserien „Colette“ in Berlin, München und Konstanz: allesamt unter der Regie des Spitzenkochs entstanden. Der Weg dahin: ein ungerader, zunächst.
Wir trafen den Sternekoch anlässlich des Openings des Krug Kiosks, für den Raue Trüffel-Dim-Sum und Brioche beisteuerte, zum Interview.

Horstson: Hallo Herr Raue, danke, dass Sie sich Zeit für ein Interview nehmen. Erzählen Sie von sich – wie sind sie groß geworden?
Tim Raue: Schlicht. Ich bin in Keuzberg groß geworden, in Armut; in einem – wie man heute sagen würde – ‚multikulturell geprägtem Umfeld‘, wo deutsch nicht die Sprache war, die gesprochen wurde und wo der Umgang leider nicht so human und sozial war, wie ich ihn mir das heute vorstelle.

Wie stellen Sie sich das denn heute vor?
Ich finde es unheimlich wichtig, dass man begreift, dass jeder Mensch wegen seiner Individualität wertvoll ist und dass es okay ist, wie man ist.
Kochen ist zum Beispiel für mich eine der höchsten Formen des Ausdrucks, weil ich, mit dem was ich kreiere, Sinne bei meinem Gegenüber anspreche – ich kann ihn mitnehmen. Ich habe oftmals das Gefühl, dass ich Menschen mit meinen Gerichten besser erreiche, als dass ich mit Worten versuche, mich jemanden zu nähern und kennenzulernen.

In Ihrer Jugend waren Sie in einer Gang. Inwieweit hat sie diese Zeit geprägt?
Die 36 Boys waren eine Jugendgang und ich war innerhalb der Gruppe der einzige Deutsche. Für mich war es meine Ersatzfamilie, mit der ich Sachen gemacht haben, die im Nachhinein betrachtet nicht sonderlich sinnvoll waren, die sich jetzt auch nicht mehr ändern lassen. Das einzig Positive, was ich aus dieser Zeit ziehen kann, ist zu reflektieren und aus Fehlern lernen zu können.

Wie sind Sie dann zur Ausbildung des Kochs gekommen?
Ganz klassisch – wir sind in der 9. Klasse ins „BIZ“, dem Berufsinformationszentrum vom Arbeitsamt, gegangen und haben einen Multiple-Choice-Test gemacht. Bei mir kam raus, dass ich entweder Landschaftsgärtner, Maler und Lackierer oder Koch werden kann. Landschaftsgärtner war nicht so mein Ding; bei Maler und Lackierer wusste ich durch meine Graffiti-Kumpels, dass es nicht immer mit Gestaltung und „Schön-machen“ zu tun hat. Gegessen habe ich immer gerne. Einer meiner Lehrerin hat mich dann bestärkt – Kochen hat was mit Kreativität zu tun, außerdem muss man hart arbeiten und die Energie und Kraft dafür würde ich mitbringen.
Mit meinen Bewerbungen bin ich dann allerdings bei den 5-Sterne-Hotels durchgefallen – meine Schulnoten waren nicht so gut und insbesondere die Kopfnoten haben es mir erschwert. Also habe ich mich in einem Ausflugslokal beworben, wo sie Leute brauchten, die anpacken können. Der Durchlauf an Mitarbeitern war sehr hoch, sodass ich schon nach einem Jahr eine verantwortungsvolle, leitende Position eingenommen habe. In meinem zweiten Lehrjahr war ich dann stellvertretender Küchenchef. Im dritten Lehrjahr habe ich dann in ein Ein-Sterne-Restaurant gewechselt.

Für mich war diese Zeit aber gut, da ich gelernt habe, Verantwortung zu übernehmen. Auch war ich es gewohnt, 14 Stunden am Tag zu arbeiten – kannte es auch gar nicht anders. Ich empfand es als normal, so viel zu arbeiten. Die Entscheidung, die Ausbildung zum Koch zu beginnen, habe ich nie bereut. Ich habe auch keine Alternative für mich gesehen.
Auch den Umgang miteinander konnte ich aus meiner Zeit bei der Gang lernen – ich habe bei Küchenchefs gearbeitet, die noch zugelangt haben.

