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Gut gebrüllt, Löwen – was kann Cannes und wer hat hier recht?

Dafür, dass Werber zuerst ganz aus dem Häuschen sind und dann schnell über solche Favoriten einig werden, braucht es manchmal nicht viel. Zum Beispiel einen Mittfünfziger mit leichtem Bauchansatz und old fashioned Styling; das aus einer Brille aus den späten Achtzigern und einer Badehose undefinierbaren Herstellungsdatums in Rostbraun besteht. Auf die Normalmann-Frisur und den Schnauzbart einzugehen, lohnt nicht. Derlei Stereotype sind selbsterklärend.
Zu tun hat der Protagonist dann auch nicht viel: ungefähr hundert Meter eines Strandes entlang gehen, wie er fast überall, wo keine Traumstrände (ein völlig überflüssiges Wort) sind, vorzufinden ist. Dabei immer entspannt gucken und einmal kurz aus dem Bewegtbild nach links abbiegen und mit einem Glas Whiskey wieder kommen. Ein CloseUp von der Hand mit dem Glas, rotes Fähnchen rein. Southern Comfort und den Claim „Whatever’s Comfortable“ dazu geschrieben und schon wird der Goldene Löwe in der Kategorie Film, auf den die Werber bei Wieden + Kennedy in New York schon Tage vor dem Festival in der Varick Street 150 einen Whiskey trinken konnten, auch tatsächlich verliehen.
Bevor ich zum Punkt komme, schaut bitte erst mal kurz hier rein …

Für mich ist der Spot konzeptuell nichts, was mich vom Hocker reißt – aber ganz gut gelungen. Wenn auch wieder einer dieser Sorte, die aus dem Kalkül heraus entstehen, in der Hauptsache in Cannes und New York zu punkten. Was mich da so sicher macht, ist zum einen meine persönliche Erfahrung mit derlei originellen Commercials und zum anderen die Tatsache, dass der Kunde, Southern Comfort, damit nach zwanzig Jahren Werbeabsenz im TV, ausgerechnet junge Leute dazu bringen will, mal n‘ Whiskey zu trinken. Und an diesem Punkt wird die Arbeit der hoch dotierten Kreativen bei Wieden + Kennedy für mich geradezu rührend. Wenn das klappen soll, obwohl man selbst ohne Mafo weiß, dass Jugendliche und junge Erwachsene einfach keinen Whiskey mögen, dann fress‘ ich einen Besen oder gleich zwei!

Die Marktforscher von MediaAnalyzer, einem Hamburger Institut, das sich mit der wissenschaftlich durchgeführten Messung der Werbewirkung solcher und ähnlicher Spots beschäftigt, wollten es naturgemäß etwas genauer wissen und haben 400 Frauen und Männer im Alter zwischen 18 und 29 Jahren dazu befragt; beziehungsweise, den Verlauf der Emotionen, beim Betrachten des Southern Comfort Spots, der ja nur 60 Sekunden dauert, gemessen.

Das für den Kunden der Goldlöwen-Agentur Wieden + Kennedy erst mal erstaunliche Ergebnis der Messung: „Emotional reagieren die meisten Zuschauer die gesamte Spotdauer über negativ. Und am Ende des Werbeblocks (Anmerkung: bei solchen Tests werden die Spots immer in ein Werbeblock-Umfeld gesetzt) erinnert sich die Mehrheit weder gestützt noch ungestützt an den Streifen.“

Nochmals, es geht dem Kunden darum, die Jungen zu erreichen, die mit Red Bull und ähnlichem in der Dose oder Alcopops in der Flasche aufgezogen wurden. Dazu Steffen Egner, Begründer von MediaAnalyzer: „Die junge Zielgruppe, die das Unternehmen ansprechen will, kann sich mit dem Dicken (etwas übertrieben, Herr Egner!) im 80er-Jahre-Stil nicht identifizieren. Besonders Frauen, empfinden den Kerl mit fettigen Haaren und eingeölter Plauze als unästhetisch. Sie atmen sichtlich auf, wenn er mal kurz von der Bildfläche verschwindet.“

