(Foto: Steven Pisano, Bild: „New York City Street Scenes – Outside Victoria’s Secret Store, Sixth Avenue, Herald Square“; August 13, 2015; (CC BY 2.0)
Wer erinnert sich nicht an die legendären Schauen von Victoria’s Secret? Die ganze Welt war jedes Jahr mit dabei, wenn auf allen Kanälen die PR-Schnipsel dieser Mischung aus Massenhypnose, einer Zirkusrevue ohne Löwen und Clowns und einem Lingerie-Musical – mit den jeweils angesagten US-Music-Stars und total aufgedrehten Models abgefeiert werden. Und das in Heavy Rotation der Endlosschleife bunter Bildchen.
Victoria’s Secret investierte jedes Mal Millionen Dollar in diesen Mega-PR-Event und bekam dafür wochenlange Gratis-PR im Gegenwert von Fantastillionen. Als Werbezeiten gebucht würde das gewiss nicht unter hundert Millionen Dollar kosten, was TV-Sender, Magazine und Onlinemagazine weltweit über die Mutter aller wovon-Hausfrauen-angeblich-träumen-Dessous-Shows berichten.
Das ging schon mit dem bestgehüteten Geheimnis des Jahres, dem jeweiligen Cast, los. Dem Tross der Glücklichen folgten seit Gisele Bundchens Ausstieg immer mehr halbbekannte Models, die man für schmalere Honorare buchen konnte. Die Models zeigten in teils absurden Kostümen Dessous, die fast zur Nebensache gerieten bei all dem Blingbling. Dieses Prinzip des „geflügelten Models“ lief erstaunlich lange gut, doch irgendwann lockte auch der „Fantasy Bra“, ein juwelenbesetzter BH, der alljährlich den Höhepunkt der jährlichen „Victoria’s Secret Fashion Show“ markierte, kaum noch eine Katze hinter dem Ofen vor und so kam es, dass erst eine Schau abgesagt wurde und jetzt die Engel in Rente gehen sollen, wie Martin Waters, CEO der Wäschemarke, im Interview mit der New York Times. Auch wird es den „Fantasy Bra“ nicht mehr geben.
„Als sich die Welt veränderte, haben wir zu langsam reagiert“, wie Martin Waters erklärt „Wir mussten aufhören, uns für das zu interessieren, was Männer wollen, sondern für das, was Frauen wollen.“ Ach was? Das in der „Victoria’s Secret Fashion Show“ gezeigte Frauenbild ist in die Jahre gekommen und gilt in Zeichen von Diversität und wandelnder Gesellschaft als unmodern – da nützt es auch nichts, dass 2018 Winnie Harlow ihr Debüt auf dem Victoria’s-Secret-Laufsteg gab. Der „Athleisure“-Trend wurde ebenso komplett verschlafen.
Anstelle der Engel rückt nun „VS Collective“, eine Gruppe von Frauen, die allesamt sehr unterschiedlich sind: Adut Akech (Flüchtling, Unterstützerin von Mental Wellness, Model), Amanda de Cadenet (Journalistin, Fotografin, GirlGaze-Gründerin und Verfechterin der Gleichberechtigung), Eileen Gu (Weltmeisterin im Freeskiing, Verfechterin des Jugend- und Frauensports, Model), Megan Rapinoe (LGBTQIA+-Aktivistin, Fußballprofi), Paloma Elsesser (Body-Positive-Aktivistin, Plus-Size-Model), Priyanka Chopra Jonas (Schauspielerin, Produzentin, Unternehmerin) und Valentina Sampaio (LGBTQIA+-Aktivistin, Schauspielerin, Model).
Das klingt für Victoria’s Secret zwar ungewohnt frisch, ob es aber reicht, die Engel gegen ein Kollektiv aus Aktivistinnen auszutauschen, bleibt abzuwarten.
