Allgemein

Denken und verstehen –vs– Gedenken oder bringt uns Beides weiter?

Als ich bemerkte, dass mein Daisy-Sonntagsbericht mit dem Zehnjahres-Gedenktag von 9/11 zusammenfällt, musste ich erst mal schlucken. Nicht etwa aus geheuchelter, noch immer anhaltender Betroffenheit über die schrecklichen Geschehnisse an dem Tag, sondern deshalb, weil ich mich alle paar Monate sowieso frage, was wir als Welt daraus gelernt und zum Guten verändert haben. Die Bilanz fällt mager aus und manches hat sich sogar verschlechtert.

Die Vereinigten Staaten und der Rest der westlichen Welt und dessen Bündnispartner waren vollauf damit beschäftigt, das personifizierte Böse, Diktatoren wie Saddam Hussein und den Al-Qaida Chef Osama Bin Laden zu fangen und zu vernichten und gefährliche Spinner wie Präsident Mahmud Ahmadinejad mit Drohgebärden in Schach zu halten.
Es steht mir nicht zu, zu bewerten, was richtiger gewesen wäre. Sinnvoll und ethisch vertretbar ist es ganz sicher nicht, junge und größtenteils am Leben und kriegerischen Kämpfen unerfahrene Menschen, die das Leben noch vor sich haben, als eine Art Kanonenfutter – wie im Ersten und Zweiten Weltkrieg schon – in unsere Kriege zu schicken. Ich habe eine Zeitlang die offiziellen Listen der in Afghanistan und im Irak getöteten Soldaten der US Army gelesen und regelmäßig geheult, weil da so viele unter oder knapp über Zwanzigjährige drunter sind. Von der Playstation an die Front. Mit Siebzehn bist du also schon gut dabei, darfst im War On Terror kämpfen, worunter nichts anderes als ein besonders unübersichtlicher Religionskrieg der heutigen Zeit zu verstehen ist.
Und das ist das Perfide dran: Es geht im Kern immer um den Nahostfrieden – Palästinenser gegen Israelis, Juden gegen Moslems – von dem wir weiter als zuvor entfernt zu sein scheinen und um die kulturellen und religiös verankerten Klüfte zwischen den Weltreligionen, für die da am laufenden Band gestorben werden darf. Für mich ist das einfach rückständig, finsterstes Mittelalter und grausam, dass es billigend hingenommen wird, dass Religion und Staat in vielen Teilen der Erde und auch bei uns nicht getrennt sind.

Was hat Papst Benedikt im Bundestag zu suchen?
Bundestagspräsident Lammert war am Montag, dem 30. Mai 2011, zu einer Privataudienz beim Papst und wurde dabei auch noch von Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt von den Grünen, die auch Präsens der Synode der EKD und Präsidentin des Evangelischen Kirchentages ist, begleitet. Dazu fällt mit nur Grüßgott in Deutschland ein.
In einem Artikel im Tagesspiegel erfährt man, wie der Parteikollege Hans-Christian Ströbele darüber denkt: Als Hans-Christian Ströbele ein Junge war, etwa zwölf Jahre alt, lautete sein Berufswunsch: Papst. Später wurde der heute 72-Jährige, aufgewachsen in einem katholischen Elternhaus, dann doch Rechtsanwalt und Grünen-Politiker, Kirchensteuer zahlt er nicht mehr. Ob er am 22. September im Bundestag sein wird, wenn Benedikt XVI. dort redet, weiß Ströbele noch nicht. Begeistert ist der Bundestagsabgeordnete aus Berlin-Kreuzberg von dem Auftritt auf keinen Fall. „Der Papst soll Messen feiern, wann und wo er will“, sagt Ströbele dem Tagesspiegel, „in der Kirche, auf der Wiese, von mir aus auch im Olympiastadion. Aber er sollte nicht im Deutschen Bundestag reden.
Dem schließe ich mich ohne Wenn und Aber an. Die Verantwortlichen für diese Vermischung von Kirche und Staat sollten schleunigst in die Pflicht genommen werden und ihren Eid darauf leisten, dass wir eine laizistisch ausgerichtete Demokratie haben und keinen Vatikan-mitten-in-Deutschland-Wohlfühlstaat, der Opium an die Armen verteilen sollte. Religion ist Privatsache und ich sehne den Tag herbei, an dem das die Welt kapiert hat.
Wir sollten hier mit gutem Beispiel vorangehen, den radikalen Kräften unter den Christen aber vor allem den Moslems und Juden zeigen, dass es völlig unbedeutend ist, welchem Glaubensbekenntnis man angehört. Keines davon macht einen zu einem besseren oder schlechteren Mensch, der man nicht auch als Atheist wäre. Mich gruselt es, wenn da im einundzwanzigsten Jahrhundert von nicht erwünschten überkonfessionellen Verbindungen die Rede ist.
Gott gibt Zukunft, steht auf den Ansichtspostkarten mit Papstbild, die man in Erfurt schon jetzt für einen 1 Euro kaufen kann. Ich würde vorschlagen, liebe fundamentalistische Christen, wir verlassen uns da lieber nicht drauf und packen die Probleme, die es da noch zu lösen gilt, besser selbst an.

