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Arte Fashion-Weekend – Stairway to heaven

„Mode ist das Leben ohne Alltag“ sagte einmal Brooke Astor und genau deswegen, damit man nicht vom Alltag unterbrochen wird, widmet Arte das komplette erste Wochenende im März ganz der Mode. Genauer gesagt der gehobenen Prêt à Porter und der Fashion-Photographie. Daneben werden Hintergründe der Berlin Fashion Week erläutert und die großen Pionierinnen der Kosmetik porträtiert.
Echte Freaks – wie wir 🙂 – kommen total auf ihre Kosten und werden nach diesem schlaflosen Wochenende fast fernsehbildschirmförmige Augen haben. Aber es lohnt sich eben und das Ganze wird auch mit einem richtigen Feuerwerk eröffnet: Die zweifellos grandioseste Modedoku aller Zeiten „The September Issue“, eine Art zehn Gebote der Modewelt, in der die Entstehung der von 640 Seiten Werbung flankierten September-Ausgabe der amerikanischen Vogue des Jahres 2007, unter Anna Wintours Regie, gezeigt wird.

Regisseur R.F. Cutler durfte als erster Anna Wintour dabei begleiten, wie sie und ihr Team das 5 Pfund schwere Heft gestalteten. Ungekrönter Star des Films ist die geniale Grace Coddington. Der Film schafft es auf wunderbare Weise, auch den letzten Zweifler ab zu holen und in die Welt der Mode zu führen.
Neben den Produktionen der einzelnen Redakteure wie Tonne Goodman und Grace Coddington wird auch das System US-Vogue erklärt. Von den Publishern, den Advertising Verantwortlichen, bis zum mühsamen Fuß fassen von Nachwuchs, der versuchen muss, seinen Platz in diesem System zu finden.
Schnell wird einem klar, dass Vogue und Condé Nast gemeinsam mit den amerikanischen High Fashion Department Stores das Modemeinungsmonopol und die Königsklasse der Modepublizisten bilden. „September Issue“ ist ein must für jeden Menschen, der sich mit Mode beschäftigt. Ehrlich gesagt könnte ich den Film fünf Mal in der Woche schauen, weil man daraus nur lernen kann, also auf keinen Fall verpassen.

Loic Prigent ist „der“ Regisseur für Hintergrundberichte und Dokumentationen über die Entstehung von Kollektionen und die Eigenarten der Modehäuser. Seit dem er im Jahr 2004 die vierteilige Mode-Dokumentation „Signé Chanel“ über das Machen und die Macher der Haute Couture aus der rue Cambon gedreht hat, sind alle Designer süchtig danach, dass er sie porträtiert.

Marc Jacobs war der Erste und um System in die Sache zu bringen, hat der wunderbare Loic die Serie „Vor der Show“ begründet. Neben Donatella Versace, Sonia Rykiel, Proenza Schouler, Fendi und Diane von Fürstenberg, die allesamt wiederholt werden, gibt’s in diesem Jahr zu meiner großen Freude zwei Neuzugänge, die ich sehr verehre: Isabel Marant (Bild links) ist sicherlich die Designerin, die am meisten den Rive Gauche Geist der Siebziger und die Natürlichkeit der Sophia-Coppola-Generation in sich vereinigt.
Sie ist lässig, tragbar und repräsentiert für mich die Weiblichkeit und die Gelassenheit von modernen Großstadt-Gaminen. Perfekt in ihrer Generation verwurzelt ist sie modern und doch gekonnt und witzig und hat den Parisien de Luxe Stil total kultiviert.
Wäre ich eine Frau, würde ich sicherlich viel von Frau Marant tragen. Ihr Stil ist das Yves Saint Laurent Rive Gauche der Anfangszeit übersetzt auf 2012. Die Doku wird sicherlich einen guten Einblick in die Arbeitswelt der nicht so häufig in der Öffentlichkeit stehenden Isabel Marant geben.

Und dann am Samstag zur Prime Time taucht Loic Prigent ein in die Welt von Alber Elbaz für Lanvin. Alber Elbaz gilt derzeit als einer der genialsten Modeschöpfer. Sein Witz und seine geradezu neurotische Unentschlossenheit haben ihm den Ruf des Woody Allen der Mode eingebracht. Dank seines Talents ist das älteste noch existierende Modehaus von Paris heute auf dem internationalem Modeparkett präsenter denn je.
Die Doku setzt 48 Stunden vor der Kollektionspremiere ein und geht bis zur Show. Keine Minute der Doku will man sich entgehen lassen. Man darf gespannt sein, welche Überraschungen der am liebsten „German Würstchen“ essende Designer bereit hält, und wie sein Team mit Schulterpolstern und Nahtzugaben fertig wird, bevor die große Premiere startet.

Danach gehört der Samstagabend der Deutschen Mode. Unter dem Titel „Glamour für Alle“ – deutlich demokratischer als der Modezirkus in Paris –wird die Deutsche und Berliner Fashion Szene beleuchtet. Kaviar Gauche, Lala Berlin und Michael Michalsky kommen zu Wort. Ein kontrastreiches Bild des Berliner Modebewusstseins entsteht.
Wunderbar, dass Arte diese Sendung auch in Frankreich ausstrahlt, damit auch die Franzosen mal sehen, was in Deutschland auf dem Modesektor geleistet wird … und, dass sich das hiesige Stilbewusstsein in den letzten Jahren sehr verändert hat.

