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Peter’s Cutting – Wie wird man eigentlich Couture Kundin?

Weil wir bei Horstson in diesem Jahr noch mehr hinter die Kulissen der Mode blicken möchten, nehmen wir gleich die Haute Couture Woche zum Anlass, eine der meist gestellten Fragen zu erklären: Wie wird man eigentlich Couture Kundin?
Am Beispiel der Chanel Frühjahr-Sommer Haute Couture Kollektion möchte ich euch erklären, wie das Prozedere dafür ist, denn eines vorab: Man kann nicht einfach in einen Laden gehen und sich die Sachen anschauen oder gleich mitnehmen; es Bedarf einiger Vorbereitungen, denn bei Haute Couture handelt es sich um Maßanfertigung und ähnelt einem Club, bei dem es einige Hürden zu bewältigen gilt, wenn man ihm beitreten möchte …

Es hält sich immer noch das Klischee, dass Superreiche aus Fernost oder Russland wahllos ihr Geld für Haute Couture ausgeben und angeblich gleich Dutzende Kleider bestellen. Doch das entspricht nur teilweise der Wahrheit, denn 90 Prozent der Couture Kundinnen kaufen, weil sie dem Handwerk verfallen sind und ihre Kleider lebenslang tragen, bewahren und später einem Museum vermachen wollen.
Die BBC brachte vor einigen Jahren eine sehr schöne Dokumentation über die Amerikanerin Susan Gutfreund, eines der Urgesteine der Kundinnen. Gutfreund lernte das Metier Anfang der 80er Jahre lieben und beschrieb in dem Beitrag jede Stickerei, jedes Detail voller Liebe und hütet ihre Kleider wie Schätze.
An den Bügeln hängen kleine Kärtchen, auf denen sorgsam vermerkt ist, wann das Stück getragen wurde – kaum eine Kreation, die mehr als zu drei oder vier Anlässen ausgeführt wurde. Speziell auf ihre Körpermasse geschneidert, lebt sie in einer Art Dauerdiät, denn die Teile sollen ja ein Leben lang passen. Nur im Notfall werden die Stücke ins Atelier geschickt, um sie ändern zu lassen.

Couture ist eine Liebe und eine Lebenseinstellung, die man sehr schnell lernt, wenn man sich mit dem Metier beschäftigt. Natürlich spielt auch Geld eine Rolle, aber das allein sichert keinen Eintritt in den (fast) geschlossenen Club der Couture. Ich hatte vor ein paar Tagen in Paris das Vergnügen, einen Tag in den Haute Couture Salons von Chanel verbringen zu dürfen und dort die Abläufe und die Gepflogenheiten kennenzulernen.
Alles startet mit der Anfertigung der Kollektion und den Fittings, an denen sämtliche Ateliers, die zur Chanel Familie gehören, beteiligt sind. Massaro fertigt nach den Zeichnungen von Karl Lagerfeld die Schuhe – so auch die Sneakers in dieser Saison.

Lesage stickt, Lemarié macht die Federstickereien, Montex die Spezialstickereien, Goossens und Desrues machen die Knöpfe und den Schmuck. In der Rue Cambon gibt es drei große Ateliers, in denen Kostüme (Tailleur), fließende Kleider (Flou) und die großen Abendroben gemacht werden. Die Directricen und die Teams, die sonst in der Rue Cambon die Maßkollektionen per Hand nähen, bekommen in der Endphase der Kollektion zusätzliche Näherinnen, die sie unterstützen.
Chanel ist gemeinsam mit Dior und Valentino, das Haus, was noch mehr als 50 Durchgängen bei der Couture zeigt und jede Saison zwischen 55 und 65 Looks exklusiv entwirft. Die dazu passenden Accessoires wenden nur mit dem Kleid oder Kostüm gemeinsam verkauft und können nicht einzeln erworben werden. Alle Ausführungen werden in den hauseigenen Ateliers in Paris gefertigt.

