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Hochsaison für Psychoklempner – It Might Get Loud!

Nur noch fünfmal schlafen, dann ist Weihnachten! Wer nicht zugibt, dass er jedes Jahr aufs Neue kolossale Nervenzusammenbrüche und darauf folgende Fluchtreflexe bekommt, sobald zum ersten Mal die vollständig versammelte Familie mit erwartungsfrohen Weihnachtsmann-Gesichtsausdrücken vor dem geistigen Auge auftaucht, der ist nur zu feige dazu, sich der Wahrheit zu stellen. Weihnachten kann sehr schön sein, zumindest, solange wir Kinder sind und sich sowieso Alles und Alle um uns drehen …. später brauchen wir Glück und Disziplin, um uns vor den Fallstricken des Festes alles Feste zu schützen…. Das habe ich mir nicht ausgedacht, das haben Freuds Enkel festgestellt, denen schon rein beruflich gesehen, nichts Menschliches fremd ist. Sie fangen die per kollektiver Weihnachtsstimmungs-Erwartung mit letzter Kraft zum zerbersten glücklichen Menschen auf, wenn denen dann auffällt, dass irgendwas mit ihnen nicht stimmt, weil sie ……. Ach ja, alle haben das Fest der Liebe als eine Zeit puren Glücks auf dem Wunschzettel, aber, es kommt dann eben öfter als man das verdient und ertragen kann ganz anders. Außer, ihr seid diesmal streng, zweitens egoistisch und eben nicht gut vorbereitet; und ihr glaubt auf keinen Fall an die Ratschläge, die man in Lifestylemagazinen und auf Websites für Frauen findet:

„Sollte es Familienmitglieder geben, die einander nicht ausstehen können (das mein ihr doch nicht im Ernst, die gibt es immer), gibt es zwei Möglichkeiten: entweder, man lädt sie an verschiedenen Tagen ein, oder wenn es eine einzige Feier geben soll, sollte man sie zumindest am Tisch so weit auseinandersetzen wie nur möglich.“ Als ob das nicht erst Recht für Unfrieden sorgen würde, wenn die notorischen Streithansel generalstabsmäßig getrennt werden. Sei es nach Feiertagen oder am Tisch. Oder das hier: „Themen, die regelmäßig zu Streit führen, sollten zu Weihnachten von allen Anwesenden vermieden werden. Eine entsprechende Bitte auf der Einladung kann alle Gäste bereits frühzeitig davon in Kenntnis setzen, welche Themen tabu sind.“ Ich sage es mal, wie es ist: Lasst den Unsinn! Das führt zu noch mehr unerfreulichen Debatten, hilft nicht über die schon traditionell viel zu geringe Zahl gemeinsamer Themen hinweg. Wenn Opa nicht von Früher erzählen darf, dann macht ihn das unglücklich … Und gerecht ist es auch nicht, da Oma ja auch jedes Jahr dasselbe erzählt, als hätte sie den Text auf CD dabei. Aber wirklich unbrauchbar finde ich diesen Tipp: „Es sollte von Anfang an klar sein, wie lange die gemeinsame Feier geht, damit es keine unangenehmen Situationen am Schluss gibt. So bekommt niemand den Eindruck, hinausgeworfen zu werden.“ Was ist denn mit euch los? Das nimmt doch jeder krumm, wenn die Familienfeier ohne Open End stattfindet. Aber ich will hier nicht Neumalklug rummosern, möchte meine Gedanken zum Fest beisteuern. In der Hoffnung, das was dabei ist, das wirklich hilft. Am Meisten bleibt euch von Weihnachten, wenn ihr es schafft, euch schon am 24. mit der ganzen Familie zu treffen. Das wisst ihr aber ohnehin; dass ihr euch schon am frühen Nachmittag (ab 15 Uhr) zusammenfinden könntet, um eine Art lockerer Weihnachtsparty zu feiern, ist meine Idee dazu. Dagegen gibt es meines Wissens kein Veto von Papst Benedikt. Dann bleiben zwei volle Tage zum Abhängen und für eigene Interessen und Unternehmungen. Küchenstress als Leistungssport an Weihnachten zählt nicht! Es gibt entweder was ganz Einfaches, oder etwas, das man schon am Tag davor gekocht beziehungsweise vorbereitet hat. Ich empfehle leckere Häppchen vom Buffet oder Gerichte wie Suki Yaki (Japanisches Suppenfondue), bei deren Verzehr man lange rund um den Tisch sitzt und gut satt wird. Aber das Wichtigste kommt jetzt: Nur wer seine Familie während des Jahres nicht ständig beschwindelt, wenn es gilt, Flagge zu zeigen, kann schon bei der Begrüßung der lieben Verwandten ganz entspannt darüber sprechen, dass es sicher wieder die Herausforderung des Jahres wird, Weihnachten trotz Familie ganz gelassen zu überstehen. Meine Erfahrung ist, dass es zusätzlich hilft, eine Art Unterhaltungsprogramm parat zu haben, das für den gemeinsamen Gesprächsstoff sorgt, der Familien paradoxerweise häufig fehlt. Ihr habt für jedes Alter und jeden Gusto das Richtige. Kleine Mädchen gucken bei aufkeimender Langeweile tolle Ballettvideos (zum Beispiel mit tollen klassischen Balletten von Netherlands Dans Theater oder dem Aterballetto) oder Ähnliches, in dem richtig schön getanzt wird ….. oder die lieben Kinder ziehen sich mit dem Rest der Rasselbande zum Karaoke Grandprix zurück oder gucken wenn sonst nichts mehr nützt Harry Potter. Kinder finden es seit Menschengedenken doof, den redseligen Erwachsenen zuhören zu müssen. Wenn ihr nun denkt, was mit denen machen, die noch immer im Wohnzimmer rumsitzen und um ihren Anteil an der gepflegten Weihnachtskommunikation ringen: Da helfen eure Filme, die auch was für den Kopf tun, zum Nachdenken anregen, was zum besinnlichen Weihnachtsfest ohnehin perfekt passt, oder, skurrile Filme, die nur Wenige kennen. Bloß nicht den Fehler machen, bekannte Schmachtfetzen wie Sissi, Schicksalsjahre einer Kaiserin, Casablanca, Frühstück bei Tiffanys oder Vom Winde verweht zu zeigen. Die Weihnachtsklassiker hat jeder schon viel zu oft gesehen und jede weitere Wiederholung sorgt nur für redundantes – jedenfalls viel zu lautes Geschnatter. Zeigt besser Filme und Dokumentationen, die in jeder Hinsicht überraschen. Es geht für euch um nichts Geringeres als die weihnachtliche Themenführerschaft! Wenn ihr richtig mutig seid, sind hier drei Filme von Jim Jarmush, die ohnehin jeder Cineast mal gesehen haben sollte: Night On Earth (Bild weiter oben), Stranger Than Paradise und Down By Law. Da wird die Verwandtschaft möglicherweise staunen. Oder, auch irgendwie thematisch passend, zwei Klassiker von Pedro Almodóvar: Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs oder Alles über meine Mutter. Dabei unterhält man sich gut und inhaliert ein wenig europäische Filmgeschichte. Relativ leichte Kost sind die Kultfilme The Big Lebowski, Delicatessen und neueren Datums, The Men Who Stare At Goats. Damit sorgt ihr für genügend neuen Gesprächsstoff. Für die Mutigsten unter euch habe ich aber noch etwas, womit ihr ein für Allemal klarstellen könnt, dass die kostbare Weihnachtszeit nicht einfach so mit Geplauder über die neuesten Spekulatius- und Zimtstern-Rezepte verplempert wird. Die Dokumentationen It Might Get Loud (schon der Titel passt perfekt zu Weihnachten), darin ist das musikalische Gipfeltreffen der drei vielleicht besten Gitarristen der Welt, Jimmy Page, The Edge und Jack White, festgehalten. Da habt ihr dann zumindest bei euren männlichen Vorfahren, die mit Led Zeppelin, den Rolling Stones und The Who groß geworden sind, schwer einen Stein im Brett. Für Groß und Klein genießbar ist die kurzweilige Al Gore Doku An Inconvenient Truth, was man von einem schweren Brocken wie Workingmans Death, nicht sagen kann. Aber gerade an Weihnachten sollte man sich daran erinnern, unter welchen Bedingungen Menschen auf dem selben Planet leben und arbeiten müssen, auf dem unser größtes Problem gerade das Feedback auf unsere Weihnachtsgeschenke ist…. Ich gebe zu, dieser Stoff und die Familie, das kann wieder leicht ins Anstrengende abrutschen. Wenn ihr spürt, kurz davor zu sein, nur noch ins Kloster gehen zu wollen, hätte ich da vorher noch einen Meditationsfilm, mit dem vielleicht Alles wieder gut wird: Thirteen Lakes. Dreizehn Mal zehn Minuten, in denen absolut nichts Spektakuläres an diesen Seen passiert, was unglaublich schön anzuschauen ist, gut gegen den hohen Blutdruck von Tante Helene wirkt und auch euch garantiert wieder runter bringt. Solltet ihr das zuwege bringen, diese Dokumentation mit versammelter Familie von Anfang bis Ende halb liegend zu sehen, dann gratuliere ich euch zu euren tollen Verwandten. Da gibt es dann zur Belohnung noch einen der lustigsten Filme, die ich kenne: Die Abenteuer des Herrn Picasso, leider nicht ganz einfach zu bekommen, lohnt aber sehr, danach zu suchen. Mit diesem Programm solltet ihr gut über die Feiertage kommen. Die Familie will ohnehin viel lieber reden oder etwas spielen und dabei nach Herzenslust streiten und Besserwissen. Zum Glück ist ja nur einmal im Jahr Weihnachten, man hat also genau 362 Tage, um sich von den Strapazen zu erholen und das Überleben zu feiern ! Als Alternative zu meinen Kinoweihnachten könnt ihr es auch mit einer Familienlesung versuchen, bei der jeder aus seinem neuen Buch vorliest. Na dann ihr Lieben, oh Kinderlein kommet! Frohes Fest! Happy Hanukkah! Merry Christmas! Happy Holidays!

