Allgemein

Peter’s Cutting – Azzedine Alaïa im Palais Galliera

azzedine-alaia-jean-paul-goude
Azzedine Alaïa by Jean-Paul Goude – Bild: Jean-Paul Goude: So Far, So Goude

Er hat nie am Fashionsystem teilgenommen und war nie in eine Gruppe einzuordnen. Er passte weder zu den Japanern, obwohl seine Kreationen überwiegend schwarz sind, noch zu den üblichen Pariser Couturiers. Der in Tunesien geborene Designer Azzedine Alaïa ist eine Art Balenciaga unserer Zeit. Er macht eine Frühjahrs-, eine Winter- und eine Accessoires-Kollektion und die stellt er vor, wenn sie fertig sind. Er bestimmt den Zeitpunkt, wenn sein Streben nach Perfektion ihm sagt, jetzt ist es so weit. Er hat kein weltumspannendes Netz von Boutiquen, sondern sein Atelier im Marais, das einem Fabrikgebäude ähnelt und das, zusätzlich zu den Ateliers, eine Verkaufshalle und ein Hotel beheimatet. Weltweit arbeitet er mit Einzelhändlern zusammen, die ihm schon lange die Treue halten und einen kleinen Corner im Le Bon Marché. Acht Jahre hat er mal gar keine Kollektion gemacht, 2009 hat er dann wieder angefangen und heute gehört seine Firma zwar zur Richemont Gruppe, aber selbst die kann ihn nicht dazu bewegen, das zu werden, was heute Firmen so gern sind: kommerziell.
Demarchelier-72
Azzedine Alaïa by Patrick Demarchelier; Bild: © Patrick Demarchelier

Azzedine Alaïa ist wie ein amüsanter Architekt, der bis in die 80er Jahre in der Rue de la Planche in der selben Wohnung geschlafen, gearbeitet, genäht und schließlich, wenn die Modelle fertig waren, die Möbel zur Seite geschoben und seine Freundinnen, allesamt Supermodels, haben dann den wenigen, extra dafür angereisten Journalisten alles vorgeführt.

Alaïas auf den Körper skulpturierten Kleider wurden medial entdeckt, als das große Körperbewusstsein der 80er Jahre begann. Aber trotz steigender Nachfrage blieb er sich immer treu und tüftelte lieber immer wieder neue Materialkombinationen und sorgsam entwickelte Modelle aus. Der immer direkt auf den Körper gestaltete Grundentwurf wird bei ihm teilweise über Jahre ausgearbeitet und immer wieder verbessert. Die Details sind unglaublich und er sieht den Körper der Frau mit den Augen eines Architekten.
Dabei ist Alaïa stets umgeben von mehreren Hunden, gern größer als der sehr kleine Couturier, der wenige Zentimeter über 1,50 Meter misst und seit 40 Jahren mit dem aus Hamburg stammenden Künstler Christoph von Weyhe im Pariser Stadtteil Marais zusammenlebt.
Lindbergh-volants-72Roversi-croco-72
Azzedine Alaïa; Bilder – Links: © Paolo Roversi, 2013; rechts: © Peter Lindbergh, 2013

Azzedine Alaïa selbst trägt eine Art Uniform, natürlich in Schwarz, die einem Mao Anzug ähnlich sieht, ist sehr schüchtern und von der Arbeit besessen. Eigentlich arbeitet er immer und sein in Tunesien liegendes Ferienhaus hat er in den letzten zwanzig Jahren nur eine Woche besucht. Wer „Neues“ in seinen Kollektionen sucht, ist auf dem Holzweg, denn es geht um Weiterentwicklung eines Stiles und der Vervollkommnung der Hommage an den weiblichen Körper. Schaut man sich ein Teil von Alaïa an, ist es perfekt im Aufbau, im Material, in der Verarbeitung, im Detail und vor allem in der Passform.
gallo
Kleid von Azzedine Alaïa; Bild: © Ilvio Gallo, 1996