Entschließt man sich eines schönen Tages dazu, sich Couture zu zulegen, kontaktiert man die Couture Directrice des Hauses, um einen Termin für die nächste Saison zu vereinbaren. Man kann nicht einfach in die Rue Cambon, wo Chanel exklusiv seine Couture Modelle verkauft, gehen – man braucht einen Termin. Die Couture Schau im Grand Palais oder dem Pavillon Cambon, die in jeder Saison erfolgt, ist in erster Linie für die Presse gedacht. Neben Vertretern der Presse haben auch langjährige Kundinnen die Gelegenheit, dort anwesend zu sein. Als Couture Anfänger geht man in den Salon und schaut sich heute das Defilee im Vorraum der Couture Anproben in Ruhe an. Die einzelnen Looks hängen in der Reihung der Modenschau auf schweren Holzbügeln in großen zweiflügeligen Glasschränken. Fast unspektakulär, aber beim Herausnehmen entfalten sie dann ihre ganze Pracht und Kunstfertigkeit …
Die Vendeuse und ihre Assistentin helfen und beraten die Kundin beim Aussuchen und hängen die Teile, die infrage kommen, aus den Schränken in einen der wohnzimmer-großen Anprobe-Salons, die bequem mit Sofa und Sitzgruppe ausgestattet sind. Anprobenkittel, diverse Schuhe mit verschiedenen Absatzhöhen, Parfums und Make-up stehen natürlich zur Verfügung. Bei der Anprobe sind, um die Proportionen des Modells auf die Maße der Kundin anzugleichen und deren Wünsche zu ermitteln, eine Directrice und eine Schneiderin anwesend.
Nur in wenigen Fällen stimmt die Größe des Vorführmodells mit denen der Kundinnen überein und als Stammkunde hat man daher eine mit Nessel gewickelte Stockmann Büste in den Ateliers stehen, die alle Details des Körpers widerspiegelt. Nimmt man zu oder ab, wird die Büste angeglichen und die Modelle werden so den Bedürfnissen der Trägerinnen angepasst. Oft werden dann kurzärmelige Kleider mit langem Arm angefertigt, die Rocklängen oder Taillen versetzt und es gibt auch die Möglichkeit, aus herbeigebrachten Stoffproben auszuwählen, denn das, was in Pastelltönen auf der Modenschau gezeigt wurde, möchte die Kundin vielleicht in Schwarz bestellen.

Fast jede Kundin hat ein Budget, das sie sich setzt. Das absolute Phänomen und No-Go in einen Couture Salon ist die Frage nach dem Preis. Man weiß in etwa, in welcher Dimension eine Bluse oder ein Tagesensemble liegt und das aufwendig bestickte Abendroben den Preis eines Luxusautos haben. Erwähnt wird Geld und Kaufpreis nicht in einer Silbe. Aber keine Couture Kundin bestellt in einer Saison ein Kleid und in der nächsten plötzlich zwanzig Kleider. Es ist ein Maß, das jeder für sich weiß und das immer eingehalten wird. Überhaupt ist der ganze Vorgang wie ein Ritual und eine verschwiegene Gemeinschaft. Eine Käuferschaft, die heute noch aus in etwa 250 Frauen gebildet wird und dabei achten die Verkäuferinnen darauf, dass zum Beispiel ein Modell im Original nicht plötzlich in New York drei Mal bestellt wird. Die Faustregel, jedes Modell auf jedem Kontinent nur in einer Ausführung, gilt als Gesetz. Peinliche Begegnungen im selben Outfit sollen so möglichst ausgeschlossen bleiben.

Früher fanden zwei bis drei Anproben statt. Amerikanische Kundinnen weilten gerne einige Wochen in Paris, um ihre Saison Garderoben zu bestellen. Heute haben die Menschen weniger Zeit und in der Regel wird nur eine Anprobe gemacht, in schwierigen Fällen vielleicht noch eine zweite.
Nach etwa drei Wochen wird dann per Luftfracht, in teilweise extra angefertigten Verpackungen, geliefert. Für ganz besondere Stammkundinnen gibt es einen speziellen Service, und die ganze Kollektion wird in New York und in Asien mit Terminen in der Saison Mitte, wenn die größten Order in Paris durch sind, noch einmal gezeigt. Dieser Service kam auf, als Anfang der Achtziger Jahre die Hausvorführungen abgeschafft wurden.

