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Begegnungen – John Fairchild / Saint Laurent


Photo By WWD Archive

Wo sind heute eigentlich solche Leute?? Man weiß es nicht!! Genau die Frage kam mir in den Sinn, als ich dieses Photo fand.
Der Mann links, der aussieht als wäre er ein Banker in Führungsposition, ist der Mann, dem über Jahrzehnte die Designer am ehesten vertrauten und die längsten Interviews gaben. Der Mann, der schon wenn die Kollektionen nicht fertig waren, die Entstehung mitverfolgen durfte und der als die Stil- und Urteilsinstanz der Mode galt, aber auch am meisten spaltete und für Tumult in der Modebranche sorgte:
John Fairchild von Womens Wear Daily und W Magazine. Heute 85jährig, seit 15 Jahren aus dem aktivem Geschäft zurückgezogen und in der Schweiz lebend, kann man ihn als den bedeutendsten Fashion-Editor des 20.Jahrhunderts bezeichnen.

1955 kam er als junger Mann nach Paris, um für die Zeitschrift, die sein Großvater gegründet hatte, das Büro zu leiten. Fairchild veränderte das an eine Tageszeitung erinnernde Magazin dahingehend, dass er es weg vom Branchenblatt (vergleichbar etwa heute mit den Textil Mitteilungen) zu einem mehr social-orientierten Blatt machte, das sich rund um die Designer und die Kollektionen drehte.
Um an Informationen zu kommen ließ er seine Reporter auch gerne mal als Boten in die Couture Häuser ausschwärmen oder photographierte von gegenüberliegenden Häusern in die Ateliers. Häuser wie Dior, Balenciaga oder Givenchy fanden so etwas natürlich überhaupt nicht lustig. Aber John Fairchild erkannte als erster das sich die Zeiten drehten. Sein WWD, kein Hochglanzmagazin, sondern eher wie ein Newspaper aufgemacht, wurde schnell zum Tonangeber der Branche. Außerdem war es für die Zeit ja auch fast mit Überschallgeschwindigkeit Vogue und Co. voraus – allein schon durch die tägliche Erscheinungsweise.
Berüchtigt waren seine Fede mit Designern, die teilweise ihren Mitarbeitern verboten, mit Leuten von WWD zu reden oder auch die Verbannung von Fairchild aus so manchem Modehaus für mehrere Saisons. Von 1960 bis 1996 war er der tonangebende Mann im Business und eigentlich war WWD damals schon immer die Bibel, aus der man alles erfuhr was man wissen wollte.
Zwei Jahre nachdem Fairchild nach Paris kam, fiel ihm ein junger Designer, der als Assistent bei Dior arbeitete auf – der scheue aber unheimlich talentierte Yves Mathieu-Saint-Laurent. Er eroberte Fairchilds lebenslange Solidarität. Nachdem er bei Dior das Zepter übernommen hatte und mit den fadenscheinigen Gründen der Übermodernität „geschasst“ wurde, berichtete er Seitenweise im Vorfeld über die Neugründung seines eigenen Modehauses. 1962 saß er bei Saint Laurents Debut in der Rue Spontini in der ersten Reihe und die beiden total gegensätzlichen Männern bewunderten stets die Eigenschaften, die sie selbst nicht hatten, am anderen.
Kein Bild spricht derartige Bände wie dieses, wo zwei Männer aufeinander zugehen und doch scheinbar aneinander vorbei. Der größte Modeschöpfer des 20. Jahrhunderts und der mächtigste Richter der Mode. Begegnung zweier Genies – ein wunderbarer Moment.

  • volker
    24. Oktober 2012 at 13:35

    Großartige Erinnerung! Leider gibt es keine Journalisten mehr im ursprünglichen Sinne, sondern hauptsächlich verlängerte Arme von PR-Agenturen

  • Stefan
    24. Oktober 2012 at 15:11

    @Volker guter Einwand, bei einige Journalisten hat man den Eindruck sie haben sich den Beruf ausgewählt weil sie von den Firmen Geschenke bekommen

    John Fairchild kannte ich bis dato nicht