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Nicht jede ist wie Mutti

Ihr müsst jetzt ganz tapfer sein, Jungs und Mädels, Männer und Frauen des Zeitalters, in dem man – für mich etwas irritierender weise – vorgeblich Mutti als beste Freundin hat. Wir halten schon mal Muttis Familienpackungen Taschentücher für euch bereit.
Was jeder weiß: Niemand ist so toll wie Mutti, hat sich als Gastgeberin des Hotel Mama Lorbeeren verdient, hinter euch her geräumt, euch bekocht und immer so lange schlafen lassen, wie ihr wolltet. Mutti ist diese kuschelweiche Überfrau im lose sitzenden Langpulli mit derangierter Frisur, für deren Liebe man sich nicht anstrengen muss, die als guter Geist durch euer Leben geistert, wie der Requisiteur am Theater, den man von der Bühne aus niemals sieht, obwohl er sicherstellt, dass immer alles vorhanden, am Platz und für euch mühelos verfügbar ist. Als Dankeschön für so viel Convenience in eurem Leben, sagt ihr Mutti so oft ihr könnt, wie glücklich ihr darüber seid, soooo eng und befreundet mit ihr zu sein. Zwar nicht so ultracool, wie mit euren sechshundertdreiundneunzig Freunden auf facebook, aber viel nützlicher. Mutti macht alles, worüber facebook Freunde ja doch nur beharrlich verweigernd den Kopf schütteln würden.

Wie sag’ ich’s meinem Kinde: Einige unter euch, wurden ja schon zu einem guten Teil von den Medien sozialisiert und bekamen dann auch noch die Bestätigung von Mutti, wie wichtig es für Digital Natives (schon klar, so hat Mutti das nicht genannt) ist, über eine hohe Kompetenz im Bereich Neue Medien zu verfügen, um es mal zu etwas zu bringen. Ihr, die ihr damit gemeint seid, könnt also nichts dafür. Mutti hatte auch alle Hände voll damit zu tun, euch hinten und vorne zu bedienen und dazwischen mit ihren Freundinnen zu simsen und ab und an auch im Internet zu chatten und ihre Onlinebestellungen gut zu platzieren.
Ich würde mich nicht so weit aus dem Fenster lehnen, in das Horn der Autoren und Fachleute zu stoßen, die von der versagenden Elterngeneration sprechen, die ihren Kindern alles durch gehen ließ, um sich deren Bewunderung und Freundschaft trotz eigenem Lebensgestaltungs-Durchhänger, zu erkaufen. Aber wirklich gesund für die Sozialisation ist dieses ein wattierte und indifferente Eltern-Kinder-Verhältnis garantiert nicht.

Zumindest verändert es den Blick auf den Faktor Alter dramatisch. Zuerst will keine und keiner von euch vom Jungen und Mädchen zu Mann und Frau werden. Ich könnte mich regelmäßig gruseln, wenn Frauen weit oberhalb der Zwanzig ganz selbstverständlich als Mädels bezeichnet werden und sich auch selbst viel lieber als Mädchen, denn als Frau sehen. Man ist da ja als Nicht-Anthropologin auf Informatio- nen von Fachleuten angewiesen, die diesen Umstand, dass wir nach der Pubertät und dem Teenageralter länger Jungs und Mädels bleiben wollen, zum Teil dem zuschreiben, dass wir uns für die Eltern jünger halten müssen, um das Betüteln und Betun mit deren Dienstleistungen vor uns und unseren Freunden zu rechtfertigen. Das hat also ganz praktische Gründe.
Unter diesem Deal leidet dann nicht Mutti, aber die Frauen ihres Alters, die in eurem Ansehen hinten raus fallen. Ihr gebt das nicht zu, dass ihr in Wirklichkeit lieber nur mit relativ Gleichaltrigen befreundet sein wollt, weil euch gemeinsame Interessen und Ziele verbinden …. Mutti wäre traurig drüber, dass sich ihr Investment plötzlich als einseitiger Leistungsbezug von bisher fünfundzwanzig Jahren herausstellen könnte. Was unabsehbare Folgen für euren hinten und vorne gepamperten Lifestyle hätte. Irgendwo muss man das aber raus lassen können, womit man aus zweckdienlichen Gründen hinter dem Berg hält. Raus schwitzen funktioniert nicht, wäre auch zu anstrengend für euch.

