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Relevant oder unter Ausschluss der Öffentlichkeit – Sinn und Unsinn von Rankings

Man ist ja als fleißiger Medienkonsument einiges an Kummer gewohnt … zuerst ist der Weltuntergang bisher trotz fester Zusagen ersatzlos ausgeblieben. Oder kam da gestern noch was Berichtenswertes? Und dann flog mir diese amüsante Ente zu: Günter Grass und Alice Schwarzer spitze. Festgestellt hat das CICERO in seinem Ranking 2012. Das da nicht mehr und nicht weniger als das besagen soll, wer im Erhebungszeitraum die Kraft hatte, am besten zu uns durchzudringen.

Im O-Ton: „Wer dringt durch? Wer wird gehört? Zum dritten Mal präsentiert das Magazin CICERO eine Rangliste der deutschsprachigen Intellektuellen. Viele alte Bekannte gehören dazu und einige überraschende Neueinsteiger. Sie haben die Kraft durchzudringen – und sie sind beide Reizfiguren. Günter Grass ist im neuen Cicero-Ranking der 500 wichtigsten deutschen Intellektuellen die Nummer eins. Beste Frau: Alice Schwarzer“.
Soll das nur unterhalten, oder ist das echt ernst gemeint? Es geht um Präsenz im geistigen Raum. Aber wahrscheinlich auch darum, wie weitreichend die Wahrnehmung der Wortspenden bei der Bevölkerung ist. Und wer und wie viele davon Wind bekommen haben.

Irgendwo steht dann, wie diese Ergebnisse erhoben wurden. Gemessen wurde die Präsenz in den 160 wichtigsten deutschsprachigen Zeitungen, im Zeitraum der vergangenen 10 Jahre. Hinzu kommen Zitationen im Internet, Treffer in der wissenschaftlichen Literaturrecherche Google Scholar sowie Querverweise im biografischen Munziger-Archiv.
Zuletzt gab es diese Liste im Jahr 2007. Es wurde also wieder Zeit, uns wissen zu lassen, wer im geistigen Raum präsent ist und es düfte euch interessieren, dass es die große Vordenkerin und Trivialphilosophin Charlotte Roche auf Anhieb auf Platz 67 des Rankings geschafft hat; immerhin konnte sie den wohlstudierten Springer-Vorstandschef Dr. Mathias Döpfner auf Platz 86 verweisen. Selbstredend nur im übertragenen Sinne. Die Rankingwelt ist aber zum Glück nicht ganz in Unordnung geraten, Margot Käßmann, frühere Bischöfin und EDK Vorsitzende, konnte auf Anhieb den rühmlichen 26. Platz erreichen. Da frage ich mich, wie viele der Erwähnungen in den 160 wichtigsten Zeitungen und im Internet bezogen sich auf ihre geistigen Wortspenden? Oder könnte es eventuell sein, dass die Flut der Meldungen zum Fahren in alkoholisiertem Zustand, da mitgezählt wurden. Ich bitte um erklärende Hinweise der ErheberInnen, wir wollen euch ja reinen Wein einschenken.

Und wenn wir schon dabei sind, muss ich hier dringend meine Meinung los werden. Erst mal zu Alice Schwarzer. Früher fand ich die ohne Fehl und Tadel. Ganz ohne Zweifel war und wäre das wichtig, was sie zur Sache des Feminismus zu sagen und zu tun zu hatte und weiterhin hätte. Nur hat sie aus meiner Sicht schon vor Jahren einen . Sie versäumt es, auch mal Klartext mit den Frauen zu reden. Steckt ihre Nase in Dinge, die bei Richtern und guten Gerichtsreportern besser aufgehoben sind. Kooperiert ausgerechnet mit der BILD, die ja wohl nicht gerade das offizielle Organ mündiger und moderner Frauen sein dürfte; und nervt im Rest der Zeit als omnipräsenter Talkshowgast rum, so dass ich mir eine Steigerung dieser PR-Auftritte weder vorstellen mag, noch eine solche für 2013 herbeiwünsche. Was sind das bitte für Spuren, die sie im geistigen Raum hinterlassen hat? Welche Wortmeldungen könnten einem da konkret in Erinnerung geblieben sein?

