Allgemein

Peter’s Cuttings – Der Stoff, aus dem die Träume waren …

Foto8
Bild: Hulda and Gustav Zumsteg Foundation, Zürich

Keiner webte so feine Seiden wie die Züricher Abraham AG. Kein großer Couturier kam an der Traditionsfirma vorbei. Dennoch schloss Firmenchef Gustav Zumsteg das Unternehmen im Jahre 2002 und das unschätzbar wertvolle Archiv der Firma kam ins schweizerische Nationalmuseum, um der Nachwelt von den Traumstoffen zu erzählen und als Inspiration für die nächsten Generationen von Modeschaffenden erhalten zu bleiben. Abraham machte die Stoffe, aus denen die Träume waren – die Träume der Mode.
Foto
Skizze von Yves Saint Laurent für Gustav Zumsteg, 1990,; Bild:  Hulda and Gustav Zumsteg Foundation, Zürich

„Der Stoff ist die halbe Mode“ wusste Yves Saint Laurent und wollte damit sagen, dass es Stoffe gibt, deren Qualität die Arbeit der eigenen Kreativität erleichtert; Stoffe, die schon als Meterware so gravitätisch fallen, wie später die fertige Abendrobe. Solche Qualität hatte damals und hat auch noch heute allerdings Seltenheitswert. Saint Laurent hatte Glück. Seit er Haute Couture schneiderte, war er genau wie Balenciaga, Dior, Ungaro oder Valentino auf einen Hersteller derart rarer Webwaren abonniert: auf Gustav Zumsteg.

Zumsteg war ein vielschichtiger Mann. Calvinist, streng und patriarchisch, wenn es ums Geschäft ging. Connaisseur, feinfühlig und tolerant beim Ausbau seiner Kunstsammlungen, die Museumsrang hatte. Ein Künstler, leidenschaftlich entflammt bei Stoffen – „Seide machen ist für mich wie eine Liebesgeschichte,“ sagte Zumsteg oft.
Fotobalencia
Balenciaga, Dessin: Abraham; Bild: Abraham Archive

Weil Zumsteg so ein Visionär war, sorgte er sich schon Anfang der 80er Jahre um den Fortbestand seiner Zunft. Zu dem bekannten Klagelied Balenciagas – „Angesichts der Armut der Bedürfnisse der Frauen ist meine Rolle zu Ende gespielt“ – kam die Sorge, dass dem Kunsthandwerk der Seidenweberei das Aus droht.
Anfang des 20. Jahrhunderts gab es noch 35.000 Jacquard-Webstühle, um teuerste Damast-, Brokat- und Satinstoffe zu produzieren – heute sind es gerade noch 250. Für hauchdünne Seidengaze, beidseitig mit feinsten Mustern gewebt, den sogenannten Broches, gibt es nur noch einen Stuhl.
Foto4
Dior, Dessin: Abraham; Bild: Abraham Archive

Die Haute Couture ist auch heute noch für Firmen wie Abraham lebenswichtig: Sie ist das Labor, in dem die Webereien neue Dessins und Stoffqualitäten testen. Frei von Kosten-Nutzen-Analysen wird das ausprobiert, was nachher, bei Erfolg, in vereinfachter Form für die Konfektion genutzt wird. Zu besten Zeiten standen 10.000 – 15.000 Meter Couture Stoffe einer Million Meter für Edelkonfektion gegenüber. Die Kollektionen beinhalteten einen gigantischen Entwurfs-Aufwand, der von Kreativdirektor Görgemanns bewerkstelligt wurde, lediglich für Saint Laurent wurde jedes Dessin von Zumsteg persönlich gemacht …
Foto2Foto3
Bilder: Abraham Archive

450 verschiedene Muster in jeweils fünf Farbvarianten wurden allein für die Couture zwei Mal im Jahr entworfen. Es konnte aber sein, das nur – jedem Couturier wurde Exklusivität zugesagt – dreißig oder vierzig Muster wirklich umgesetzt wurden. Die Coupons, die der Modeschöpfer für die Entwurfsphase bestellte, umfassten 10 Meter und kosteten pro Meter zwischen 300 und 600 Franken. Heute unvorstellbar und nur noch für wenige Kollektionen realisierbar. Chanel beispielsweise leistet sich in der Couture solche Stoffe. Es gibt noch ganz ganz wenige Betriebe in Italien oder Frankreich, die Stoffe dieser Güte machen.

Manchmal geschah es auch, dass die Abraham Weber für ein paar Extra-Zentimeter noch einmal an die Stühle mussten. Lacroix hatte aus einem Coupon ein Kleid geschnitten und plötzlich keinen Stoff mehr für die Ärmel übrig. „Da lieferten wir natürlich nach,“ erinnert sich Manfred Görgemanns, „auch wenn der Aufwand gigantisch war und wir praktisch umsonst arbeiteten.“
Foto5
20 Skizzenhefte mit Zeitungsartikeln; Bild: Abraham Archive

Das Archiv der Firma erzählt viele solcher Geschichten und umfasst außer den eigenen Entwicklungen Stoffe, die bis ins 18. Jahrhundert zurückreichen und schon früher als Inspiration genutzt wurden. Unzählige Collagen, Presseveröffentlichungen, Dankschreiben der Couturiers und die Firmengeschichte sind auf einmalige Weise für die Nachwelt erhalten und zugänglich. Jeder, der sich mit Mode beschäftigt, sollte, wenn er nach Zürich kommt, versuchen, einen Termin mit den Kuratoren zu machen, denn eine Stunde in den Archiven sind wie eine Eintrittskarte in die Zauberwelt der Mode.

Görgemanns hat es mir gegenüber in einem Satz, der auch noch heute für das Können und den Stolz des Handwerks steht und die Herausforderung für das Modehandwerk ist, um Maßstäbe zu schaffen, zusammengefasst:

„Die Haute Couture ist ein Traum, der sichtbar wird – der Stoff, aus dem dieser Traum ist, den lieferten wir …“

  • Ulrike Teterycz
    29. April 2013 at 09:51

    Als vor wenigen Jahren, in Zürich das Nationalmuseum wieder eröffnet wurde, war ich am ersten Tag dort, um mir diese Träume nochmals anzuschauen.

    Danke lieber Peter!

  • Daisydora
    29. April 2013 at 12:09

    Wieder ein reines Vergnügen, das zu lesen. Genau darum geht es bei Mode. Danke, Peter!

    🙂

  • Siegmar
    29. April 2013 at 12:44

    wieder ein ganz wunderbarer Artikel, danke

  • Volker
    29. April 2013 at 14:39

    Wundervoll, kannte weder die Abraham AG noch Zumsteg!

  • Horstson » Blog Archiv » Adieu Beatrix!
    30. April 2013 at 09:18

    […] bestimmter Pastelltöne, der Dauer-Homage an Bright Colors, dem Hoch auf kostbare Jacquards, märchenhaft schöne Broches und schwere Piqués […]