Jürgen Teller (zugegeben einer meiner Lieblings Photographen) rundet den Samstagabend ab. Seine unretouchierten Blicke haben die Modephotographie nachhaltig mit verändert. Reiner Holzemer durfte ihn, der schon seit zwanzig Jahren die Kampagnen von Marc Jacobs fotografiert, als erster Regisseur begleiten. Da lohnt sich das Aufbleiben doppelt. Ein sehenswertes Porträt über einen Ausnahme Photographen.

Am Sonntag geht der Marathon weiter und geht weiter zurück in die Geschichte. Rober Altmans Meisterwerk Prêt à Porter von 1994, in dem halb Paris mitspielte, plus einer riesen Latte von Stars wie Sophia Loren und Marcello Mastroianni, amüsiert trotz tausendmal gesehen immer wieder.

Danach werden wir noch einmal Zeuge einer Jahrzehnte währenden Feindschaft und der Grabenkriege der Kosmetik Pionierinnen Helena Rubinstein und Elisabeth Arden. Die Hüterinnen und Meisterinnen der Cremetiegel werden in der Doku „der Puderkrieg“ porträtiert und es wird einem klar, dass Frauen schon immer zu allem fähig waren, um ihre Ziele durch zu setzten. Und danach weiß man auch, was es bedeutet, wenn Helena Rubinstein fragt „und ich hoffe, dem Pferd geht es gut?“.

Mit der Krone des Stils geht dieses rasant modische Wochenende zu Ende: nämlich mit Modegott Cristobal Balenciaga und seiner zeitlosen Eleganz.
Das Werk des spanischen Modemachers in Paris wird in den Kontext mit seinen französischen Zeitgenossen gesetzt und der Film darüber ist ein Kleinod der Modedokumentation. Es wird vor allem eines klar, dass derartiger Perfektionismus heute leider keinen Platz mehr hat, weswegen die Menschen trotz eines gigantischen Angebots an Mode und Textilien, schlechter denn je angezogen sind. Ikonostatisch steht Balenciaga für eine der aufregendsten Perioden der Modegeschichte und strahlt bis heute mythisch in unsere Zeit hinüber.

Es wird anstrengend , aufregend, schön, melancholisch und einfach nur zum Träumen sein, dieses Mode Wochenende bei Arte.

Suzy Menkes würde schreiben: „Razor sharp“ was es zu sehen gibt. Viel Spaß mit Arte und der Alltag hat uns dann erst am Montag wieder. Gott sei Dank, oder besser gesagt, der Mode sei Dank.

P.S.: Da es heute auf Grund des Arte Weekends kein Cutting von mir gibt möchte ich zwei Dinge anfügen, auf die ihr unbedingt achten solltet, wenn ihr den Film „September Issue“ anschaut: Die Szene in der Grace Coddington durch Paris fährt ist für mich eine der Schlüssel-Szenen, warum Menschen sich mit Mode beschäftigen und weshalb sie das tief befriedigt und begeistert. Norman Parkinson sagte ihr einmal, dass man immer seine Augen aufhalten soll, niemals im Taxi oder Auto schlafen soll, weil einen jeder Blick aus dem Fenster inspirieren kann und die Phantasie beflügelt, wenn man in Paris ist. Ich glaube, nach dieser Szene versteht jeder, worin die unstillbare Sehnsucht nach Stil und Mode liegt.

Anna Wintour gilt als unbarmherzige Richterin der Mode, als „Ice Woman“ – für mich bricht September Issue dieses Bild total auf, denn es wird klar, dass auch dann, wenn man sich auf diesem Erdball als eine Art Herrscherin des Stils und der Mode bewegt, es im Innersten und in Wahrheit nur um eins geht: Dass man die Anerkennung und die Liebe seiner Familie haben möchte. Sie ist eine sehr verletzbare Frau und scheut sich auch nicht, das zu zeigen. Chapeau, Frau Wintour!

Bilder: Alber Elbaz: Jean-Paul Goulde

  • siegmarberlin
    27. Februar 2012 at 12:11

    das wird ganz toll, September Issue habe ich schon gesehen und fand den Film sehr gelungen. Ich freu mich darauf.

  • Tim Pohr
    27. Februar 2012 at 14:08

    danke für meine Wochenendeplanung. 🙂

  • Daisydora
    27. Februar 2012 at 17:03

    Einfach herrlich, ich freue mich und danke für den schönen Bericht, Peter 🙂

  • Horst
    27. Februar 2012 at 21:40

    wird geguckt, insb. auf die deutsche übersetzung von septmeber issue bin ich gespannt…
    werde vermutlich eckige augen bekommen 😉

  • Horstson » Blog Archiv » Die Woche auf Horstson
    4. März 2012 at 10:14

    […] als selber zu entwerfen 5) Peter hatte bereits am Montag einen Fernsehtip fürs Wochenende: Das Fashion-Weekend auf Arte. Auch heute laufen noch spannende Beitrage… 6) Daisydora präsentierte am Montag die sehr […]

  • Horstson » Blog Archiv » (Über)Morgen auf HBO – In Vogue: The Editors Eye
    5. Dezember 2012 at 15:07

    […] Chefredakteurinnen der Geschichte der VOGUE aus. Der Titel “In Vogue: The Editors Eye” Peter hatte uns ja damals vor der Ausstrahlung von “The September Issue” im Rahmen des ARTE Fash… die Freude gemacht, mit diesem Reminder zu verhindern, dass viele von uns die wunderbare […]