Zugelangt, das heißt?
Sie haben geschlagen oder mit einer Pfanne geworfen. Ich hatte damals aber schon die Durchsetzungskraft, das zu beenden. Später – in meiner eigenen Küche – konnte ich meinen Mitarbeitern dann einen anderen Umgang vermitteln und klar artikulieren, wenn zum Beispiel die Soße versalzen ist, statt zu beleidigen.
In der Zeit, in der ich meine Ausbildung gemacht habe, also Ende der Achtziger Jahre, war der Ton in der Küche sehr rau, was man den Küchenchefs vielleicht auch nicht zum Vorwurf machen kann – sie wussten nicht, wie sie den Stress handeln sollen. Die Küchen waren archaische Orte, die wenig Spaß gemacht haben.
Das hat sich mittlerweile geändert, was ich sehr positiv finde. Heute gibt es viele offene Küchen, was es damals noch nicht gab. Wenn ich mir vorstelle, was man da gesehen hätte … Heute ist der Umgang harmonisch und das Menschenbild hat sich gewandelt. Wenn zum Beispiel ein Koch in New York kein spanisch spricht, ist er aufgeschmissen, da ein Großteil seiner Mitarbeiter einen lateinamerikanischen Hintergrund hat. Dadurch sieht man sich in der Küche als Team – es gibt nicht den einen Superstar. Es ist das Team, zu dem Küche und Service dazugehört, was funktionieren muss. Der Koch ist derjenige, der neue Gerichte kreiert.

Sehen Sie sich als Vorbild für Ihre Mitarbeiter?
Ich versuche zu zeigen, dass ich mich immer weiterentwickele; dass ich immer an mir arbeite um besser zu werden – als Mensch, als Chef.
Schreien ist Energieverschwendung. Energie, die man nutzen kann, zum Beispiel ein Glas Krug zu trinken …


Foto: Franziska Krug/Getty Images für Krug

Wann haben Sie das erste Mal Krug-Champagner getrunken? Gab es da einen Grund zum Feiern?
Kurz bevor ich mit 20 meine Ausbildung beendet habe, hatte ich ein Buch über Champagner gelesen und mich informiert, welcher der beste ist. Kurz darauf habe ich in einem Magazin, „Die zweite Hand“, eine Anzeige gesehen, in der jemand zwei Flaschen Krug-Champagner angeboten hat – ein 79er und ein 85er Vintage, die ich dann in einem Hinterhof in Kreuzberg/Schöneberg gekauft habe. Ich wusste, als ich den Champagner dann getrunken habe, dass es gigantisch ist.
Krug war damals Welten von meinem Universum entfernt. Es hat mich aber schon immer fasziniert, dass etwas existiert, dass aus mehreren Jahrhunderten entstanden ist und eine Geschichte erzählen kann; eine Geschichte, die ich selbst gerne zu erzählen gehabt hätte.

Was kochen Sie für sich privat?
Ich koche fast gar nicht für mich. Ich finde es wichtig für einen Gastronomen, dass er rausgeht, um positive wie auch negative Eindrücke zu gewinnen, um für sich daraus etwas ziehen zu können. Ich gehe zum Beispiel gerne in ein ganz bestimmtes, einfaches, chinesisches Restaurant. Viele fragen mich, warum ich dorthin gehe und zeigen sich unverständig, nachdem sie dort auch gewesen sind. Die Köche sind dort auch nicht sonderlich begabt, aber immer wenn ich dort hingehe, habe ich das Gefühl, als ob ich in Hongkong esse. Es schmeckt so, als wenn eine chinesische Mama für einen kocht. Das ist ein Laden, in dem ich mich einfach wohlfühle …
Dann gibt es natürlich Restaurants, die ebenso einige Sterne haben, in die ich auch gerne gehe. Ich kann dort schauen, was sie anders machen. Auch ist es für mich spannend zu sehen, wie der Service mit dem Gast umgeht. Es gab in dem Bereich in den letzten zehn Jahren eine enorme Veränderung. So wie Sie heute aussehen, hätten Sie zum Beispiel vor einigen Jahren wegen des Dresscodes in London in kein Ein- oder Zwei-Sterne-Restaurant gehen können. Sie hätten Sie sicher gebeten, die Kappe abzusetzen. Das ist ein Umgang, der mich schon damals genervt hat – vor 15 Jahren wollte man mich in London in ein Restaurant nicht reinlassen, da ich keine Krawatte getragen habe und das Einstecktuch hat ihnen nicht gereicht. Ein Umgang, den wir niemals bei uns im Restaurant haben wollen. Wir werden niemals Menschen danach beurteilen, was sie anhaben.
Ich bin letzte Woche, als es in Berlin sehr warm war, zu einem Gast hingegangen, der Flip-Flops, Shorts und ein Beach-T-Shirt getragen hat. Der Gast wusste vorher nicht, in welches Restaurant er hingeführt wurde und es war ihm peinlich, so angezogen zu sein. Ich bin zu dem Gast hingegangen und ihn auf ein Glas Champagner eingeladen – er war der einzige Gast im Restaurant, der sich nicht vom Wetter ablenken lassen hat. Es war ein schöner, unbeschwerter Moment.

