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Der Zug meiner Träume – warum bei Chanel die Eisenbahn fährt

Mancher mag sich gewundert haben, warum in der letzten Woche bei Chanel zur Präsentation der „Paris-Bombay“ Kollektion ein versilberter Zug über die Tafeln des Dekors der indischen Hochzeit fuhr und die Gläser zu den Gästen fuhr.
Spiegel online schrieb: dekadent. Aber Karl Lagerfeld wäre nicht er selbst, wenn er sich nicht etwas dabei gedacht hätte. Das Ganze hat natürlich einen historischen Bezug und der Lagerfeldsche Kreis schließt sich schnell, wenn man die Geschichte dahinter kennt.

Der Maharadscha von Indore Holkar II. (kleines Bild) war ein Mann, der sich im Jahr 1930 – aufgewachsen und ausgebildet in Paris – einen avantgardistischen Palast bauen ließ, den er, wie es heute so schön heißt, im neuen Zeitgeist einrichten ließ. Er war 25 Jahre alt und vertraute einem jungen Berliner Architekten den Bau des im Stile des Bauhaus gehaltenen Palastes an.
Unter der Ägide des gleichaltrigen Berliner Architekten Eckhard Muthesius vereinigte er die Entwürfe der Pariser Avantgarde wie Ruhlmann und Alix mit deutschen Industriemöbeln des Bauhauses, die teilweise heute noch von Thonet oder Classicon gefertigt werden. Lilli Reich, Mies van der Rohe, Muthesius – aber selbst Industriedesigns und Serienmöbel wurden stilvoll gemischt. Die Technik entsprach dem neuesten Stand. Klimaanlage, beleuchtete Bibliotheks-Sessel und auch Einsätze in Frisiertischen für Lockenstab und Brennschere – alles da.

Der Badezimmer-Hocker zum Beispiel ist wieder aufgelegt und die Luckhardt-Stahlrohrstühle, die der Maharadscha auf der Bau-Austellung in Berlin entdeckte, wirken wie frisch entworfen und sind ein Verkaufsschlager bei Thonet. Der Theater- und Kinosaal wurde mit mehreren Dutzend davon eingerichtet.

Nicht nur sein Haus war avantgardistisch, die Hofporträts wurden von Man Ray angefertigt und der Maharadscha war ein Freund und Förderer des Bildhauers Constantin Brancusi.

Muthesius führte den Maharadscha bei seinen zahlreichen Berlin-Besuchen unter anderem in das damals weltberühmte Kaufhaus Wertheim an der Leipziger-Straße und der Maharadscha verliebte sich in die Spielzeug-Eisenbahn in der Gross-Spur von Märklin. Kaufte die Bestände des Kaufhauses auf und gab die Eisenbahn zu Cartier nach Paris, um sie veredeln zu lassen. Fortan fuhr die urdeutsche Märklin-Eisenbahn durch den fernen Palast im indischen Indore und brachte den Gästen die Whisky Gläser und Drinks.

Sicherlich hat Herrn Lagerfeld diese Geschichte genau so fasziniert, wie mich und deshalb musste zur Art et Metiers Kollektion im indischen Dekor die chanelisierte Version des Originals auch herbei dampfen.

Wie aus einer versunkenen Welt taucht diese Geschichte jetzt wieder auf. Die Möbel wurden überwiegend bei Sotheby’s versteigert, da der Palast heute ein Verwaltungsgebäude ist und zum Teil stehen sie sogar im Berliner Kunstgewerbe-Museum oder befinden sich in Privat-Sammlungen. Wo die Eisenbahn abgeblieben ist, weiß man leider nicht. Cartier besitzt einige Wagons davon in seinem Archiv. Aber nun gibt es ja einen neuen Zug der Träume und der trägt stolz und erhaben an seinem Vorderteil die verschlungenen C’s und erzählt uns die Geschichte vom jungen Maharadscha, der vom modernen Westen träumte.

Bilder: CHANEL, Thonet

  • siegmarberlin
    13. Dezember 2011 at 16:06

    wie immer tolle Geschichte, ob es dekadent ist, ist mir in diesem Fall egal, ich will die Lok.

  • Sören
    13. Dezember 2011 at 16:37

    faszinierende geschichte, bin richtig begeistert.

  • Renate
    13. Dezember 2011 at 16:56

    Ich schließe mich meinen Vorrednern an! Chapeau!

  • Carrie
    13. Dezember 2011 at 17:31

    das ist wirklich eine faszinierende Geschichte Peter…mir gefallen besonders diese Art Artikel, die IHR hier schreibt !

  • Daisydora
    13. Dezember 2011 at 17:56

    Wunderbar, mal wieder so eine Geschichte, mit der du uns hinter den Vorhang mitnimmst … 🙂

  • Martine
    13. Dezember 2011 at 21:21

    Wieder einmal ganz wunderbar. Ich bin begeistert über Dein Hintergrundwissen!

  • Fräulein Schlau Schlau
    13. Dezember 2011 at 22:03

    Das ist wirklich eine superinteressante Geschichte, die dahinter steckt.
    Toll finde ich aber auch die Idee, dass der Catwalk von der „Mini-Lok“ aus gefilmt wurde: http://www.youtube.com/watch?v=JSkXsUdZB7k&feature=player_embedded
    Die Eisenbahn will ich auch haben, damit werden irgendwann meine Kinder spielen 😉