Wir werden diesen schrecklichen Tag und seine direkten und indirekten Opfer, genauso wenig jemals vergessen können, wie uns bewusst ist, dass danach noch viel mehr Menschen im War On Terror gestorben sind. Und der Tod von jungen Menschen ist immer sinnlos. Mögen wir endlich daraus lernen.
Ich liebe Amerika und glaube an die Ideen Barack Obamas, an seinen Gerechtigkeitssinn und seine Weisheit, gerade auch in Sachen Nahostfrieden und daran, dass er ein sehr guter Mensch ist …. aber verschont mich bitte in diesen nachdenklichen Tagen mit diesem Gott schütze uns und auf der anderen Seite – mit Alah ist groß und Gott sieht und verzeiht alles …
Ich bin Taufscheinkatholik, trete nicht aus, weil die Kirche auch viele humanitäre Aufgaben übernimmt und ich auch meinen Obolus für die Kulturdenkmäler leisten möchte – aber ich schaffe es fast immer nicht bis in die Kirche, weil es auf der Straße genug für mich zu helfen und zu tun gibt. Die Religion meines Gegenübers interessiert mich selbst bei Freunden nur peripher, von Fremden möchte ich ehrlich gesagt nicht mit diesen Informationen belästigt werden. Mir ist sowieso jede Religion recht, die keine Menschen verfolgt und tötet. Amen.

Bilder: Screenshots tagesspiegel.de, bundestag.de, armyhandbook.org, nytimes.com, redbubble

  • siegmarberlin
    12. September 2011 at 14:04

    Ein ziemlich langer Artikel, mit allzu bekannten Inhalten, diese Kontroverse Glaube uund od. Kirche ist mit zu müssig, daß muss jeder selbst entscheiden.
    Herr Ströbele ist mir in vielen Positionen zu verdammend und ich habe kein Problem damit das der Papst im Bundestag spricht, schließlich wird er auch als Staatsoberhaupt des Vatikanes von unserem Bundespräsident empfangen, das ist für mich noch keine Vermischung von Kirche und Staat. Ich habe auch eine Karte für die Feier im Olympiastadion und freue mich dabei zu sein und ich bin aus der Kirche ausgetreten. Ein offenes Land wie unser Land es ist, sollte da lockerer mit umgehen. Sieh dir die Türkei an, die seit Atatürk eine sehr strenge Trennung von Staat und Kirche hat, wie leicht dies sogar von der Frau des Präsidenten unterlaufen wird und keiner sagt tatsächlich was. Da ich in den USA gelebt habe, stehe mir viele Amerikaner nahe, das Land ist grossartig, leider gibt es immer mehr US-Bürger die ich nur unsäglich u. teilweise widerwärtig finde, diese ganze Tea-Party Bewegung, die Kreatonisten usw.. Obama ist für mich schon fast eine Lichtgestalt in diesen dunklen Zeiten in den USA.

  • Daisydora
    12. September 2011 at 14:35

    @siegmarberlin

    Ich bin ja weder Religions- noch Politikwissenschaftlerin, nur ein sehr politisch denkender Mensch. Daher konnte ich mich nur mit meinen Mitteln diesem Thema annähern, und da schien es mir schon angebracht, auch auf dahingehende Fehler in Deutschland hinzuweisen. Für aufgeklärte Menschen ist es sicher überhaupt nicht schädlich, wenn der Papst sonst wo spricht, aber im Sinne der Verpflichtung zu einer gewissen Vorbildwirkung in Richtung Islam und Judentum sollte man sorgfältiger mit solchen Signalen umgehen.

    Ich bin dir dankbar für das Beispiel des Laizismus in der Türkei; die dort nicht erst seit jetzt stattfindende Reislamisierung ist ja wohl der beste Grund, hier ein gutes Vorbild abzugeben. Ganz sicher kannst du dich auch noch an die Zeiten Tansu Cillers erinnern….

    Für mich wäre es wichtig, alle großen Religionen in Deutschland auf gleiche Stufe zu stellen und für Religionsunterricht in deutscher Sprache zu sorgen. Aber so offen scheint Deutschland ja doch noch nicht zu sein.

    Ich habe nichts gegen den Papst, finde ihn als Philosoph sehr interessant, aber das würde mich trotz katholischem Taufschein nie auf die krude Idee bringen, mich als Christin vorzustellen. Und in genau solchen Zeiten sind wir heute wieder gelandet……

    Die Verblödung mancher Bevölkerungsgruppen in den USA ist bedauerlich, wird das Land aber letztlich nicht umbringen und auch nicht zum Untergang bringen …

  • siegmarberlin
    12. September 2011 at 15:15

    @ daisydora

    natürlich muss man sehr sorgsam mit solchen Signalen umgehen, da pflichte ich Dir absolut bei. Ich warte die Rede im Bundestag erstmal ab, wünsche würde ich mir, das zumindest die Vertreter der anderen Weltreligionen eingeladen wären, das würde doch schon ein Zeichen setzen.

    Ich kenne Fr. Ciller, das war natürlich ein zeichen in Europa, eine türkische Ministerpräsidentin zu haben. eine starke Frau.
    Religionsunterricht muss auch für mich in deutscher Sprache sein, egal welcher Religion und man muss dahin kommen, das die Relegionslehrer auch hier ausgebildet werden.

  • Daisydora
    12. September 2011 at 18:04

    D’accord ….

    Ich bin auch gespannt auf die Rede, aber man sollte das den Vertretern aller Weltreligionen hinter die Ohren schreiben, dass sie nur eine Nebensache vertreten, die keinen Mensch zu einem besseren macht.

  • Jérôme
    13. September 2011 at 19:47

    Du bist eine sehr interessante Frau, Daisydora!

  • Daisydora
    14. September 2011 at 09:23

    @Jérôme

    Oh, dankeschön, sehr aufmerksam von dir.

  • Grünen-Politiker Ströbele will bei Papstrede Saal verlassen
    21. September 2011 at 15:50

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