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Peter’s Cuttings – Justine Picardie, die andere Chanel-Biographin

 

Karl Lagerfeld hat wunderbare Zeichnungen gemacht für die Chanel-Biographie der englischen Schriftstellerin Justine Picardie. Das Buch fiel mir sofort ins Auge und wenn ich ehrlich bin, dachte ich zunächst: Na noch ne Chanel-Biographie…
Bisher waren meine absoluten Lieblingsbücher die wunderbare Darstellung von Edmonde Charles-Roux, der legendären Chefredakteurin der französischen Vogue und Weggefährtin von Mademoiselle „Chanel Solitaire“. Charles-Roux wurde bei Vogue entlassen, weil sie es wagte, ein farbiges Model aufs Titelbild zu setzen, was in den Sechzigerjahren noch einen Skandal auslöste und sie entsprach überdies ziemlich genau dem Typ Chanel.
Außerdem liebe ich das Buch „Chanel hat mir erzählt“ von Lilou Grumbach-Marquandt. Kein Mensch hat in den Jahren nach Chanels Comeback mehr Zeit mit ihr verbracht als Lilou und hat sie bis zu ihrem Tod 1971 begleitet.
Eigentlich ist über diese Frau viel – wenn nicht alles – gesagt und nun kommt das Porträt der Engländerin Justine Picardie, die eine wunderbare Biographie über Daphne du Maurier geschrieben hat und sich publizistisch intensiv mit den Schwestern Bronte beschäftigte.

Nachdem ich das Buch gelesen habe wurde ich eines Besseren belehrt. Die Genauigkeit und die Akribie ihrer Recherche, sowie die in mir Phantasien auslösende metaphorische Erzählweise faszinierten mich. Sie fügt gekonnt die Erkenntnisse, die Claude Delay und Marcel Hädrich neben Charles-Roux schon beschrieben haben zusammen und recherchiert als erste die Ursprünge Chanels. Ihre Kindheit in Obazine, in dem Kloster, in dem sie ihr Vater abgab, als er seine zweite Ehe einging. Chanel hatte zeitlebens ständig ihre Herkunft neu erfunden. Picardie klärt diese Zeit auf und stellt auch fest, dass die Grundzüge des Chanel-Stils schon in der Symbolik dieser Zeit ihre Anfänge nahmen. Überhaupt gräbt sie Quellen, Photos und Zeugenaussagen aus, die vorher nicht berücksichtigt wurden oder unentdeckt blieben. Das überzeugte auch Karl Lagerfeld und er beschließt, ihr Rede und Antwort zu stehen und so ergibt sich ein Buch, das viel Bekanntes mit durchaus Neuem verknüpft. Besonders die Beziehung zum Herzog von Westminster erscheint in einem ganz neuen Licht durch Picardies Betrachtungsweise. Sein Einfluss, und der Vera Bates (kleines Bild; mit Gabrielle Chanel auf ihren Stil, waren frappant.

Letzte Woche fand in der besten Buchhandlung Hamburgs, der Bücherstube Felix Jud, Hoflieferant und Buchhändler des Vertrauens von Karl Lagerfeld, der alle Bestellungen des Meisters ausführt und eine wirkliches Highlight in Hamburg ist, die Vorstellung des Buches mit Justine Picardie statt. Ich hatte die Gelegenheit, Justine kennen zu lernen und mit ihr zu sprechen. Siehe da, meine Eindrücke hatten mich nicht getäuscht, wurden sogar noch übertroffen. Sie ist eine faszinierende Frau und Persönlichkeit, genau wie die Frauen, die sie in ihren Büchern beschreibt.
In einer Mischung, wie sie nur eine Engländerin verkörpern kann, bildet ihre Persönlichkeit reizvolle Gegensätze: zum feinsten Upper-Class-Englisch, welches auf eine hochfeine und vornehme Herkunft schließen lässt (Picardie wurde durch ihre Mutter inspiriert zu Chanel, diese hatte schon genau wie die Großmutter kleine Schwarze von Mademoiselle getragen) blitzen schalkhaft Augen, die verraten, dass sie in ihrer Jugendzeit sicherlich eher Katherine Hamnett und Vivienne Westwood getragen hat und wie sie selbst sagt, blaue Punkfrisuren trug. Sie verkörpert genau das, was London Excentrics ausmacht, die es auch nur dort gibt.
Mir gefällt die Vorstellung, dass sie an der Friedensbewegung und Anti-Atombewegung der Achtzigerjahre teilgenommen hat und ein Teil der Punkkultur war.

Ganz gegensätzlich dazu, trägt sie an diesem Abend eine Chanel-Creation, die nicht besser zu der Lesung hätte passen können: Ein Kleid aus schwarzem Wollboucle, wie die Uniform eines Zimmermädchens oder einer Kammerzofe geschnitten, mit einem weißen Kragen und weißen Manschetten von feinstem Seidensatin. Genau wie in dem gelesenen Kapitel beschrieben wird, steht sie praktisch wie aus Obazine an der Klosterschule, in der Chanel aufwuchs, vor einem und man kann sich in diesem Moment vorstellen, dass Chanel genau wie sie eine Bombe in dieser Hülle war.

