Paris Fashion Week

Peter’s Cutting – Valentinos wahre Helden

Eigentlich wäre im Zuge unserer Berichterstattung von den Pariser Prêt-à-porter Defilees heute die Kollektion des Hauses Valentino dran. Ehrlich gesagt konnte ich es nicht bei einer Rezension belassen – dafür machen einen die beiden Schöpfer dieser Kollektion seit einigen Saisons viel zu neugierig.
Maria Grazia Chiuri und Pier Paolo Piccioli zeigten nämlich eine Kollektion, die eine Ausnahmeerscheinung in unserer Zeit ist und wenn man berücksichtigt, dass es sich um eine Konfektionskollektion handelt, an das schier Unglaubliche grenzt. Es gibt Ausnahmetalente in der Mode und Jahrhunderttalente – diese sind meistens eher auf der leisen und bescheidenen, fast schüchternen Seite zu suchen. Saint Laurent oder Balenciaga sind dafür Beispiele oder Exzentriker, die das Spiel des Fashionzirkus‘ mitspielen und auf diese Weise ihren Platz und ihre Rolle im System ausfüllen wie Lagerfeld, Schiaparelli oder Galliano.

Maria Grazia Chiuri und Pier Paolo Piccioli gehören eher zu der Gruppe der Ausnahme- und Jahrhunderttalente und man hat das Gefühl, als wären sie Menschen wie du und ich. Ihr Lebensstil ist nicht von Skandalen gekennzeichnet. Sie sind eher familiär orientiert und wirken, wenn sie am Ende einer Schau den Laufsteg betreten, eher etwas betreten und ungläubig über den entgegentretenden Jubel. Mit einem Satz: ich finde sie super-sympathisch und sie wirken so ungläubig fundiert.
Ein Erbe wie das Haus Valentino anzutreten, bedeutet ja nicht nur den Stil des Hauses weiter fortzusetzen und zu verjüngen, sondern auch kontinuierlich weiterzuentwickeln und eine eigene Handschrift einzubringen. Und genau das haben die beiden Römer, leise und mit absoluter Beharrlichkeit, geschafft.

Zwar machen die beiden Designer seit 2008 die Kollektionen für das italienische Traditionshaus von Valentino Garavani, aber eigentlich war das ein lange vorbereiteter Eintritt, denn Valentino hat sich schon genau angeschaut, wen er dort zu seinen Nachfolgern macht. Pier Paolo Piccioli und Maria Grazia Chiuri lernten sich bereits bei ihrem ersten Arbeitgeber Fendi kennen. Dort arbeiteten sie 10 Jahre zusammen und stellten sofort fest, dass sie genau die gleichen Werte hatten und dem damaligen Trend des Purismus nicht entsprachen. Sie liebten das Handwerk, die klassischen Techniken und fanden beide, dass Mode einem Traum, Humor, Fröhlichkeit und auch einer gewissen Art von Entfliehen des Alltags entsprechen sollte. Eng und kongenial arbeiten Piccioli und Chiuri seit dieser Zeit zusammen und wenn sie Interviews geben, sprechen sie immer mit einer Stimme. Sie sind zusammen, in dem was sie tun, perfekt.

1998 holte sie Valentino selbst in die Via Gregoriana, ihm gefiel sofort der Ansatz der beiden jungen Designer und, er erkannte in den beiden genau das Potenzial, das sein Haus in Zukunft brauchen würde. Maria Grazia und Pier Paolo kümmerten sich um die Accessoires (schon bei Fendi waren sie an der Kreation der berühmtesten Tasche beteiligt gewesen) und durch das ungeheure Know-how der Ateliers schärften sie ihr Auge und ihre Sinne für den Stil, aber auch die Weiterentwicklung des Metiers und des Hauses.
Ihre Modernität und das sie es immer wieder schaffen einen Gap mit einer scheinbaren Entspanntheit zu setzen, machte Valentino sicher, dass eine nahtlose Übergabe erfolgen kann. Von Anfang an wirken die Kollektionen „very Valentino“, wie es so schön der Slogan des Hauses seit Jahrzehnten sagt, aber auch völlig zukünftig und vor allem eigenständig.

Maria Grazia und Pier Paolo scheren sich um keinen Trend, haben immer ihre Kundin fest im Auge und vergessen vor allem eines nicht: dass Valentino schon immer der Inbegriff von Femininität ist und dass das Träumen auch im Alltag erlaubt sein muss.
Kontinuierlich wird die Marke verjüngt. Moderne Elemente, wie Camouflage, tauchen in der Herrenkollektion auf, die „Rockstud-Kollektionen“ bei den Accessoires werden ein Renner.