… Momente, die zum Teil im Internet geteilt werden. Googeln Sie sich?
Es gibt Menschen, die sich googeln? Nein, das mache ich nicht. Ich schaue ab und zu in Formate wie TripAdvisor. Anfangs war ich – typisch deutsch – manchmal empört. Heute ist es mir egal, was geschrieben wird. Ich finde konstruktive Kritik am sinnvollsten, wenn sie von Menschen kommt, die viel von der Materie verstehen und die zum Beispiel, viel essen gehen.

Was ist bei Restaurant aktuell zeitgemäß?
Bei uns gibt es keine langen Tischdecken, die bis zum Boden gehen, kein Gold, kein Silber. Der Deutsche hat eine bestimmte Idee von Sterne-Restaurants – oftmals ist es für ihn eine Höhle des Luxus. Aber darum geht’s ja gar nicht. Die Sterne bedeuten ja nur, dass man herausragend isst.

Ein Discounter ist vor wenigen Wochen in die Schlagzeilen geraten, da er 600g Nackensteak für 1,99 EUR angeboten hat. Ist günstiges Essen zeitgemäß? Haben Sie Verständnis für den Kunden?
Verständnis ist schwierig – ich versuche daran zu appellieren, warum wir leben. Wir existieren, weil wir essen und trinken. Wir haben nur dieses eine Leben. Das kann für uns doch nur bedeuten, dass wir das Beste essen und trinken, damit wir so alt wie möglich werden.
Ich habe kein Verständnis dafür, mit einem teuren Auto zum Discounter zu fahren. Hochwertige Lebensmittel kann man nicht billig produzieren. Ich würde es gut finden, wenn in der Schule Ernährung gelehrt wird. Dann würde es auch keine Fast-Food-Läden mehr geben …

Hätten Sie für uns ein Rezept, was ganz einfach ist und gleichzeitig viel Eindruck schindet?
Nein, ganz einfach ist nicht so mein Ding. Aber eine Empfehlung hätte ich, die wir in unserer Colette-Brasserie anbieten: Jahrgangs-Sardinen mit Röstbrot und Limette. Ein Gericht, das hervorragend zur Krug Grande Cuvée passt. Wir werden es Ihnen schicken …

Herr Raue, ich danke für’s Interview

Tim Raue hat Wort gehalten. Hier das Rezept zu den Jahrgangs-Sardinen mit Röstbrot und Limette (zum Vergrößern rechter Mausklick):

Bild: Jörg Lehmann

Das Rezept wurde übrigens auch im neuen Buch von Tim Raue, „My Way“, veröffentlicht. Guten Appetit!

  • PeterKempe
    17. Juli 2017 at 12:23

    Boite a Sardines mit Poilâne Roestbrot ist mein absoluter Sommer Favorit ! Love it

  • Monsieur Didier
    17. Juli 2017 at 21:03

    …sehr sehr sympathisch und er bringt viele Dinge einfach auf den Punkt…

    früher gabe es „Kochen“ in der Schule…
    aber dazu hat man ja kein Geld und keine Zeit mehr…
    alles wird aud Effizienz getrimmt…
    das ist ein klassisches Eigentor…!