Ein schwarzer Stretchrock von 1984 kann mühelos mit einem Oberteil aus der neuesten Kollektion getragen werden – alles scheint wie aus der Zeit gefallen zu sein. Wer einmal Alaïa gekauft hat, verfällt ihm – seine Kundschaft ist ihm bisher so treu ergeben wie einem kirchlichen Führer. Bei den Accessoires sind vor allem die engen Taillengürtel und seine Handtaschen, die auch zu lebenslangen Begleitern werden und eine völlig eigene Formensprache haben, seine Signature Pieces.
Azzedine Alaïa ist, wie einst Cristóbal Balenciaga, eine Art Hohepriester seines eigenen Stiles und mehr Künstler als Couturier. Da er naturgemäß keine Werbung macht oder Anzeigen schaltet und nur ungern Interviews gibt, sind die Bilder, die sein Freund Jean Paul Goude von ihm herstellte, die schönsten und humorvollsten Aufnahmen von ihm.
gallo zip
Kleid von Azzedine Alaïa; Bild: © Ilvio Gallo, 1996

Eines wird aber in der am Wochenende eröffneten Ausstellung und Huldigung im Palais Galliera ganz klar – Alaïa ist bereits zu Lebzeiten, obwohl er noch arbeitet, eine Legende und ein Denkmal der Mode. Er unterliegt nicht dem Zeitgeist, sondern er schafft eine total eigene Stilistik und gibt der Bekleidung eine „Losgelöstheit“ von Datum, Jahr und Jahrzehnt.

Coco Chanels Zitat „Mode vergeht, Stil besteht“ könnte für Azzedine Alaïa erfunden worden sein. Eines ist er bestimmt nicht: ein Modeschöpfer, Alaïa ist ein Stilfinder.

Die Ausstellung ist ein absolutes Muss für alle Mode-, Stil- und Architektur-Fans und sollte auf keinen Fall verpasst werden. Das Palais Galliera ist frisch renoviert und verfügt außerdem über eine der besten Sammlungen von Couture, denn natürlich haben Designer immer schon, diesem der Stadt Paris gehörenden Museum, ihre Kreationen gestiftet. Unvergleichlich schön, kann man die Azzedine Alaïa Retrospektive jeden Tag, außer Montags, von 10 – 18 Uhr anschauen. Der Kurator Olivier Saillard hat eine unglaublich schöne Ausstellung kreiert.

Der kleine Azzedine Alaïa ist einer der ganz Großen der Mode – überragend!

Musée Galliera – Musée de la mode de la ville de Paris
10 Avenue Pierre 1er de Serbie, 75116 Paris, Frankreich
Vom Samstag, 28. September 2013 bis zum Sonntag, 26. Januar 2014

  • Siegmar
    30. September 2013 at 15:12

    schöner Beitrag über einen besonderen “ Stilfinder „. Die Ausstellung ist sicherlich sehr sehenswert und das Foto im Header ist grosse Klasse.

  • monsieur_didier
    30. September 2013 at 19:50

    …mir hat seine Sichtweise und Herangehensweise schon bei der dreiteiligen Doku auf Arte sehr sehr gut gefallen…
    und ich fand ihn ausserordentlich sympathisch…

    …mir gefällt jeder Mensch, der sich dem „System“ mit seinen Gesetzmäßigkeiten entgegenstellt…

    ich hatte ihn längere Zeit aus den Augen verloren und freu mich sehr, dass er wieder präsent ist…!

  • Ulrike Teterycz
    4. Oktober 2013 at 21:57

    Lieber Peter,

    vielen Dank für diesen Bericht, mit vielen neuen Informationen für mich.
    Nie, niemals werde ich vergessen, wie ich als junge Mode Studentin, mit viel Glück das Atelier im Marais fand, all meinen Mut zusammennahm, an der Pforte klingelte und tatsächlich Einlaß gewährt bekam, in das für mich damals unglaublichste Interieur.
    Kaum möbilierte, riesige, fabrikartige Räume, mit Industrietreppen auf mehreren Ebenen, ausgestattet mit gigantischen lila/roten Gemälden von Julian Schnabel und meterhohen Samtvorhängen. Dieses Erlebnis hat mich für die Ewigkeit geprägt. Ich war damals ganz alleine und für den Rest des Tages völlig fertig.

    Wie gerne würde ich diese Ausstellung anschauen!

    Liebe Grüße
    Ulrike

  • PeterKempe
    4. Oktober 2013 at 23:00

    @ Ulrike
    Na sowas kenn ich wie toll! Das praegt einen ein eben lang wie toll! Super liebe Gruesse in den Süden!