Männermode

It’s Milano Babe – Alessandro Micheles Gucci Poesie

Bild: Courtesy of Gucci

Mit höchster Spannung wurde die Modenschau des Designers erwartet, der 2015 dafür gesorgt hat, dass nicht nur bei Gucci ein Imagewandel stattfand. Alessandro Michele sorgte in der gesamten Fashionwelt für eine Aufruhr, die eine neue Sichtweise auf eine eklektische Opulenz geöffnet hat, die weder protzig noch neureich wirkt. Michele, den man ohne zu übertreiben als einen intellektuellen und gebildeten Mann beschreiben kann – zumindest wenn man seine die einzelnen Kollektionen begleitenden Texte liest – scheint gar nicht zu wissen, wohin mit der ganzen Fantasie. Jedes Einzelteil seiner vergangenen Damen- und Herrenkollektionen sprudelt nur so vor Zitaten aus der Modegeschichte, die er aus dem EffEff beherrscht und in die Gegenwart transferiert. Zusätzlich verfügt er über ein ganz besonderes Gespür für Farbe, für das Handwerk und für poetische Anspielungen.
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Bild: Courtesy of Gucci

Eine Bemerkung sei mir gleich zum Anfang erlaubt: So eine Feinfühligkeit, wie sie Alessandro Michele beweist, findet man selten in der Modebranche und man fragt sich – und hofft gleichzeitig – dass sich so viel Individualismus, der die Fantasie und das Träumen zu Gucci und in die Mode zurückgebracht hat, nicht nur durchsetzt, sondern auch vom Management und den Aktionären mit langen Atem unterstützt wird.
Am letzten Dienstag fand die Runwayshow in einem ehemaligen Bahnhofsschuppen in Milano statt. Es bot sich ein beeindruckendes Szenario aus Couture Mobiliar und einem Vorhang im Rot der Mailänder Scala. Die Show an sich wurde mit Musik, die zwischen Traum und spannungsvollem Albtraum schwankte (Twin Peaks ließ grüßen …) und künstlichem Nebel, der die Mystik noch verstärkte, untermalt. Michele liebt die Theatralik, kein Wunder, denn seine Eltern waren Bühnen- und Kostümbildner. Außerdem sammelt er von Kind auf an alles, was ihn inspiriert – egal ob Antikes und Skurriles. Er liebt Dinge mit Geschichte und Philosophie.
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Bilder: Courtesy of Gucci

Wer etwas anderes als die Weiterentwicklung Micheles eigener Handschrift erwartet und auf einen radikalen Kurswechsel spekuliert hat, wurde sicherlich enttäuscht. Aber das entspricht auch nicht der Kontinuität und dem Charakter des Designers, dessen erste Kollektionen ja erst seit dem Herbst im Verkauf sind. Er baut seine Linie konsequent aus und gibt ihr zusätzlich zu den Codes von Gucci eine sanfte Ergänzung. Der schnelle Wechsel würde auch unglaubhaft wirken …
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Bilder: Courtesy of Gucci

Alessandro Michele selbst stellt als Inspiration und Leitsatz ein Zitat des deutschen Philosophen Walter Benjamin über seine Herbst/Winter 2016/17-Kollektion: „Ein Funke mit dem Vermögen, Konstellationen zu entwickeln, die reich an einer Zukunft sind, in der das Vergangene auf die Gegenwart trifft.“
Und so startet Michele in jedem einzelnen Teil und Look ein Feuerwerk an Ideen. Immer mit dem Blick, Fundstücke mit Neuem zu versehen und in die heutige Zeit zu beamen. Es tauchen viele verschiedene Stilrichtungen auf, die gegeneinander kombiniert werden. Fast wirkt es wie Reise durch die Modegeschichte, bei der Walter Albini-Muster auf Tracksuits übertragen werden und sich Snoopy und Woodstock unter gemusterten Jacken verstecken. Spannend die Saint Laurent-Farbcodes in Kombination zu einfachen weißen T-Shirts und bequemen Hosen.
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Bilder: Courtesy of Gucci

Opulente Stickereien allover, Jeansjacken mit Gipsy-Applikationen und auch eine Hommage an David Bowie fand in der Kollektion ihren Platz. Darüber hinaus mongolische und asiatischen Tribals, Drachen, Bienen …
Mäntel, von klassischen Capes über Pelerinen und Dressing Gowns bis hin zu Pyjamas. Dann wieder ein Durchgang, der fast klassisch wirkt: Weißer Trench, schwarze Hose und traditionellen Horsebit Loafern, dann allerdings mit einem roten Hut im Hippiestil gestylt.
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Bilder: Courtesy of Gucci