Mit dem Flaggschiff des Rankings, Günter Grass, macht man sich an der Spitze unangreifbar. Da kann man schwer was dagegen haben, obwohl ich nicht denke, dass Grass noch der politische und gesellschaftliche Mahner ist, der er einmal war. Und wäre es nicht auch wichtig, bis zu den Menschen durchzudringen. Sicher ist das in so einem großen Land schwer, aber wenn man schon so einflußreich ist, dass einem überall der Rote Teppich ausgerollt wird, so bald man dazu anhebt etwas zu sagen oder zu schreiben, dann sollte es doch daran nicht gescheitert sein.
Je länger ich darüber nachdenke und verschiedene Blickwinkel auf dieses Ranking einnehme, desto mehr ärgere ich mich drüber, dass man mit einer möglicherweise zu wilden Mischung aus wissenschaftlicher Erhebung, an vollkommern heterogenem Datenmaterial, am Ende ein Ergebnis erzielt hat, dessen Aussagekraft jedenfalls mir ziemlich gering erscheint.
Ich liebe „unsere“ politisch und gesellschaftlich sehr gegen den Strich gebürsteten Autoren Elfriede Jelinek und Peter Handke, aber ich bezweifle schwer, dass auch nur wenige Prozent der Bevölkerung Deutschlands Interesse daran haben, was beide Vordenker bisher von sich gaben und noch geben. Das beschränkt sich doch bei den meisten auf Namedropping. Handke hatte ja zum Glück erst kürzlich einen runden Geburtstag und die Streiterei rund um Suhrkamp Chefin Ulla Unseld-Berkéwicz und den Minderheitsgesellschafter Hans Barlach irrlichtert durch Zeitungen und Magazine. Mehr düfte es nicht sein, was den Menschen zu diesen Akteuren im geistigen Raum, den Cicero hat neu vermessen lassen, einfällt. Oder? Handke ist aber knapp vor Martin Walser (was macht eigentlich Martin Walser?) auf der Zwei und Jelinek hinter Schwarzer auf der Fünf. Zwei Frauen unter den ersten Fünf, juchhuuuuu, Alice Schwarzer! Das Ranking erfüllt die inoffizielle Frauenquote.

Es ist irgendwie kafkaesk! Niemad von uns weiß, wer von denen da was genau wozu gesagt hat, aber für meßbare Spitzenergebnisse spielte das dem Anschein nach keine Rolle. In diesem Moment fehlt mir wie in vielen Momenten ein Kollege Jelineks und Handkes. Thomas Bernhard. Der hätte es sich garantiert nicht nehmen lassen, diesen „Preis“* entweder kategorisch abzulehnen oder mit den richtigen Worten zu kommentieren. Weil das ja leider unmöglich ist, hier eine alte Wortspende, über die man möglichwerweise länger nachdenken könnte, als über das, was Alice Schwarzer in der BILD über Kachelmann vor sich hin fabulierte: „Der Nichtstuer als der Geistesmensch ist in den Augen derer, die unter Nichtstun tatsächlich nichts tun verstehen, weil in ihnen während des Nichtstuns tatsächlich gar nichts vorgeht, die größte Gefahr – also der Gefährlichste“ Denken Sie bitte mal drüber nach, liebe Preisträgerin.
Über sachdienliche Hinweise zu erquickenden geistigen Raumfüllern der Preisträger, freue ich mich naturgemäß! Aber erst mal hole ich mir das Heft. Den Zweck hatte dieses Ranking ja wohl.

*Eines der zutreffendsten und auf den Autor bezogen lustigsten Bücher empfehle ich hiermit. Meine Preise, Thomas Bernhard. Nie zuvor habe ich mich über Ehrungen, Preise und deren Verleihung so gut unterhalten und so herzlich darüber gelacht. Wie Preise bei den richtigen Preisträgern mitunter ankommen können.
Hier geht es zu Cicero, bitte lesen.

  • Siegmar
    23. Dezember 2012 at 11:03

    stimme dir absolut zu, mittlerweile findet sich alles auf Ranking-Listen wieder. Frau Schwarzer hat sich selbst demontiert, mit ihrer Präzens bei jeder unwichtigen Veranstaltung und zu Grass hatte ich schon immer ein schwiespältiges Verhältnis und seit seinem SS-Geständnis und dieses unsägliche Gedicht gegen Israel noch mehr. Das hatte für mich den Anschein, ich werde noch einmal richtig provozieren, dann klappts auch mit den Umsätzen, Grass hatte soviel über Altersarmut gehört. Auf einer Liste fr. Roche überhaupt zu erwähnen, macht mich fassunglos, leider wie man auf der Spiegel-Bestseller-Liste gesehen hat, belegen mittlerweile Softporno im SM Bereich die Spitzenplätze ( shadows of grey ).