Picardie fasziniert mich. Im nächsten gelesenen Ausschnitt aus ihrem Buch beschreibt sie das Privat-Appartement von Mademoiselle in ihrem Couture-Haus in der Rue Cambon. Alles ist öffentlich, bis auf ihr Schlafzimmer. Das ist gegenüber – lebenslang im Hotel Ritz. Die Beschreibung der Aufteilung und der Gegenstände in Cocos Appartement wirkt wie eine Ikonographie des Systems und des Stils von Coco Chanel. Jedes Teil hat eine Bedeutung und kehrt bis heute immer wieder in die Kollektionen in irgendeinem Detail zurück. Chanel ist ein Universum und ihr Geist schwebt immer noch über ihrem Haus und dem gesamtenUnternehmen; das wird spätestens nach diesem Kapitel klar. Picardie weiß dieses Schreinhafte durch ihren Schreibstil total zu verdeutlichen und in den Vordergrund zu stellen.

Mit dem Feingefühl einer emanzipierten Frau weiß Picardie aber auch um die Tragik und die Wiedersprüche in Chanels Leben. Sie beschreibt das genau in der Nische, die Chanel praktisch ins Hotel Ritz ausgelagert hatte. In ihrem Schlafzimmer, in der Nacht lauerte das Trauma ihres Lebens, abseits von allen Berühmtheiten und ihrem Weltruhm. Die Schlaflosigkeit und die Morphiumsucht. Das Alleinsein, das sie zermürbt und sie bis zur letzten Sekunde ihres Lebens arbeiten lässt um dann am Sonntag ab zu treten.
Justine Picardie zeichnet deutlich die moderne Facette an Coco Chanel nach, aber auch das mädchenhaft-verspielte. Produkt der Träume ihrer Kindheit im kargen Kloster.

Sie schafft es, dass man aus den Wiedersprüchen und Gegensätzen des Lebens von Coco ganz klar ihre Stilistik und den Chanel-Stil begreift. Es geht nie um das Kleidungsstück. Es geht um die Haltung und die Position einer Frau und um deren Aura.
Es geht darum, sich selbst zu bestimmen und doch die Sehnsucht zu haben, ein wenig geliebt zu werden. Der größten Sehnsucht Chanels, die sich auch in der grenzenlosen Phantasie ihres Schmuckes, ihrer Accessoires und ihrer Wohnung bemerkbar machen.
Justine Picardie bringt mit ihrem Buch und mit ihrer Persönlichkeit Chanel auf den Punkt. Karl Lagerfeld illustrierte das Buch, neben vielen selten gezeigten Photos mit seinem unnachahmlichen Gouache-Stil und eigentlich zeichnen eine Engländerin und ein Deutscher das französischste aller Chanel Bilder.

Was ihr aber zusätzlich gelingt, ist das, dass sie die Freiheit, die Chanel den Frauen gegeben hat, weiterzugeben vermag an den Leser. Etwas, das mir besonders gefällt. Chanel wird von ihr genauso mit einem Augenzwinkern bedacht, wie mit einem kritischen Blick und trotzdem blitzt immer wieder das unvergleichlich Englische hervor.

Edmonde Charles Roux und Lilou Marquand bekommen Gesellschaft. Es ist jetzt mein drittes Lieblingsbuch über Chanel und macht Lust auf mehr Bücher von Justine Picard.

 

  • thomas
    28. November 2011 at 10:58

    kleine buchhandlungen sind eben doch die bessere alternative. in einer thalia buchhandlung passt keine picardie rein

  • Stephan Berlin
    28. November 2011 at 11:17

    Justines Blog ist auch GANZ toll. Auf dich ist einfach Verlaß, Peter!

  • siegmarberlin
    28. November 2011 at 11:59

    wunderbar und noch eine Biografie die ich mir kaufen muss.

  • Daisydora
    28. November 2011 at 16:56

    Bezaubernd. Ich habe noch nie was von Justine gelesen und werde die Biografie kaufen … 🙂

  • Horstson » Blog Archiv » Sam Taylor Wood – Third Floor
    29. März 2012 at 09:01

    […] photographischen Ästhetik. Karl Lagerfeld schrieb einen begleitenden Text und auch die schon auf Horstson vorgestellte englische Schriftstellerin Justine Picardie hat ihre Eindrücke davon beschrieben. Mit 50 wundervollen Abbildungen bietet Taylor Wood einen […]

  • Horstson » Blog Archiv » Peter’s Cuttings – A Woman of Style: Justine Picardie
    18. Februar 2013 at 09:24

    […] sofort, ob ihr gegenüber gut zuhört und reagiert auf die kleinsten Nuancen der Antworten. Ich hatte die Gelegenheit, anlässlich des Erscheinens ihrer Biographie “The Legend and th… und bin selten so inspiriert und begeistert aus einem Interview gegangen. Seit diesem ersten […]