Besondere Stilelemente ihrer Modelle sind teilweise einfache Schnitte in wahnsinnig raffinierten Stoffen und Materialien umgesetzt. Besonders die letzten beiden Haute Couture Kollektionen (wir berichteten Valentino im Angesicht eines Engels und Königsklasse der Couture – Valentino) setzen sich deutlich in ihrer Einmaligkeit von ihren Mitbewerbern ab. Obwohl in Paris gezeigt, sind sie der italienischen Kultur sehr eng verbunden und die Welt der Kunst und der Oper scheint immer mitzuschwingen. Botticelli Gemälde, Stolze Renaissance Familien, etruskische Einflüsse, immer mit dem Zeitgeist von heute aufbereitet und modern umgesetzt, beherrschen sie perfekt. Sie kreieren eine völlig eigene und faszinierende Welt für die Marke. Die Details, das Handwerk, die Raffinesse der Materialien grenzen an Perfektion. Die Linie ist klar, weiblich und eigenständig.

In der Valentino Prêt-à-porter für das Frühjahr 2014 wird Couture Niveau erreicht und man hat fast das Gefühl, wie früher bei den Kollektionen von Yves Saint Laurent, dass Modegeschichte geschrieben wird. Eigentlich ist es auch gar nicht mehr als Bekleidung zu titulieren, sondern viel mehr als Krone der Mode. Zwei Grundtrends, das kurze simple Kleid und das Maxikleid bekommen durch die Materialien eine Opulenz, die aber nicht schwulstig wirkt, weil der Bruch genau das bewirkt, was die Neuheit der Optik ausmacht.

Simple Formkleider sind bestickt, mit ethnischen Ornamenten inkrustiert oder aus speziell entwickelten Materialien. Groß gemusterte Stoffe werden zu züchtig simplen Hemdblusen-Oberteilen kombiniert. Die Römersandalen oder Espadrilles dazu wirken mädchenhaft, der Schmuck – Sternzeichenketten, Armreifen und mit Skarabäen besetzt – erobert uns sofort im Sturm. Bei den Durchgängen muss man unwillkürlich an die Welt der italienischen Oper denken und sicherlich wäre die Callas heute sofort eine Kundin von Maria Grazia Chiuri und Pier Paolo Piccioli. Die Musik zu dem Defilee ist dementsprechend ein moderner Mix von Vincenzo Bellinis Norma bis zu einem Violinkonzert von Philip Glass. Alles scheint ein Gesamtkunstwerk zu sein. Streng frisiert und mit Nieten besetzten Haarreifen wirken die Models wie Prinzessinnen aus der Glanzzeit der Medici. Mode mit Tiefgang und sehr sehr viel kulturellem Hintergrund, von einer Intensität, wie sie in unserer Zeit nur noch selten erscheint. Der Massenmarkt, die Warenfülle, der Ramsch und die Beliebigkeit von Textilien, die heute häufig die Tagesordnung – auch bei Designer-Kollektionen – bilden, scheinen Lichtjahre entfernt zu sein und bleiben bei den beiden Designern eindeutig vor der Tür. Es wird genau das gezeigt, was Mode sein soll: pure Schönheit.

Mir fällt zu dieser Kollektion sofort ein Zitat der genialen Diana Vreeland ein, das sie Anfang der 60er Jahre anlässlich einer Balenciaga Modenschau machte: „Man war außer sich über das gesehene und dachte danach „War es nur ein Traum?“
Wir schreiben das Jahr 2013 und zwei moderne, normale, sympathische Menschen kreieren genau das, was Mode abseits von Kommerz und Globalisierung so liebenswert macht: die Individualität und das absolut Besondere.

Valentinos Kollektion von Maria Grazia Chiuri und Pier Paolo Piccioli ist eine Sternstunde der Mode und sie sind die wahren Helden ihres Metiers – schön, dass sie so bescheiden sind. Das macht ihren wahren Genius aus.

  • Daisydora
    7. Oktober 2013 at 10:21

    Pure Schönheit und Eleganz … da sitzt man staunend davor, so schön sind die Kleider … und ein toller Bericht, der einfängt und mal wieder herrlich bescheiden erklärt, was Mode ist. Und die Beiden sind so was von cool im Sinne von talentiert und auch mir sehr sympathisch. 🙂

  • Siegmar
    7. Oktober 2013 at 11:00

    was für ein schöner Artikel über 2 über aus kreative, wie sympathische Menschen. die Kollektion ist traumhaft schön und modern.

  • Markus Brunner
    7. Oktober 2013 at 11:43

    grandios geschrieben, Peter, man spürt das die beiden Dich tief im Herz getroffen haben, es ist aber auch eine sensationelle Kollektion, die Grenzen zwischen Haute Couture und Pret a Porter sind total verschwommen, jedes Teil ein Kunstwerk, der Schmuck, die Schuhe, die Taschen perfekte Abrundung. Die bestickten Kleider werden reißenden Absatz finden bei den arabischen Prinzessinen..die cleanen mit den wahnsinnigen Accessoires bei den europäischen Damen….insgesamt eine herausragende Kollektion und ein fantastischer Peter Bericht….

  • Eveline
    7. Oktober 2013 at 21:14

    Auf den Bericht habe ich gewartet und du bringst es wie immer auf den Punkt! Danke Peter!

  • thomash
    10. Oktober 2013 at 08:17

    der blick eines könners auf zwei künstler. so macht horstson spaß und man lernt wieder etwas neues, das man so nirgendwo anders erfährt. danke.