Haute Couture

Chanel Haute Couture Winter 2016/17 – Inside Couture Ateliers

(Bild: Olivier Saillant)

Was macht Haute Couture aus und was unterscheidet sie von der von unglaublicher Perfektion besessenem Prêt-à-porter? Eine Frage, die wir immer wieder auf Horstson zu erklären versuchen. Am besten lässt sie sich natürlich beantworten, wenn man die vier Couture Ateliers in der Rue Cambon Nummer 31 in Paris besucht. Die vielen Handwerker der Paraffections Ateliers arbeiten der anspruchsvollsten Gattung von Kleidung zu, die zwar auf Modellen vorgeführt wird, die aber nach den individuellen Maßen, den Bedürfnissen und der Vorstellung der Kundin angefertigt wird. Teilweise benötigt ein Kleid, inklusive Stickereien und Hunderten Arbeitsschritten bis zu 1.500 Stunden. Dabei sind bei den Vorbereitungen mehrere der, wie der Franzose sie nennt, „Petit Mains“ beschäftigt. Das Nähen liegt aber bei einer Kraft mit langjähriger Erfahrung, der sogenannten „Premier Main“. Dazu gibt es in den vier Ateliers zwei „Flou“-Ateliers für fließende Stoffe, Kleider, Abendroben und den Brautkleidern und den zwei „Tailleur“-Ateliers jeweils die Direktrice, die Karl Lagerfelds Zeichnungen lesen und sie in die Schnitte technisch umsetzen kann. Sie ist die Schnittstelle zwischen der Fantasie des Entwurfs und der dreidimensionalen Umsetzung in die Stoffe.
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Bild: Olivier Saillant

Zunächst konstruiert die Direktrice an der Büste die Proportionen und den Schnitt und sucht die perfekte Umsetzung für die Nahtführungen und die Schulter- und Armlösungen. Etwas, wofür die Chanel Haute Couture weltberühmt ist und die jede Saison neu erarbeitet und verändert wird. Im Anschluss wird das komplette Modell zunächst in Baumwollnessel hergestellt und zur ersten Anprobe an dem Hausmodel Amanda Sanchez gezeigt. Während der Kollektionsphase finden so fast täglichen Fittings mit Karl Lagerfeld und den Mitarbeitern des Studio Chanels unter der Leitung von Virginie Viard statt. Erst wenn es diese Feuerprobe bestanden hat, findet es den Weg in die Kollektion und der Originalstoff, die Art der Stickereien und die Knöpfe, Bänder und die anderen „Zutaten“ werden ausgewählt. Jeder weitere Schritt entscheidet dann, ob das Kleid eines Tages im Grand Palais vorgeführt wird, oder ob es „stirbt“, wie es die Schneider nennen. Bis zum Schluss steht auf der Kippe, was schon viele Hundert Stunden Arbeit und Mühe beinhaltet und Materialkosten und Entwicklung von Tausenden Euros verschluckt hat. Viele Stoffe werden in den Spezialateliers in Pantin, einer Stadt nordöstlich von Paris, auf schmalen Webstühlen hergestellt. Die Werkzeuge für die Knöpfe, die auf jedes Kostüm oder Kleid abgestimmt sind, werden extra für die Herstellung bei Desrues graviert und modelliert.
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Bild: Olivier Saillant

Haute Couture grenzt in seiner Perfektion fast an den Wahn von Besessenen und ergänzt durch die Menschen, die für ihr Handwerk leben. Gesichter, die meistens verborgen bleiben und die mit ganz besonderen Fähigkeiten gesegnet wurden. 78 „Petit und Premier Mains“ arbeiten in den vier Ateliers nur an der Entwicklungen der Kollektionskleider. Im Anschluss an der Präsentation werden dann die Bestellungen aus aller Welt ausgeführt.
Da selbst die Frauen, die als Kundinnen diese Kreationen tragen und kaufen, geschweige denn wir alle die Möglichkeit haben, einen Einblick in das Handwerk zu bekommen und nur Videos und Dokumentationen, wie die Doku „Im Haus Chanel“ von Loïc Prigent einen kleinen Eindruck geben können, hat Karl Lagerfeld eine geniale Idee gehabt. Alle Mitarbeiter, inklusive Madame Cécile, Jacqueline, Olivia und Josette – die Direktricen der Ateliers – bildeten die Kulisse der Herbst-Winter 2016/17 Schau, die letzten Woche unter der Kuppel des Grand Palais stattfand.
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Bilder: Courtesy of Chanel