Hmhm, so so, interessant, denke ich … und dann der Reihe nach zum Mitschreiben: Es ist rein marketingtechnisch ziemlich egal, wie Frauen im Alter zwischen 18 und 29 diesen Spot für echten Whiskey mit reinem Whiskey-Geschmack finden, da sie ihn pur ohnehin nur für Geld oder Glitzertops, dazu geschenkt, trinken würden. Wenn Southern Comfort Wieden + Kennedy tatsächlich so gebrieft hat, ohne das Produkt durch Veredelung, Vermischung und zielgruppengerechte Aufmachung, Benennung und Verpackung fit für diesen Teilmarkt zu machen, na denn Gute Nacht Marie!

Selbst wenn der Spot Kultcharakter hätte, wozu es nicht reicht, weil er nur sehr diffizil schräg daherkommt, dann würde er viral verbreitet niemals erreichen, dass junge Menschen plötzlich zu Whiskey-Trinkern werden, weil Whiskey weder künstlich wie Red Bull, noch süß wie Mulitivitaminsaft oder Cola oder sonstwie artifiziell wie Alcopops schmeckt. Natürlich ist es trotzdem aufschlussreich und mutmaßlich richtig, was MediaAnalyzer da rausgefunden hat, aber der „Schaden“ ist schon davor im Product-Management und dem Innovationsmarketing bei Southern Comfort eingetreten.

Man kann junge Leute für Whiskey gewinnen (ob man das wirklich sollte, ist eine andere Frage, die ich tendenziell mit NEIN beantworte, obwohl Alkoholmissbrauch leider ein altersloses Gesellschaftsproblem ist), müsste dann aber das Geschmackserlebnis deutlich verändern, das Ergebnis jugendaffin benennen und vor allem den Whiskey-Drink in bunte Dosen oder Flaschen, von Künstlern oder Graffiti-Stars oder Manga-Artists gestaltet, abfüllen. So einfach ist das. Die Werbung, gerne auch von Wieden + Kennedy, sollte dann das Gefühl – sprich den kleinen, lustigen Geist aus der Whiskeyflasche, das Lebensgefühl des coolen Whiskeydrinks so in Commercials und YT-Videos bannen, dass das wie Beiing Mr. and Mrs. Cool rüberkommt. Das sollte nicht zu schwer sein, für eine der besten Agenturen der Welt.

Mit dem von MediaAnalyzer getesteten Spot „Beach – Whatever’s Comfortable“, der eine von sage und schreibe 35.765 Einreichungen (das ist wirklich irre!) zu den Cannes-Lions 2013 war, kann man dann ja immer noch die Kern-Teilzielgruppen Biker, Asphaltcowboys und andere Helden der Menschheit einfangen …. Funktioniert bestimmt, ist auf leise Art schräg, gelingt auch mit dem zweiten Werk Wieden + Kennedy’s „Whatever’s Comfortable Shampoo“. Und die kultigen Snakeskin Boots gehören sowieso gezeigt auf einem Modeblog!

Was sagt ihr dazu liebe LeserInnen? Erreicht euch dieser cool-entspannte Humor? Ihr seid ja schließlich gemeint, um so mehr, wenn da schon zwei drei über 29jährige drunter sein sollten 😉

Die O-Töne, Zitate von MediaAnalyzer sind aus W&V, Ausgabe 31, aus dem Artikel „Für Cannes gemacht? von Stephanie Gruber

  • Mangoblüte
    4. August 2013 at 15:09

    Also mein Freund und ich lieben Southern Comfort gemischt mit Jägermeister! Und die Werbung finde ich auch nicht schlecht, aber vielleicht, weil der Mann mich an meinen Vater erinnert.. hm..

  • Horst
    4. August 2013 at 15:12

    Ich find den Spot eigentlich ganz lustig, keine Ahnung ob es mich so beeinflußt, dass ich Southern Comfort trinken muss… (und bei Jägermeister setz ich aus 😉 )

  • Horst
    4. August 2013 at 15:15

    (und der Spot hat fast was meditatives 😀 )