Muster scheinen sich bei Michele gekonnt verbinden zu lassen. Manchmal hat man den Eindruck, dass er so viele Ideen hat, dass in jedem Teil das Potenzial einer ganzen Kollektion steckt. Augenfällig ist im nächsten Winter, dass es extrem viele gemusterte Anzüge gibt, die Erinnerungen an Dekorationsstoffe aufkommen lassen.
Neu bei Gucci sind hingegen die offenen Nähte oder auch aufgelassene Säume. Sicherlich nicht so leicht zu verkaufen wie seine opulenten Einzelteile, die man schlußendlich als Endverbraucher zu normalen Jeans, Chino und T-Shirt tragen kann. Ein neues Bild von Anzug ist hingegen schwerer durchzusetzen.
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Bilder: Courtesy of Gucci

Sandalen, Horsebit Loafer mit Fell, Broschen, Ringe und skurrile Mützen – Inka meets Sherlock Holmes. Hinzu kommen große Brillen, Frisuren im Stil der Sixties und Seventies – Michele bleibt sich eben treu. Es ist ein Schönheitsideal, das regelrecht intellektuell und vergeistigt erscheint.

Alessandro Michele erklärt seine Kollektion selbst so:

Die Herbst/Winter Herrenkollektion begibt sich in ein Feld der poetischen Wiederbelebung; ein Feld, das gleichsam zerstört und befreit. Auf der einen Seite versprüht es die Idee der Vergangenheit als abgeschlossene und irreversible Einheit, auf der anderen gibt es das Gewesene frei und ihm somit seine ungenutzten Chancen zurück. In diesem Prozess wird Kleidung zu einer Sammlung von Fragmenten aus anderen Zeiten: wiederauftauchende Erscheinungen, verworren und unerwartet; fließende Schichten der Vergangenheit, ungeordnet in die Gegenwart geführt .Überlebtes, das in eine neue Ästhetik verwandelt wird.
Diese Fragmente spielen miteinander: sie verblassen, indem sie übereinandergelegt werden; sie werden von ihrer ursprünglichen Bedeutung enthoben und neu interpretiert; sie fügen sich neu zusammen mit Assoziationen, die sich einer rein logischen Verbindung entziehen. Es ist ein anarchistisches Spiel aus Freiheit, Spaß und Emanzipation; ein Spiel, das zu einem Ausbruch aus etablierten Traditionen ermutigt.

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Bilder: Courtesy of Gucci

Alessandro Michele lieferte mit seiner Fall/Winter-Kollektion eine eigene Welt, die sicherlich die Gemüter spaltet. Viele Beobachter lehnen den Kurswechsel des Hauses Gucci ab. Auf der anderen Seite kann man ihm eines nicht vorwerfen: die Vergleichbarkeit. Hoffentlich erobert Michele mit seiner Individualität eine große Fangemeinde, denn eigentlich sollen Luxusmarken Vorreiter sein.
Es bleibt spannend. Fortsetzung folgt …

  • Siegmar
    20. Januar 2016 at 10:18

    ganz viele, sehr tolle Teile

  • Tim
    20. Januar 2016 at 10:40

    Wer trägt denn so was?

  • vk
    20. Januar 2016 at 12:43

    also ich hab sicherlich einige jungere leute in meinem bekanntenkreis, die sich durchaus in dieser richtung kleiden (wuerden).
    aber die wuerden sich nicht durchweg gucci kaufen. auch wenn oder gerade weil sie das geld haben. dafuer waere ihnen im z<weifel die brand zu gross und zu glam.
    und hier koennte micheles problem liegen. die kollektion ist einfach nichts fuer angeber. fuer den breiten erfolg fehlt dann eben doch das testosteron.

  • Siegmar
    21. Januar 2016 at 10:46

    @ VK
    schöner Satz “ die Kollektion ist nichts für Angeber “ finde ich auch und ich finde viele Teile sehr toll und würde sie auch tragen.

  • Markus
    21. Januar 2016 at 15:08

    Dandy Diary hat Alessandro Michele als „Jesus der Mode“ bezeichnet, das halte ich, angesichts der 3 gezeigten Kollektionen für übertrieben. Aber richtig ist, dass Alessandro alle, die mit Mode zu tun haben zum Nachdenken bringt und inspiriert, wie im Moment kein Zweiter und das ist ganz wunderbar.

  • Horst
    21. Januar 2016 at 15:26

    @Markus ihr Praktikant bezog sich auf das Aussehen… 😉
    Es bleibt nach dieser Kollektion zu hoffen, dass Kering Geduld beweist.

  • Die Woche auf Horstson – KW 03/2016 | Horstson
    24. Januar 2016 at 14:51

    […] Michele startete für die Fall/Winter-Kollektion von Gucci in jedem einzelnen Teil und Look ein Feuerwerk an Ideen. 4) Grafiker werden beim Anblick des neuen Logos der Bread & Butter nicht vor Glück […]