Die Akteure sollten zu sehen sein und so gleichzeitig den Entstehungsprozess der Haute Couture zeigen. Karl Lagerfeld wollte den Menschen, die er zutiefst respektiert, die Möglichkeit geben, selbst an einer Modenschau teilzunehmen. Normalerweise gibt es immer im Salon der Rue Cambon im Anschluss an die große Schau eine Präsentation für das Personal, wo dann jeder Mitarbeiter sehen kann, wie „sein“ fertiges Produkt aussieht. Diese Schau konnte diesmal ausfallen, weil ja alle dabei waren.
In der Regel wird bis zum Schluss genäht, geändert und ergänzt. Die Tage und Nächte vor der großen Premiere werden herunter gezählt und bis bis pät in die Nacht gearbeitet – und dennoch merkte man keinem die Müdigkeit an.
Chanel schaffte es, sämtliche Arbeitsplätze, Stoffrollen, Bonbongläser, Stockman Büsten, Bilder aus alten Pressemappen und Zeichnungen, die normalerweise die Arbeitsräume zieren, mitzubringen und so wurden die vier lichten weißen Räume und jede kleine Welt 1:1 in Grand Palais übertragen. Während des Defilees arbeiteten die fleißigen Handwerker an Aufträgen und man sah, das nicht alle Kundinnen Modelmaße haben: Es wurden eher „Lady Größen“ drapiert – Couture Realität at its best!
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Bilder: Courtesy of Chanel

Was die Handwerker in den letzten Wochen auf die Beine gestellt haben, wurde dann mit dem ikonischen Tweed in der neuen Silhouette eröffnet. Lagerfeld setzt diese Saison auf die X-Silhouette in zweidimensionaler Optik. Schon seine Skizze auf der Pressemappe zeigt – inspiriert von den russischen Konstruktivsten, wie Kasimir Malewitsch oder die avantgardistischen Kreationen von El Lissitzky – dass Lagerfeld auf eine neue Schulterlösung, die konstruiert mehr Volumen gibt und ganz ohne Schulterpolster auskommt, setzt. Allein durch das Geschick der Schneider wird eine völlig neue Silhouette erzeugt. Frei abstehende Taschen auf den Hüften und eine schmale Nahtführung und fließende Taille betonen die Zweidimensionalität der X-Linie.
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Bilder: Courtesy of Chanel

Das „neue Tweed Kostüm“ erscheint mit weiter, gerader und hoher Leibhöhe versehener Culottes und wahlweise in langer Optik oder auch als klassisches Mantelkleid. Auch die Kundinnen, die viele tausend Euro für ihre Garderobe ausgeben, wollen heutzutage ihre Stücke öfters tragen und nicht auf den nächsten Ball warten, sondern spielerisch Prêt-à-porter mit Haute Couture in ihrem Alltag mischen – ein Grund, warum augenscheinlich sehr viel Tagesgarderobe in dieser Kollektion zu finden ist. Der Tweed wird zu langen Overknees und Gamaschen in weichen Handschuh-Velour getragen – bestickt mit „Trompe-l’œil“-Effekten wirkt das typische Material von Chanel gleich viel weiblicher.
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Bilder: Courtesy of Chanel

Haute Couture braucht auch Lieblingsstücke der Kundinnen. Sicherlich werden die Orderbücher mit Culotte Ensembles in Tweed gefüllt. Etwas, was zu jedem Kulturkreis passt und die modernisierte „Chanel Frau“ charakterisiert, wie Karl Lagerfeld erklärt.
Bei den an Lampenschirmkleidern und Robes de Style aus dem Fin de Siècle und den Zwanziger Jahren angelehnten Cocktail- und Abendkleidern findet sich viel Besticktes. Hinzu kommen grafische Roben, die auf kostbaren Seidenfailles und Bazar aufgebaut wurden – betont mit Schulterapplikationen und ausladenden, schwingenden Federn an den Säumen.
Geometrisch aufgebaute Chiffon-„Little Black Dresses“ werden feminin durch die schwarz-weißen Verfremdungen von Illustrationen des englischen Jugendstil-Künstlers Aubrey Beardsley aufgelöst. Seine Heroinen des 19. Jahrhunderts und der Zeit Oscar Wildes inspirieren Lagerfeld schon seit Jahrzehnten. Mousselin, Taft und mit Jett-Steinen überstickte Spitze unterstreichen die festliche Modernität.
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Bilder: Courtesy of Chanel

