Aus dem bröckelnden Welttheater in eine strahlende Zukunft – Chanel Haute Couture

Bild: Horstson

Am Montag hatten wir ja als Einstimmung auf die Haute Couture Woche den neuen Film „Women Only“ von Karl Lagerfeld gezeigt, in dem er nicht ins Kino gelassen wurde. Was macht Karl Lagerfeld darauf? Er baut als Dekor für die gestern stattgefundene Haute Couture Schau im Grand Palais ein Abbruchreifes, vom Zahn der Zeit gezeichnetes Theater auf, auf deren Bühne die Rückwand durchbrochen ist und man in die helle, futuristische „Wolkenkratzer-Welt“ der Zukunft blicken kann. Darüber erstreckte sich das Jugendstil-Gerüst des Grand Palais und die geladenen Gäste der Schau wurden beim Eintritt durch dieses weitere Meisterstück der Fantasie wieder tief beeindruckt.

Bilder: Chanel, Olivier Saillant

Bilder: Chanel, Olivier Saillant

Im Januar wurde noch ein ganzer Zauberwald aufgebaut, diesmal ging es ins Theater. Chanel stattete seine Gäste dadurch automatisch mit einem visionären Blick aus, was sich dann natürlich umgehend auch in der gezeigten Kollektion ausdrückte.
Das Wechselspiel zwischen klassischer Haute Couture, wie es die Kundinnen lieben, voller Anspielungen auf die Traditionen des Hauses, und der fast schroffen Vision der Couture der Zukunft, in der Verletzbarkeit auf Härte trifft, bildete einen spannungsvollen Gegensatz.

Bilder: Chanel, Olivier Saillant

Bilder: Chanel, Olivier Saillant

Bilder: Chanel, Olivier Saillant

Betrachtet man die Kollektion generell und blendet Models und die einzelnen Stilistiken aus, kann man bei jedem Modell eine ganze Liste von unfassbar vielen und aufwendigen Details sowie Schnitttechniken erkennen. Mal sind es feine, applizierte Stickereien aus winzigen Lederstückchen, mal sind es vielfach übereinandergelegte und zu geometrischen Mustern verarbeitete Chiffon Stückchen, Mosaik Stickereien aus Halbedelsteinplatten, Schrägschnitte von unglaublicher Raffinesse oder feinst drapierte, in tausende Falten gelegt und dann zu Applikationen verarbeitete Tüll-Streifen.
Handwerk, das kaum noch zu perfektionieren ist, gehört für Lagerfeld fast zur Selbstverständlichkeit und bietet für uns den Raum, bei mehrmaligem Hinschauen immer neue Details, besonders an den Cocktail- und Abendkleidern zu erkennen. Genau das erwartet man von Haute Couture und hier wird es bis zum Exzess zelebriert.

Bilder: Chanel, Olivier Saillant

Bilder: Chanel, Olivier Saillant

Bilder: Chanel, Olivier Saillant

Bei der Linie und Silhouette der Kostüme greift Lagerfeld auf typische Kragenlösungen und Schnittformen zurück, die wie die futuristischen Vorstellungen der End-Sixties wirken. Umgesetzt in den typischen Chanel Bouclés und Loups. Kelchkrägen und die grafische Lösung der Fronten lassen bei den Jacken ein wenig an „Sacré Cardin“ denken. Coco Chanels typischer Boater, der Hut, der sie berühmt machte, wird bei Lagerfeld nicht nur auf den Hinterkopf gesetzt, sondern wandelt in der weiterentwickelten Vision einfach seine Vorderseite in eine eckige Variante. Die Frisuren wirken wie Haarschnitte von Grace Jones in den 80er Jahre, als sie von Jean-Paul Goudes in Szene gesetzt wurde.

Bilder: Chanel, Olivier Saillant

Überhaupt setzt Chanel, das weiblichste aller Modehäuser, in dieser Schau auf ein fast androgynes, straightes und strengeres Frauenbild. Im Wechselspiel mit den weiblichen und klassischen Abendroben, mit drapierten und ausgestellten Röcken oder den fließenden Lamé Kleidern aus irisierenden Stoffen, ein gewollter Kontrast. Grafische Abendkleider mit Mosaik-Stickereien sind ein weiteres Thema, ebenso wie eine Reihe von meisterhaft gearbeiteten Chiffon-Kleidern, die mit ihren Mustern an die Licht und Schatten Utopien des Photographen Alexander Rodtschenko erinnern.

Bilder: Chanel, Olivier Saillant

Dass Haute Couture eine Zukunft hat, ist schon länger klar, denn in einer Zeit, in der Individualisierungen immer begehrlicher werden – besonders im High End Bereich – bietet sie für die Kundinnen die einzige Möglichkeit, sich noch stärker abzugrenzen. Das Handwerk, das hier noch ausgeführt werden kann und bezahlt wird, bekommt so immer wieder die Möglichkeit, weitergetragen und sogar noch perfektioniert zu werden. Lagerfeld spielt diese Trümpfe perfekt aus und lässt uns im kommenden Winter einen Bogen erleben, der zwischen gestern, heute und morgen genau das zeigt, was die Marke und das Haus Chanel ausdrücken wollen: Die Mode wandelt sich stets und passt sich dem Frauentypus eines jeden Jahrhunderts an, ohne sich zu verwandeln, denn Mode hat etwas mit Koketterie, Details und der Sehnsucht zu tun …

Haute Couture Visionen à la Karl Lagerfeld für Chanel für den Winter 2013.