paule
22. Juni 2021 at 17:01Es ist schade, wie die ganze Diversitäts-Sache immer mehr zur Uniform wird. Was gut gedacht war, wird mehr und mehr ein Machtinstrument und eine Gruppe von Aktivistinnen und Aktivisten (in den jeweiligen Bereichen) verbietet anderen Menschen, eine Meinung zu haben. Vielleicht gibt es ach Frauen oder Männer oder was auch immer, die sich mit den „Engeln“ identifizieren konnten. Möglich. Es wird dann einfach mal entschieden, dass es diese Menschen nicht mehr gibt. So wie es mir stinkt, dass Homosexuelle immer halb nackt gezeigt werden, so sehr stinkt es mir, dass es immer auf eine Männerfantasie abzielen soll, wenn Frauen erotisch gezeigt werden. Ich denke jede Frau sollte entscheiden, wie sie sich zeigen möchte. Es sollte nicht so sein, dass eine Gruppe (freudlos) korrekter Aktivistinnen und Aktivisten das Sprachrohr aller Frauen ist. Ich fand die „Engel“ toll. Schöne Frauen mit einer tollen Figur. Wenn sie nicht dazu gezwungen wurden und sie das gerne gemacht haben, kann ich nichts falsches daran erkennen. Mir und sicher vielen anderen war bewusst, dass es sich dabei um „Kunstfiguren“ gehandelt hat und die Frauen im „normalen Leben nicht fast Nackt mit Flügeln in der Küche stehen, sondern alltägliche Dinge tun und evtl. z.B. Jura studieren. Man kann als Frau studieren, toll aussehen, schlank und gut aussehend sein und alles miteinander verbinden. Genau so, wie man als Homosexueller schlau und angezogen sein kann. Ich finde es mehr und mehr beunruhigend, dass gutausehende Menschen „entsorgt“ werden. Wenn ich mir etwas zum anziehen kaufe, dann kaufe ich das, weil ein gutausehender Mann, der 30 Jahre jünger ist, als ich, das trägt. Es gibt mir zumindest den Anschein, dass ich damit dann auch so aussehe. Will ich, dass die Sachen ein Typ in meinem Alter und meiner Figur vorführt? Mein, auf keinen Fall. Ich habe damit jeden Tag zu tun, das reicht. Es muss nicht auch noch in meine Vorstellung und meine Illusion kommen. Und was den Fantasy-Bra angeht. warum es soll nur ein männlicher Traum sein. Warum kann es nicht auch der Traum einer Frau sein, die sich damit toll und (für sich selbst) attraktiv fühlt? Es muss nicht für ihren Mann sein. Es kann auch für ihre Frau oder ganz einfach nur für sich selbst sein.
Eva Parke
24. Juni 2021 at 10:36Zuerst: Das ist ein sehr guter Text!
Aber ich schließe mich PAULE an, finde es mittlerweile total krampfig, wie man bei vielen Marken versucht, die alten Stereotype durch neue zu ersetzen.
Werbung lebt davon, mit der Illusion von Schönheit, Attraktivität, Glück und so weiter zu handeln. Es interessiert mich deshalb wenig, diese ebenfalls teuer zusammengecasteten Real People vorgesetzt zu bekommen, deren Akteure inflationär gebucht und eingesetzt werden.
Es wirkt auf mich hilflos, wie Marken heute versuchen, mit Diversität Stimmung für sich zu machen. Plötzlich und geradezu unvermittelt, gibt es nur noch gute und gerechte Entscheider … man hält Verbraucher:innen wohl weiterhin für ziemlich unmündig und leicht beeinflussbar.
Victorias Secret war mir immer etwas zu kitschig, aber selbstverständlich wollen die meisten Frauen in Dessous lieber so aussehen, wie Gisele Bundchen und Co.
paule
25. Juni 2021 at 10:41@ eva parke
dem stimme ich zu.
die entscheider sind mittlerweile alle so gut und gerecht, dass es eigentlich schon weh tut.
es gab zeiten, da liefen diese dinge eher „nebensächlich“ ab. gaultier zum beispiel hatte meist
ein gutes, gemischtes, oft ungewöhnliches casting.
oder es gab mal eine „dove“ werbung mit „gemischten“ frauen, die nicht alle 0-size waren.
aber heute, auf biegen und brechen wird eine diversität gezeigt, die langsam zur uniform wird
und alle sind immer auch „aktivisten“. das ist das schlag- und kampfwort um zu zeigen, dass man
zu den guten und gerechten gehört. wir, alle anderen sind, wie eva parke schreibt, dagegen dumm
und leicht beeinflussbar.
Eva Parke
25. Juni 2021 at 16:03@PAULE
D’accord!
Und schön, dass Dir das mit JP Gaultier als Beispiel eingefallen ist. Er und andere saßen schon vor Dekaden in den Zügen, auf die man heute so gerne aufspringt, weil es opportun ist.
paule
25. Juni 2021 at 17:24@eva
genau so ist es und manche machen das seit 30 jahren. unaufgeregt, inspirierend und ehrlich. wenn wir zum beispiel an rossie de palma denken, die jede damalige vorstellung gesprengt hat. ich denke, all diese leute bewirken nachhaltig mehr, als die ganzen uniformierten „gutmenschen“.
Eva Parke
26. Juni 2021 at 10:25@PAULE
Ja richtig, Rossie de Palma, es war so normal, auch anders als der Mainstream, den es ohnehin nicht gab, auszusehen und erfolgreich zu sein. Aber schwierig, das jemand zu erklären, in dessen Bubble Almodovar nach eine Marke für veganen Serrano klingt …
paule
26. Juni 2021 at 11:52@eva
ha, ha, genau!
ich fürchte, wir müssen diese „diversitäts-uniformierung“ noch einige jahre aushalten, bis sich alle zu aktivisten und aktivistinnen erklärt haben und dann ist vielleicht ruhe. was ich traurig finde, wenn sich jemand für ein thema eisetzt, das nicht populär ist, dann gilt er oder sie als freak. passt das thema in den jeweiligen mainstream ist man aktivist.