  • Horst
    19. Dezember 2010 at 19:09

    Ich bevorzuge eher die klassische Weihnachtsfilm-Variante und schmeisse Tatsächliche Liebe in den DVD Player. Oder ich unterhalte mich mit dem rest der Familie. 🙂 tagesformabhängig 🙂

  • Daisydora
    19. Dezember 2010 at 20:11

    Na gut, lieber Horst … Tatsächlich Liebe habe ich aber schon soooo oft gesehen … und an Weihnachten wimmelt es mir zu sehr von Stereotypen …. aber ich will ja niemand missionieren, schon gar nicht die Glücklichen unter uns, die Weihnachten schön finden, so wie es ist 🙂

  • Rob
    19. Dezember 2010 at 21:31

    Da täuscht der liebe Horst, mit Tatsächlich Liebe kann man kein Weihnachtsfest mit der Familie retten. Aber mit Daisydoras Night On Earth könnte es klappen! 🙂 Danke für diesen Post!

  • Daisydora
    19. Dezember 2010 at 22:08

    @Rob

    Ja,je nach Familientypus kann das klappen 😉 aber wenn man den kompletten Familienzoo mit allen Arten der Welt durchgeht, braucht man eine ganz Videothek …. 🙂

  • Horstson » Blog Archiv » Hochsaison für Psychoklempner – It Might …
    19. Dezember 2010 at 23:07

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