Die Farbpalette zeigt sich an der Natur orientiert: Braun, Kandistöne, Haselnuss, Beige, verschiedene Graunuancen und winterliches, gedämpftes Orange. Dezent blitzen Goldakzente bei Stickereien auf – Effekte, die aber nicht protzig wirken, sondern eher wie Lichteffekte eingesetzt sind. Als klassische Basis dienen Weiß und Schwarz, also auch Codes des Hauses, die Coco Chanel seit ihrer Kindheit liebte und später eines ihrer Markenzeichen wurde.
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Bilder: Courtesy of Chanel

Die Braut, auch eine Tradition der klassischen Haute Couture, kommt in roséfarbener Culotte, dazu Spitzenbustier in Tüll und Satin mit Motivapplikationen, schlichtem Jackett und mit Federn bestickter Schleppe. Auch die Frisuren mit Chignons, die aus einem schwarzen Grosgrain-Haarband entspringen und den Nacken als weibliches Glanzstück sehen lassen, sowie die Betonung der Augen durch das Make-up Betonung, führen uns zu den Frauen, die in der Manier von japanischen Holzschnitten von Beardsley so skandalträchtig in ihrer Zeit dargestellt wurden.
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Bilder: Courtesy of Chanel

Karl Lagerfeld lieferte Haute Couture, mit allen, die daran beteiligt sind und die jede Saison, trotz Zeitdruck und Deadline, Unfassbares produzieren und nie aufgeben. Er setzte mit der Show ein Zeichen: er braucht die Protagonisten nicht nur, sie sind das Kapital eines ganzen Metiers. In der Couture gibt es keine Krise – im Gegenteil, das Bedürfnis, ein Teil zu besitzen, das exklusiv für einen gefertigt wurde und das Ritual der Anproben in Paris genießen zu dürfen, bleibt wohl immer begehrenswert.
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Bilder: Courtesy of Chanel

Madame Cécile, Jacqueline, Olivia und Josette begleiteten Lagerfeld beim Finale. Einige Tage später sind sie dann wieder damit beschäftigt, die Modelle für die Kundinnen in deren Proportionen umzusetzen, den Traum vom eigenen Chanel Masterpiece real werden zu lassen und mit Eleganz und Perfektion die kleinen Problemzonen der Klienten unsichtbar zu machen …
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Bild: Olivier Saillant

Haute Couture ist ein Geheimnis, voller Kniffe und Tricks – ein paar davon wurden nun im Grand Palais preisgegeben. Schöner kann Handwerk nicht sein – mehr Couture geht nicht und die kann keiner besser als Karl Lagerfeld für Chanel.

Chanel – Fall-Winter 2016/17 Haute Couture

  • Julian
    12. Juli 2016 at 11:35

    Ganz große (Schreib-)Kunst!❤

    Ich bin begeistert und stelle fest: mein Couture-Knowhow wird nach jedem Artikel von dir größer….✌️

    Merci für den Einblick,

    Julian

  • Martina
    12. Juli 2016 at 14:31

    Dass Lagerfeld seine Mitarbeiter auf den Laufsteg holt, wirkt wie ein Abschied 🙁

  • PeterKempe
    12. Juli 2016 at 14:59

    Nein, das kann ich bestätigen – keine Abschiedsstimmung bei Karl Lagerfeld! Es ging um die Haute Couture und das Handwerk. Bei der letzten Prêt-à-porter-Schau im März saßen alle in einer Reihe – da hieß es auch schon, dass er noch mal alle in der ersten Reihe sitzen lassen wollte. Was ich komisch und ein Phänomen finde ist, dass jede Saison bei Karl Lagerfeld diese Gerüchte kursieren. Bei Giorgio Armani, der genau so alt ist, fragt das keiner. Lagerfeld setzt seine Kreation für CHANEL und Fendi fort – kein Abschied geplant!

  • Siegmar
    12. Juli 2016 at 16:11

    ganz toller Artikel und die Idee mit dem Atelier grandios, merci 🙂

  • Junikäfer
    12. Juli 2016 at 20:17

    Furchtbar altbacken und langweilig. Gähn!

  • Elke Kempe
    14. Juli 2016 at 14:04

    Ganz toller Artikel ! Man sieht,daß die Show das Ergebnis unendlicher Arbeit ist!

  • Monsieur Didier
    16. Juli 2016 at 16:02

    …ich finde einige Proportionen schwierig und seltsam unrealistisch verschoben, die Hosen sind teilweise unvorteilhaft und durch die Boucléstoffe manchmal schon matronesk…
    aber es ist wie immer ein Feuerwerk der Ideen und es macht Freude, die Präsentation zu sehen und es ist eine Liebeserklärung von Karl Lagerfeld an seine Mitarbeiter und an die Menschen, die ihm das alles ermöglichen…

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