Die absolute Perfektion, die die Kreationen ausstrahlen, wird einem spätestens dann bewusst, wenn man sie einmal in der Hand gehalten und selbst dem größten Zweifler wird klar, dass Haute Couture die Krone der Bekleidung ist. Alles andere wirkt dagegen wie ein matter Abklatsch und man kann es dann auch nachvollziehen, dass es Frauen gibt, die langsam aber sicher süchtig danach werden.
Sicherlich ist die Haute Couture Luxus, aber, um es mit dem Zitat von Mrs. Gutfreund zu sagen, „Wenn man die Möglichkeit des Geldes dafür hat, trägt man dazu bei, dass seltene Handwerke nicht verloren gehen und unsere Kultur erhalten wird. Man muss es wie eine Unterstützung für ein Museum oder eine Ausstellung sehen. Und wofür kann man sein Geld besser ausgeben, als für den Erhalt von Arbeitsplätzen und unserer Kultur?“ Gut, dass es solche Frauen wie sie gibt.

Eines kann ich bestätigen: Ich bin sehr froh, dass ich keine Frau bin. Sicherlich würde ich dann noch mehr dem Zauber der Haute Couture verfallen. Allein das Erlebnis und die Stimmung, die in diesen Salons herrscht, lassen die Herzen eines jeden Modebegeisterten höher schlagen und ich kann jede Frau dieser Welt verstehen, dass sie sich dafür in den Ruin stürzen würde …

  • Daisydora
    4. Februar 2014 at 12:11

    Der Bericht ist wunderbar, Peter, danke! Wegen so was lese ich Modeblogs und dafür sind wir eigentlich da 🙂

    Und natürlich wäre ich wahnsinnig gerne Couture-Kundin, was sonst … auch wenn mein erstes Wunschkleid dann dieses hier wäre http://www.style.com/fashionshows/complete/slideshow/F2013CTR-CDIOR/#44 … in der darauffolgenden Saison nähme ich dann bestimmt eines von Chanel

  • Siegmar
    4. Februar 2014 at 13:11

    Peter, deine Berichte sind ganz wunderbar und ich hätte gerne dort einen Tag verbracht, die Arbeiten sind der Wahnsinn an Aufwendigkeit und Präzession. Trotzdem mußte ich über diesen Satz ziemlich schmunzeln “ Speziell auf ihre Körpermasse geschneidert, lebt sie in einer Art Dauerdiät, denn die Teile sollen ja ein Leben lang passen. „

  • J
    4. Februar 2014 at 14:20

    Schöner Einblick in die elitäre Welt der Mode

  • Jay.
    4. Februar 2014 at 17:02

    Wow,ein grandioser Bericht! Habe mich gerade gefühlt,als wäre ich in einem dieser Salons. <3

  • Claudia
    4. Februar 2014 at 17:57

    Dankeschön. Ein wunderschöner Post. Mäuschen wär man da gerne, zwischen traumhaften Stoffen und wundervollen Roben. So schön.
    Claudia

  • monsieur_didier
    4. Februar 2014 at 19:59

    …wundervoll, lieber Peter…!

  • Temperance
    4. Februar 2014 at 21:42

    Wegen solcher Berichte:
    Mein Lieblings(mode)blog.
    Toll!Danke!

  • Claudia
    5. Februar 2014 at 01:14

    ….magnifique merci!…

  • Markus
    5. Februar 2014 at 06:11

    wunderbarer bericht!

  • Die Woche auf Horstson | Horstson
    9. Februar 2014 at 10:49

    […] 1) Peter war für uns in den Haute Couture Salons von Chanel und beantwortet uns die Frage: Wie wird man eigentlich Couture Kundin? 2) Finden wir dufte: Louis Garrel für Valentino 3) Wird Wrestling Trend? Dieser hoffentlich […]

  • Eveline
    12. Februar 2014 at 21:08

    wunderbar <3