Also bleibt nur, Frauen in Muttis Alter, da wäre zum Beispiel Madonna, mit aggressivem Anstand als Omas zu mobben, die längst nicht mehr auf die Bühne gehören. An dieser Stelle gestehe ich, dass mein kleiner Bericht eigentlich auch ein Lesetipp ist, auf den ich gestern durch Asmona von Greendelicious stieß.

Sibylle Berg widmet sich auf S.P.O.N. unter der Rubrik Fragen Sie Frau Sibylle in ihrem Artikel Die schrottreife Frau ab 50
dem Thema des Sexismus im Alltag anhand dieses Phänomens, das ich als Alters-Rassismus bezeichnen würde, hätte ich da nicht diese Idee von den Ursachen, die zu beschreiben ich gerade versuchte.
Auch wenn das in eurer von Mutti mit Vorwerk-Staubsauger milbenfrei gehaltenen Reihenhaus-Welt nicht vorkommt, sind die Frauen da Draußen mit Fünfzig und darüber nicht alle tütelig und fern der Verfassung, in der man noch sehr viele Jahre als aktive Künstlerin oder was auch immer vor sich hat, so ferne man ein paar Dinge, auch mit seinen Kindern und Nachfahren, rechtzeitig richtig gemacht hat. Es gibt Mütter, die leben ihr eigenes Leben, bestehen darauf, dass die Kinder bis zur vollendeten Volljährigkeit aus dem Knick kommen. Und die Kinder dieser alterslosen Mütter, die sich die Welt da Draußen an jedem Tag um die Ohren pfeifen lassen, würden nie auf die absurde Idee kommen, das Madonna & Co. für irgendwas zu alt sein könnten.

Aber ihr seid schon lange alt genug, Mutti noch diese letzte Chance zu gönnen, aus der Zeit, die nun frei verfügbar wird, nachdem ihr in die Puschen gekommen seid, etwas Sinnvolles zu machen, um endlich wieder jünger zu werden. So ähnlich, wie Madonna.
Ach ja, ich bin natürlich nicht befreundet mit meiner Mutter oder meinen Eltern. Sie ist und bleibt meine Mutter. Der ich ein paar sehr hilfreiche Dinge wie gute Manieren, vollendete Schul-und Studienabschlüsse, den Kunst- und Kultursinn, den sicheren Geschmack und so weiter verdanke. Und ich bin glücklich darüber, dass sie mich und meine Schwestern nicht mal dann vom Erwachsen werden abgehalten hätte, wären Zeit und Lust für das Gegenmodell der Mutti als beste Freundin – im Vanillegelben Langpulli – dagewesen.

  • Jana Goldberg
    13. Februar 2012 at 10:25

    Ein hervorragender Artikel, auf den Du da hinweist. Wo kann ich unterschreiben?
    Das Schlimme ist jedoch, das Sexismus längst kein Männerphänomen ist. Diese Äußerungen zu Madonna & Co. habe ich oft genug in den Kommentaren von LM gelesen. Eine Schande, v.a. wenn bedenkt, dass für keinen von uns die Zeit still steht.

  • Daisydora
    13. Februar 2012 at 19:10

    @Jana Goldberg

    Vielen Dank für dein Feedback, ich finde den Artikel von Sibylle Berg auch sehr gut und kann es nicht mehr haben, dieses Madonna Mobbing.

    Manchmal möchte ich bei den von dir erwähnten Kommentaren gerne Maus sein, um zu sehen, wie frühzeitig gealtert die LangweilerInnen aussehen, die das schreiben.

    Genau, niemand wird jünger … 🙂

  • Celine
    13. Februar 2012 at 20:54

    Vielen Dank für den tollen Artikel!!!

  • Winterbube
    14. Februar 2012 at 10:43

    Klasse!

  • Daisydora
    14. Februar 2012 at 12:36

    @Celine und @Winterbube

    Vielen Dank an euch, ich hatte schon Angst, diesmal zu unverständlich gewesen zu sein … 😉